Gelsenkirchen. . Als wäre der Abriss der 100 Tonnen schweren Eisenbahnbrücke an der Ückendorfer Straße nicht schon spannend genug gewesen: Am Rande der spektakulären Abrissarbeiten, die von einigen Anwohnern und Industrieliebhabern mit Wehmut begutachtet wurden, spielte sich ein regelrechter Krimi ab.
Paul Lindemann, beim Thema Eisenbahn als Hansdampf in allen Gassen bekannt, wollte die historischen und aufwändig gestalteten Säulen der Brücke vor dem Schmelzofen retten. Doch der Reihe nach.
Schon um 6 Uhr in der Früh rückte die Firma „Ingenieur-, Hoch- und Tiefbau GmbH“ aus Bochum mit einer 20 Mann starken Truppe der Brücke auf die Pelle.
Die 100 Tonnen Stahl und Eisen wurden mit Brennern in vier „handliche“ Teile portioniert, die nach und nach per Spezialkran und Tieflader abtransportiert wurden. Normalerweise kümmert sich die Firma um den Aufbau von Brücken. „Die sichelförmige Zoom-Brücke ist zum Beispiel von uns“, sagt Hans-Ulrich Gertz, der am Samstag zusammen mit einem Kollegen die Verantwortung für den Abbau der Brücke trägt. Und der sei allerhöchste Eisenbahn für die Brücke gewesen.
Brücke war komplett baufällig
„Komplett baufällig“, sagt einer der Mitarbeiter am Rande der Arbeiten. „Bis 18 Uhr ist die Brücke weg“, so Gertz. Er ist seit 45 Jahren im Geschäft. „Alles läuft nach Plan, wir kommen gut voran.“ Im Anschluss werde sich eine Spezialfirma für Sägeschnitte bis in die Abendstunden hinein darum kümmern, alles für die neue Brücke vorzubereiten. Insbesondere die Bereiche, wo die alte Brücke links und rechts auflag, müssten laut Gertz bearbeitet und neu eingeschalt werden. „Ab Montag werden wir dann wieder übernehmen und mit dem Bau der neuen Brücke anfangen.“
Stahlkoloss muss weichen
Während sich die Arbeiter um den Abbau kümmern, kommt Paul Lindemann, Vorsitzender des Vereins „Bahnfreunde Bismarck“, ins Schwitzen. Erst vor einer Woche hat er vom Abriss der Brücke erfahren. Trotz der Kürze der Zeit hätte er die ausführende Firma so weit bearbeitet, dass die Säulen mit ihren aufwändigen Ornamenten nicht mit dem Rest der Brücke im Schrott landen. „Das klappt nun leider nicht“, bedauert der Bahnliebhaber. „Die Leute machen ja auch nur ihren Job.“ Und der Auftraggeber, Lindemann vermutet die Firma St. Gobain, sah den Abtransport der kompletten Brücke vor. „Detektiv“ Lindemann kennt natürlich schon den genauen Zielort. „Zum Glück direkt um die Ecke.“ Er will nun Kontakt mit dem Bismarcker Schrotthändler aufnehmen. „Der historische Wert ist ja um ein vielfaches höher als der Schrottpreis.“
Industrieliebhaber nehmen Abschied
„Ich interessiere mich für das Thema Industrialisierung und die Infrastruktur von damals, insbesondere für die Eisenbahn“, erzählt Lutz Schmelzer, der den Abbau der alten Eisenbahnbrücke an der Ückendorfer Straße mit der Kamera festhielt. „Melancholie ist schon dabei, wenn man überlegt, wie viele Menschen hier früher gearbeitet haben“, sagt der 47-Jährige. Schon damals habe er die Bahnen bestaunt, die den Schalker Verein mit Material versorgt haben. Schmelzer wohnt nur einen Steinwurf von der Brücke entfernt. In den 1990er Jahren sei bereits ein Teil der Brücke abgerissen worden. „Es wäre schön, wenn jetzt die Säulen erhalten bleiben.“
Mission: Gusseiserne Säulen retten
„Die Säulen wurden vielleicht sogar hier vor Ort gegossen“, vermutet Paul Lindemann. So schnell wie die Abrissarbeiten begonnen haben, ließ sich die Geschichte der Brücke in Ückendorf nicht mehr genau rekonstruieren. „Fakt ist aber, dass in der Munscheidstraße ein Gussstahlwerk war, dass Gussteile nach Modellen gefertigt hat.“ Da würden die Säulen, die Lindemann retten will, historisch gut hinpassen.
Dem Bahnliebhaber, der schon viele alte Loks vor dem Schmelzofen gerettet und ihnen im Bismarcker Bahnbetriebswerk eine neue Heimat gegeben hat, stört die Kurzfristigkeit der Abrissmaßnahme. „Wenn wir frühzeitiger davon erfahren hätten, hätte man das alles anders steuern können.“ Auf etwa 400 Kilogramm schätzt Lindemann das Gewicht einer der insgesamt neun Säulen. Für seinen finanziell nicht auf Rosen gebetteten Verein steht deshalb ein hartes Stück Arbeit und Verhandlungsgeschick auf dem Programm. „Die Schrotthändler sehen natürlich nur den Preis für das Material.“ Das Alter der Säulen wird auf über 150 Jahre geschätzt. „Zeitlich kann man die Brücke dem Beginn der Köln-Mindener-Eisenbahn zuordnen und damit ging es 1847 in Gelsenkirchen los.“
Paul Lindemann würde die alten Säulen gerne am Bahnbetriebswerk sehen. Seine Vision: Eine schwebende Lok, die durch die Brückenpfeiler getragen wird. Denkmalpfleger Lutz Heidemann hat zudem eine Säulen-Pergola auf dem Gelände des Schalker Vereins ins Gespräch gebracht.