Gelsenkirchen. Zeitzeugen der Machtübergabe vor 80 Jahren berichten auf dem Ückendorfer bauspielplatz von ihren Erlebnissen. Verhaftungen, Judenverfolgung und Tod von Angehörigen bewegen die Kriegsgeneration bis heute.
Unter Tränen berichtet die ältere Dame im Publikum wie ihr Bruder zu Beginn des zweiten Weltkriegs 1939 zum Wehrdienst eingezogen wurde. Wenig später starb der 18-Jährige in Tiflis. Gelsenkirchener Zeitzeugen berichteten am Freitagabend im Café Kännchen an der Bochumer Straße eindrucksvoll von ihren Erlebnissen während der Machtübergabe und in den Kriegsjahren. Der Förderverein des städtischen Bau- und Abenteuerspielplatzes hatte zu der schmerzvollen Reise in die Vergangenheit eingeladen.
„Ich denke beinahe jeden Tag an die Zeit“, sagt Gertrud Küper. Einrichtungsleiter Gregor Rüdel konnte die 82-Jährige dafür gewinnen, ihre Geschichte auf der Bühne, die einem alten Wohnzimmer nachempfunden war, zu erzählen. Rüdel: „Es gibt nicht Viele, die darüber sprechen.“ Wenn man Küper zuhört, durchaus nachvollziehbar. Das Ückendorfer Urgestein hat als Kind hautnah miterlebt wie die alte Synagoge niedergebrannt wurde. „Und die Nazis haben dafür gesorgt, dass niemand löscht.“
Verhaftungen an der Tagesordnung
Auch bei dem Treffen in einer Gaststätte an der Arminstraße, bei dem der damaligen Vikar Heinrich König seine ablehnende Haltung zum NS-Regime zum Ausdruck brachte, war Küper dabei. „Mein Mann hatte bei König Unterricht.“ Wenig später sei der Geistliche denunziert und von der Gestapo verhaftet worden.
„In Dachau hat man ihn mit Menschenversuchen zu Tode gequält.“ Verhaftungen seien damals an der Tagesordnung gewesen. Gregor Rüdel hakte als Moderator nach, warum damals niemand eingegriffen habe. „Es sind doch auf einmal jüdische Mitschüler einfach nicht mehr da gewesen.“ Küper und Besucher im Publikum, die viele Beiträge aus ihrer Sicht einbrachten, nennen als einen Grund das Klima der Angst. Niemand habe sich vertraut, Nachbarn hätten sich gegenseitig angezeigt.
„Was damals mit den verschwundenen Menschen passierte, wussten wir als Kinder nicht genau.“ Ein älterer Mann berichtet von Jugendlichen, die sich regelmäßig am Schalker Verein getroffen haben. „Eine Gegenbewegung und von heute auf morgen waren die nicht mehr da.“ Auch von einer „Panzerschicht“ in den Zechen weiß er zu berichten - „zur Finanzierung der Rüstungsindustrie.“ Küper kann sich auch an den Tag nach der Pogromnacht erinnern. „Die Bahnhofstraße war voller Scherben.“
Enttäuscht zeigte sich Rüdel vom fehlenden Besuch junger Gäste. Nachgeholt werden kann dieser bei zahlreichen weiteren Veranstaltungen. „Wir wollen Jugendliche mit der Machtübergabe vor 80 Jahren konfrontieren“, so Michael Hannrath-Hanasek, Abteilungsleiter Jugend- und Familienförderung beim Referat Erziehung und Bildung.