Gelsenkirchen.

Ursprünglich wollte NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) über die Verbesserung der Lebenssituation mit Minijobbern und Geringverdienern auf dem Buerer Markt sprechen. Nur von den Angesprochenen war weit und breit nichts zu sehen. Dafür sah er sich auf dem Marktplatz gut drei Dutzend Polizeibeamten gegenüber. Sie waren im Einsatz, allerdings in eigener Sache.

Die Beamten aus dem mittleren Dienst sind es leid, bei Tariferhöhungen leer auszugehen und sprachen mit ihrem ehemaligen Gewerkschaftschef ein ernstes und auch manch lautes Wort. „Warum werden wir wieder übergangen“, machten sie ihrem Ärger Luft. Beschwichtigungs-Bemühungen Schneiders – „Ihr bekommt doch nichts weniger, sondern nichts mehr“ – quittierten sie mit höhnischem Lachen. Einigkeit hört sich anders an.

Beamte dürfen nicht streiken

Seit mehr als 30 Jahren ist Steven Fischer (59) im Polizeidienst. Acht Null-Tarifrunden habe er bereits hinter sich und ihm reiche es jetzt. Auch die beschwörenden Worte Schneiders, das Land müsse sparen, zieht nicht mehr. „Ich lasse mich als Landtagskandidat aufstellen und dann zeige ich euch, wie man das macht“, ruft Fischer unter dem Beifall seiner Kollegen, die den Minister mittlerweile umringen. „Wir sollen immer mehr Überstunden machen und tagelang am Stück arbeiten, aber honoriert wird das nicht“, schimpft ein Beamter vor sich hin. Streiken dürfen die Staatsdiener nicht. Deswegen haben sie ihre Pause auf den Marktplatz verlegt. Sie rechnen Schneider vor, dass sich die Abgeordneten trotz Sparzwang die Erhöhung ihrer Diäten gegönnt haben.

Der Dortmunder kontert verärgert: „Kümmert euch lieber um euren Fußballverein“, und müht sich dann wieder um Sachlichkeit. Das Land müsse kürzer treten und 1,3 Milliarden Euro einsparen. 43 Prozent der Ausgaben seien nun mal Personalkosten. „Lieber bei Tariferhöhungen sparsam sein, als Leute entlassen“, heißt sein Credo. Bei den Beamten trifft es auf taube Ohren, wie Steven Fischer sagt, der seit 32 Jahren in der SPD ist und ein leises „noch“ dazu fügt. In einem offenen Brief der Gewerkschaften im Polizeipräsidium, die 95 Prozent der rund 650 Mitarbeiter vertreten, heißt es: „Rot-Grün in NRW ist keine gute Wahl.“

Jeder vierte Job in Gelsenkirchen ist ein Minijob

Schneider nimmt den Brief und widmet sich dem eigentlichen Thema. Er fordert den Mindestlohn (8,50 Euro) für alle, warnt vor Verelendung. Oberbürgermeister Frank Baranowski weist darauf hin, dass die Stadt allein zwölf Millionen jährlich für Menschen ausgibt, die zu wenig Geld verdienen. Jeder vierte Job ist in Gelsenkirchen ein Minijob. Offene Ohren findet der OB mit dem Vorschlag, einen sozialen Arbeitsmarkt zu schaffen, damit Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauskommen.

Der „Gelsenkirchener Appell“, der im Bundesarbeitsministerium kein Gehör fand, soll nun auf Landesebene in Teilen umgesetzt werden. So jedenfalls sagte es Guntram Schneider gestern.