Gelsenkirchen.

Eine neue Runde im Faktencheck des WAZ-Leserbeirates Gelsenkirchen zur Bundestagswahl steht auch heute wieder zur Verfügung. Dieses Mal beschäftigen sich die Fragen an die fünf Direktkandidaten Joachim Poß (MdB, SPD), Marco Buschmann (MdB, FDP), Ingrid Remmers (MdB, Die Linke), Oliver Wittke (MdL, CDU) und Irene Mihalic (Stadtverordnete, Bündnis 90/Die Grünen) mit dem Thema Finanzen.

Die Antworten von Joachim Poß (SPD)

1. Können Sie sich vorstellen für 8,50 € Stundenlohn vollschichtig zu arbeiten und davon eine Familie zu ernähren? Wer mit 8,50 Euro Stundenlohn über die Runden kommen muss, der kann keine großen Sprünge machen. Er bekommt aber deutlich mehr als Millionen Arbeitnehmer derzeit bekommen. Ich halte das übrigens für die mit Abstand größte Sauerei, die Merkel und Co sich in den letzten Jahren herausgenommen haben: Sie haben alles dafür getan, um hart arbeitenden Menschen einen Mindestlohn von 8,50 Euro vorzuenthalten. Letztlich haben sich Merkel und ihre CDU-Freunde damit zu Komplizen von Ausbeutern gemacht.

2. Welche Steuern würden Sie erhöhen und warum? Wir Sozialdemokraten sind für moderate Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und besonders Vermögende. Erst ein Arbeitnehmer, der – als Alleinstehender wohlgemerkt – ein Bruttoarbeitseinkommen von rund 80.000 Euro im Jahr hat, muss etwas mehr zahlen. Er wird mit etwa 40 Euro mehr im Jahr für gute Bildung, leistungsfähige Kommunen, eine funktionierende Infrastruktur und die Einhaltung der Schuldenbremse belastet!

3. Welche Steuern würden Sie senken und warum? Die Stromsteuer, um den steigenden Energiepreisen entgegen zu wirken. Ansonsten kurzfristig keine; da derzeit bei seriöser Betrachtung kein Spielraum dafür gegeben ist. Sollte sich der in den nächsten Jahren ergeben, wäre eine Entlastung bei kleinen und mittleren Einkommen wünschenswert.

4. Können Sie sich vorstellen, dass der Soli zukünftig dorthin geleitet wird, wo er am nötigsten gebraucht wird? In den nächsten Jahren muss in westdeutschen Regionen mit Strukturproblemen massiv in die Infrastruktur investiert werden. Wir haben gerade in Gelsenkirchen erheblichen Bedarf. Klar ist aber auch: Wer so tut, als könne er die Mittel, die im bis 2019 geltenden Solidarpakt dem Osten Deutschlands fest zugesagt sind, mal eben ins Ruhrgebiet umlenken, der ist ein Schaumschläger.

Die Antworten von Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) 

1. Können Sie sich vorstellen für 8,50 € Stundenlohn vollschichtig zu arbeiten und davon eine Familie zu ernähren? Die Einführung eines branchenübergreifenden und flächendeckenden Mindestlohns von mindestens 8,50 Euro ist überfällig.

2. Welche Steuern würden Sie erhöhen und warum? Für ein öffentliches Gemeinwesen und den Erhalt der Infrastruktur in unser aller Interesse sollen die oberen zehn Prozent unserer Gesellschaft einen maßvoll höheren Beitrag leisten. Dazu wollen wir den Spitzensteuersatz für Einkommen ab 80.000 Euro auf 49 Prozent erhöhen. Damit wir unseren Nachkommen nicht einen riesigen Schuldenberg hinterlassen, wollen wir eine zeitlich befristete Vermögensabgabe auf sehr hohe Vermögen zum Schuldenabbau einführen. Zeitlich nachgelagert wollen wir die Vermögenssteuer verfassungskonform wieder einführen. Wir wollen die Erbschaftssteuer erhöhen und so die Bildungs- und Kulturfinanzierung in den Ländern verbessern. Mehrwertsteuerermäßigungen schaffen wir ab. Kapitalerträge wollen wir künftig so besteuern wie Arbeitseinkommen. Wir wollen umweltschädliche Steuersubventionen abbauen.

3. Welche Steuern würden Sie senken und warum? Wir wollen den Grundfreibetrag auf 8700 Euro erhöhen. Durch die Abschmelzung des Ehegattensplittings und die Zusammenfassung von Transferleistungen, bauen wir eine eigenständige Kindergrundsicherung auf.

4. Können Sie sich vorstellen, dass der Soli zukünftig dorthin geleitet wird, wo er am nötigsten gebraucht wird? Ja. Vielen Städten und Gemeinden in finanz- und strukturschwachen Regionen muss finanziell unter die Arme gegriffen werden. Insbesondere die Städte im Ruhrgebiet brauchen dringend Unterstützung, um den Strukturwandel erfolgreich bewältigen zu können. Deshalb halten wir im Anschluss eine Förderung von Kommunen nach Bedarf für den richtigen Weg.

Die Antworten von Oliver Wittke (CDU) 

1. Können Sie sich vorstellen für 8,50 € Stundenlohn vollschichtig zu arbeiten und davon eine Familie zu ernähren? Wer vollschichtig arbeitet, muss davon auch eine Familie ernähren können. Darum setze ich mich für eine von den Tarifpartnern ausgehandelte Lohnuntergrenze ein. Der Staat darf aber keine Löhne bestimmen, wie er auch keine Preise bestimmen darf. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten gute Erfahrungen mit der Tarifautonomie und starken Gewerkschaften sowie starken Arbeitgeberverbänden gemacht.

2. Welche Steuern würden Sie erhöhen und warum? Ich möchte keine Steuern erhöhen, weil das Gift für unsere gut laufende Wirtschaft wäre. Höhere Steuern bedeuteten weniger Wachstum, höhere Arbeitslosigkeit, schlechtere Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft, weniger private Nachfrage und weniger Investitionen.

3. Welche Steuern würden Sie senken und warum? Ich glaube nicht, dass wir großen Spielraum für Steuersenkungen haben. Das zeigt allein der Investitionsbedarf in der Infrastruktur, aber auch in der Bildung oder der Kinderbetreuung. Eine Ungerechtigkeit muss aber in der nächsten Legislaturperiode beseitigt werden: der Staat darf bei normalen Tariferhöhungen nicht den Großteil der Mehreinnahmen des Arbeitnehmers abkassieren. Die ‚kalte Progression‘ muss beseitigt werden.

4. Können Sie sich vorstellen, dass der Soli zukünftig dorthin geleitet wird, wo er am nötigsten gebraucht wird? Als Oberbürgermeister war ich 2002 dagegen, in der Förderpolitik die deutsche Teilung bis 2019 festzuschreiben. Darum darf künftig mit Auslaufen des Solidarpaktes 2 nicht mehr nach Himmelsrichtung gefördert werden. Es darf dann nur noch nach Strukturdaten gehen.

Die Antworten von Ingrid Remmers (Die Linke) 

1. Können Sie sich vorstellen für 8,50 € Stundenlohn vollschichtig zu arbeiten und davon eine Familie zu ernähren? Nein! Ein Stundenlohn von 8,50 Euro greift zu kurz. Er sichert nicht den Lebensunterhalt einer Familie. Als Linke fordere ich die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 10 Euro pro Stunde, der jährlich in dem Maße erhöht wird, wie die Lebenshaltungskosten steigen.

2. Welche Steuern würden Sie erhöhen und warum? Die Linke fordert die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Sie soll gezielt Vermögensmillionäre treffen. Gegen die Folgen der von den Banken verursachten Krise sollten sie auch eine einmalige Vermögensabgabe zahlen. Auch eine höhere Besteuerung von sehr hohen Erbschaften muss möglich sein. Der Spitzensteuersatz wird wie zu Helmut Kohls Zeiten auf 53 % angehoben, wir senken damit die Steuerbelastung mittlerer Einkommen und verringern die kalte Progression.

3. Welche Steuern würden Sie senken und warum? Wir setzen uns für eine Reform der Einkommenssteuer ein. Wer weniger als 5600 Euro pro Monat zu versteuern hat, wird von uns entlastet. Wir wollen u.a. den Grundfreibetrag auf 9300 Euro erhöhen. Außerdem wollen wir die Stromsteuer für private Haushalte um 1,5 Cent pro Kilowattstunde senken, damit der Preisanstieg gebremst wird.

4. Können Sie sich vorstellen, dass der Soli zukünftig dorthin geleitet wird, wo er am nötigsten gebraucht wird? Ein verbreitetes Missverständnis ist die Auffassung, der Solidaritätszuschlag sei eine Sondersteuer, die der Westen für den Aufbau Ost bezahlen muss. Er hat mit dem Solidarpakt, also den Transferleistungen an die ostdeutschen Länder, nichts zu tun. Stattdessen fließt er ohne Zweckbindung ausschließlich in den Bundeshaushalt.

Die Antworten von Marco Buschmann (FDP) 

1. Können Sie sich vorstellen für 8,50 € Stundenlohn vollschichtig zu arbeiten und davon eine Familie zu ernähren? Ein gesetzlicher Mindestlohn hilft hier nicht, wenn der Arbeitnehmer ohne Job gar nichts mehr verdient. Wo es Lohndumping und Missbrauch gibt, wollen wir das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung nutzen – also den Lohn angewendet sehen, den Gewerkschaften und Arbeitgeber ausgehandelt haben. Lohnverhandlungen gehören in Tarifrunden.

2. Welche Steuern würden Sie erhöhen und warum? Steuererhöhungen sind absurd, denn der Staat hat Rekordeinnahmen. Steuererhöhungen würden die gute wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland abwürgen und damit hunderttausende Arbeitsplätze gefährden.

3. Welche Steuern würden Sie senken und warum? Es gibt zwei Stellen, an denen wir die arbeitende Mitte in Deutschland entlasten sollten: Das ist erstens die Abschaffung des Solidaritätszuschlag 2019, denn bis dahin hat er seine Funktion zur Finanzierung des Aufbau Ost erfüllt. Das ist zweitens die Dämpfung der so genannten kalten Progression bei der Lohnsteuer, also die Tatsache dass jeder Arbeitnehmer bei jeder kleinen Lohnerhöhung einen höheren individuellen Steuersatz bezahlen muss, selbst wenn die Lohnerhöhung nur einen Inflationsausgleich darstellt.

4. Können Sie sich vorstellen, dass der Soli künftig dorthin geleitet wird, wo er am nötigsten gebraucht wird? Wir müssen bei der Strukturförderung weg gehen von Himmelsrichtungen und hin zu objektiven Kriterien. Den Soli selber würde ich abschaffen. Dass wir strukturschwachen Regionen und Kommunen anders helfen können, haben wir bewiesen: Durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter und der Kosten der Erwerbsminderung.