Gelsenkirchen.

Langsam dreht sich die alte Dame, bis der Bug in Fahrtrichtung liegt. Der 1000 PS-Motor tuckert leise, 2200 Tonnen plus zweibeinige Fracht gleiten vom Liegeplatz im Hafen Grimberg ihrem Ziel entgegen: der Schleuse Gelsenkirchen. Am Steuer steht Guido Krohmann, Weselaner mit Ostfriesenblut und Wohnsitz Gelsenkirchen. Er ist „Baujahr ‘66“, sein Baby, das betagte Fahrgastschiff „Pirat“ 1904 vom Stapel gelaufen.

Krohmann kennt die wichtigsten Wassertransportwege in- und auswendig. Kein Wunder, 30 Jahre zwischen Rotterdam und dem Roten Meer unterwegs. Rhein, Main, Donau, das waren seine Straßen … immer mit Erz, Kohle, Stahl im Frachtraum seines Koppelverbands mit dem schwimmenden Zuhause: 60 Quadratmeter seine; 80 Quadratmeter die Bordwohnung seiner Eltern Gisela und Peter („Die sind Baujahr ‘44 und ‘43“). Die drei Krohmanns waren als Familienbetrieb unterwegs. „Pirat“-Käpt’n Guido begrüßt kurz seine Gäste: die Schalker Freunde Kraichgau e.V. 50 Fans vom zweitgrößten Knappen-Fanclub Baden-Württembergs wollen nach dem 2:1-Heimsieg der Königsblauen die Tour ins Revier mit zwei Schiffsstündchen ausklingen lassen, bevor es im Bus wieder gen Süddeutschland geht. Neben der Piratenflagge hat Guido Krohmann, „Ehrensache“, eigens Schalke-Flaggen gehisst.

Frachtschifffahrt an den Nagel gehängt

Während der 25 Meter lange und 9,2 Meter breite „Pirat“ im Dauerschneeriesel über den Rhein-Herne-Kanal gleitet, erzählt der Berufsschiffer aus dem Nähkästchen. 2004 hat er die Frachtschifffahrt an den Nagel gehängt. Wie so viele ehemalige deutsche Partikuliere, die vor sinkenden Frachtpreisen, ständig steigenden Dieselpreisen und fahrender Billigkonkurrenz kapituliert haben. Die größte fahrende Konkurrenz komme auch heute noch aus Holland. Den Niedergang der deutschen Binnenschifffahrt macht Krohmann an Zahlen fest: „In den 70er Jahren fuhren noch 12000, heute sind es nur noch etwa 4000 Partikuliere.“

Der 46-Jährige hat für sich allerdings vorgesorgt. Er arbeitet als Lotse oder heuert als Aushilfskraft auf Frachtschiffen an. Außerdem betreibt er einen Schiffsgebrauchthandel. Heißt: Krohmann kauft gebrauchte Schiffe, rüstet sie auf, verkauft sie weiter. Klingt einfach, kann aber auch bedeuten, dass er vielleicht ein Schiff in zwei Jahren an den Mann bringt.

Das Jahr seiner persönlichen Wende 

2011 war das Jahr seiner persönlichen Wende: Er kaufte sein Fahrgastschiff. „Das hatte aber leider einen Maschinen-schaden.“ Krohmann erzählt’s völlig relaxed – sein „Pirat“ ist ja auch längst technisch fit. Der Hafen Grimberg in Bismarck erwies sich für den dreiköpfigen Familienbetrieb obendrein als Glücksfall. „Wir sind hierher gekommen, weil das Hafenstück zu kaufen war. Das ist eher selten, in anderen Häfen kann man Grundstücke mit Anleger meist nur pachten.“

2012 hat Krohmann den Fahrgastbetrieb aufgenommen. „Das war schon ein bisschen ungewöhnlich, nur Menschen zu fahren, statt Kohle, Erz oder Containern an Bord zu haben“, lacht Käpt’n Guido. Für die MS „Pirat“ war es dagegen ein nahtloser Übergang. „Das war schon immer ein Fahrgastschiff und gehörte bis in die 90er Jahre zur Weißen Flotte Potsdam.“

Der Charme verflossener Zeiten und die zum Teil erneuerte Innenausstattung ergänzen sich an Bord zu einem gemütlichen Ganzen mit dem gewissen Etwas. Im „Bauch“ des Schiffes führt Mutter Gisela in der Küche Regie. Ihr Mann Peter übernimmt bei Bedarf das Ruder oder schleppt Getränke. Zwei Bedienungen sorgen dafür, dass niemand lange warten muss.

"Ohne Wasser geht’s gar nich"

Plötzlich Landratten, ein Problem? „Nein“, sagt der Junior der Schifferfamilie. Gut, das erste Jahr nach der Berufsschifffahrt sei vielleicht etwas gewöhnungs-bedüftig gewesen, räumt der Wahl-Gelsenkirchener ein. Seine Mutter, Zeit ihres Ehelebens bis zur Aufgabe des Schubverbandes immer an Bord gewesen, schränkt das für sich etwas ein: „Ohne Wasser geht’s gar nicht.“ Ihr Mann Peter stammt aus einer Schifferfamilie. Als die Zwei sich kennen lernten, war er bei der Reederei WTAG (Westfälische Transport-Aktien-Gesellschaft) beschäftigt. „1968 haben wir uns mit Schleppbooten selbstständig gemacht.“ Da war Sohn Guido gerade mal zwei Jahre alt. Später besuchte er die Schifferschule. Mit Erfolg. Gisela Krohmann, selbst Steuermann, lacht: „Der Lümmel hat sogar ein Patent mehr als mein Mann.“ Deutsche Donau bis Budapest. Das sei schwer.

Jetzt steht also ein Fahrgastschiff im Mittelpunkt des Familien-lebens – wozu übrigens auch Sohnemanns drei Hunde gehören. 2012 haben Krohmanns angefangen. Regelmäßige Wochenend-Touren und Charterfahrten. Letztere bietet Käpt’n Guido das ganze Jahr über an. Die Baden-Württembergischen Schalke-Fans haben am Sonntag davon profitiert.

Gefunden haben sie den „Pirat“ übrigens im Internet, wo sich auch andere Interessierte Auskunft holen können: www.fahrgastscchiff-pirat.com

Und dann: Ahoi!