Gelsenkirchen.
Die Schlange vorm Bühneneingang wird lang und länger. Und die Schlange schnattert immer aufgeregter. Viele kennen sich, andere stehen etwas abseits. Es nieselt, egal. Diese Menschen wollen nur eines: rein ins Theater und rauf auf die Bühne. Einigen Glücklichen wird es am Ende des Castings gelingen.
„Statisten gesucht für den Rosenkavalier“: Clemens Becker aus Recklinghausen ist einer der Theater-Enthusiasten, die diesem Aufruf des Musiktheaters im Revier gefolgt sind. Der 57-Jährige hat auch noch seinen Kumpel Dominic Fox im Schlepptau: „Wir stehen zurzeit beide im Dortmunder Schauspielhaus als Statisten in ,Der Traum der roten Kammer’ auf der Bühne.“ Alte Hasen sozusagen: „Ich habe auch schon bei den Ruhrfestspielen und bei der Triennale mitgespielt.“
„Ein klassisches Unterhaltungsstück“
An Richard Strauss’ Oper „Der Rosenkavalier“ reizt den Mann, der von Haus aus Verwaltungsmitarbeiter ist, dass es „ein klassisches Unterhaltungsstück ist, mit dem man viele Menschen erreichen kann“. Andere wollen einfach mal die Bühnenluft schnuppern, Theaterarbeit kennenlernen.
Regieassistentin Désirée Neumann freute sich über den Andrang ebenso wie der Leiter der Statisterie, Ralf Berg. Um die drei Damenrollen, die es zu besetzen gilt, bewarben sich 15 Frauen, für die sechs Männerrollen stellten sich immerhin zehn Kandidaten vor.
In die Kamera lächeln
Hinstellen und in die Kamera lächeln hieß es dann zu Beginn, nachdem die Anmeldungen ausgefüllt waren. Jeder Bewerber wurde fotografiert. Dann ging’s auf Anweisung des Wiener Regisseurs Philipp Harnoncourt auf die Bretter, die so vielen die Welt bedeuten. Zuerst sind die Damen an der Reihe. Jede gibt eine kurze Visitenkarte ab. Fast alle sind sie auch beruflich stark engagiert, als medizinisch-technische Assistentin zum Beispiel, als Kindergärtnerin, Kauffrau, Fußpflegerin oder Rechtsanwältin.
„Und jetzt laufen sie mal alle im Kreis und nennen ihren Namen“, fordert der Regisseur auf und guckt prüfend hin. Der Mann weiß schließlich, was er will. Sechs Frauen wählt er am Ende aus, auch als Reserve. Die Bochumer Anwältin Annette Kaerder-Steinhoff ist dabei und strahlt: „Hier stehe ich dann das erste Mal auf der Bühne, sonst spiele ich schon mal am Schauspielhaus Bochum.“
Lukas (13) wird der Kellnerjunge
Auch die männlichen Kandidaten drehen konzentriert ihre Runden, und auch hier bleiben nur sechs übrig. Dem Regisseur tun die Absagen leid: „Nehmen Sie’s nicht persönlich, es muss halt zu unserer Produktion passen.“ Und dafür wurden vor allem Bedienstete, Kellner, Lakaien gesucht. Ein Bewerber kam mit seiner Mutter ins Kleine Haus: Lukas aus Herne ist erst 13 Jahre alt, aber schon ein alter Theaterhase. Mutter Gudula Kahlert: „Lukas spielt Theater, seit er fünf Jahre alt ist.“ Den Zuschlag für die Rolle eines kleinen Kellnerjungen bekam er auf Anhieb.
Für Theaterfan Clemens Becker sind am Ende die Träume vom Rosenkavalier geplatzt. Ein paar Sekunden Enttäuschung nur, und er lacht wieder: Das nächste Casting kommt bestimmt, und dann ist er vielleicht wieder genau der Richtige!