Gelsenkirchen. Beim Arbeitnehmerempfang ging es um gute Arbeit, sichere Renten, ein soziales Europa und die alte Forderung nach gesetzlichem Mindestlohn. Für die Besucher öffnete diesmal Pilkington eine Werkshalle in Rotthausen.
Im Vorfeld des 1. Mai bittet die Stadt-Spitze stets zum Arbeitnehmerempfang. Ein Ort der Arbeit liefert dabei traditionell den Rahmen, diesmal ein international aufgestellter Glasspezialist, die Pilkington Deutschland AG in Rotthausen. Und auch das hat Tradition: Klare Worte zur sozialen Lage, zu Mindestlohn und prekären Beschäftigungsverhältnissen, zu Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechten, zu mancher Schieflage in der Wirtschaft. Und auch die Redner sind Jahr für Jahr gefordert: zunächst Oberbürgermeister Frank Baranowski und dann Dr. Josef Hülsdünker.
Als „Wertschätzung für die Arbeitnehmerschaft und die Gewerkschaften“ wertet der DGB-Chef den Empfang und zeigt sich kämpferisch. „Am 1. Mai wollen wir für gute Arbeit, sichere Renten und ein soziales Europa demonstrieren“ – und gegen ein „Wirtschaftssystem, das Tarifautonomie und Mitbestimmung aushöhlt.“ Hülsdünker hält den Gewerkschafter-Forderungskatalog dagegen: 8,50 Euro gesetzlicher Mindest-Stundenlohn stehen darauf, die Einführung der Vermögens-, eine Finanz-Transaktions- und eine höhere Erbschaftssteuer.
Erste Blitze haben getroffen
Über Europa braut sich aus Hülsdünkers Sicht „ein ökonomisches und soziales Gewitter zusammen. Erste Blitze haben schon Gelsenkirchen getroffen.“ Ähnlich sieht’s Baranowski. Der angekündigte Jobverlust bei Opel in Bochum zeigt auch hier Wirkung, TRW und Thyssen Krupp Electrical Steel machen aktuell Sorgen. Und auch Nachrichten aus dem Stadtnorden stimmen nicht freudig. Beim Chemieunternehmen Sabic in Scholven sollen bis zu 60 Mitarbeiter ihre Jobs verlieren. „All das macht einem zu schaffen. Wir alle sorgen uns um die Zukunft der Betroffenen und um ihre Arbeitsplätze“, so der OB.
Krisen, glaubt Baranowski, „treten vor allem dort auf, wo Entscheidungen aus der Distanz getroffen werden“ – in fernen Unternehmenszentralen oder von Investoren, die Qualitäten hiesiger Standorte gar nicht richtig kennen“. Dennoch: Gelsenkirchen hat seine Wirtschaftsstruktur diversifiziert, im Schnitt entstanden seit 2007 pro Jahr rund neue 1000 Arbeitsplätze. Die Entwicklung, findet der OB, gehe in die richtige Richtung. Die Arbeitslosenquote sank zuletzt auf den niedrigsten Wert seit fast 20 Jahren. Doch „nicht alles läuft gut“. Nicht nur, weil immer noch fast 25 000 Menschen auf Arbeitssuche sind. Der Job-Zuwachs geht für seinen Geschmack zu stark auf das Konto prekärer Beschäftigung und niedriger Lohnquoten. Minijobs, befristete Stellen und unzureichende Bezahlung hatte er auch 2012 gegeißelt. Dass diejenigen, „die den Wohlstand erarbeiten, nicht ausreichend an ihm beteiligt“ werden und die nötige Lohn-Aufstockung die Stadt jährlich einen zweistelligen Millionen-Betrag kostet, war und bleibt für Baranowski ein Skandal.
Glasspezialist von der Autoscheibe bis zum Sonnenschutz
Frische Farbe an den Wänden, Kübelpflanzen und Blumenschmuck, ins Blickfeld gerückte Produktions-Exponate und jede Menge Bilder an den Hallen-Wänden, dazu zig dienstbare Geister hinter zwei Zapf-Theken und dem Büfett: Pilkington hatte sich Montag für die Besucher „fein“ gemacht. Der Glasspezialist bot an der Haydnstraße den Rahmen für den Arbeitnehmerempfang. Werksleiter Dr. Martin Neifer nutzte die Chance, den Standort und das Unternehmen vorzustellen.
Die ur-britische Pilkington Gruppe gehört zur Nippon Sheet Glass (NSG). Weltweit beschäftigt sie 29.000 Mitarbeiter. Der Jahresumsatz liegt bei 5 Mrd. Euro. In Rotthausen beschäftigt Pilkington Deutschland (seit 1980 Mutter der Flachglas AG) auf rund 200.000 m² Betriebsgelände noch rund 600 Menschen. An der Haydnstraße sitzt die Hauptverwaltung für die deutschen Standorte, ebenfalls angesiedelt ist dort das weltweite Rechenzentrum des Konzerns. Die Produktion vor Ort hat Pilkington auf die Veredelung von Gläsern konzentriert. Pilkington-Produkte (Neifer: „Wir wollen Durchblick und Ästhetik“) erfüllen Brand- oder Sonnenschutz, kommen in Autos ebenso zum Einsatz wie in der Architektur. Die Spanne reicht von der gläsernen Innenkuppel des Berliner Reichstag-Gebäudes über den Flughafen Düsseldorf bis zur Fassade des Musiktheaters im Revier.