Gelsenkirchen. Ehrung für Dr. Rudolf Bertram, früherer Chefarzt am St. Josef-Krankenhaus. Gelsenkirchener Künstler Heinz Rotthoff dokumentiert mit seinem Bild auch die Leiden der Zwangsarbeiterinnen

„Ihr sollt nie vergessen sein“, ist in hebräischer Schrift auf dem 2,80 Meter mal 1,40 Meter großen Bild zu lesen. Für den Gelsenkirchener Architekten und Künstler Karl-Heinz Rotthoff ist es ein Dokument, das an die unmenschlichen Leiden und Qualen der 2000 Zwangsarbeiterinnen bei Gelsenberg-Benzin AG im Jahr 1944 erinnern soll. Im Foyer des St. Josef-Krankenhauses mahnt es Besucher: Auch die schreckliche Zeit während des barbarischen Nazi-Regimes gehört zur Stadtgeschichte.

Das Bild gibt einen plastischen Eindruck wieder vom 11. September 1944, als bei einem Bombenangriff 155 jüdische Frauen, die meisten ungarischer Herkunft, starben. Inmitten zerstörter Werksanlagen räumen Frauen, von SS-Leuten bewacht, die Trümmer beiseite. Namenszüge von vier Zwangsarbeiterinnen sind zu erkennen, die diese kurz vor ihrem Tod unter einer Treppe in die Wand eingeritzt hatten.

Die Rolle mutiger Menschen

Aber auch die Rolle mutiger Menschen, die trotz eigener Lebensgefahr dem grausamen Regime trotzten und den jüdischen Frauen halfen, ist auf dem Bild festgehalten. Mit Hartnäckigkeit und seiner Autorität als Mediziner bot der damalige Chefarzt der Chirurgie am St. Josef-Krankenhaus, Dr. Rudolf Bertram, den Nazi-Schergen die Stirn, rettete 17 Frauen, die er versteckte, das Leben.

Mit dem Fahrrad war er unterwegs zwischen den Krankenhäusern St. Josef und dem Marienkrankenhaus in Rotthausen, um die verwundeten jüdischen Frauen zu versorgen. Er verlängerte deren Aufenthalt, um sie vor dem Zugriff der SS-Schergen zu schützen.

In Zelten zusammengepfercht 

Bevor das Bild entstand, hatte Karl-Heinz Rotthoff lange recherchiert, sich ein Bild gemacht von den erbärmlichen Umständen, unter denen die Zwangsarbeiterinnen bei Gelsenberg-Benzin AG, der heutigen BP, schuften mussten. Als SS-Arbeitskommando gehörten es zu einem Außenlager des KZ Buchenwald. Die Frauen lebten zusammengepfercht in Zelten, mussten mit bloßen Händen Trümmer, zerstörte Stahlkonstruktionen von Öltürmen und Fabriken beseitigen.

Täglich kam es zu Misshandlungen. Die Frauen, kahlgeschoren, die jüngsten waren erst 15, lebten unter erbärmlichen hygienischen Verhältnissen. Kalk- und Zementstaub verletzten wegen mangelnder Reinigungsmöglichkeiten die Haut. Den Lanferbach mussten die Zwangsarbeiterinnen von auslaufendem Öl reinigen. Um vier Uhr begann der harte Arbeitstag. Das Frühstück bestand aus einer Tasse schwarzen Ersatzkaffees, die Abendration aus einer dünnen Gemüsesuppe und einer Kartoffel. Einmal wöchentlich gab’s eine Scheibe Brot.

„Es ließ mich nicht mehr los"

Wissenschaftliche Arbeiten über die Zwangsarbeit bei Gelsenberg existieren bereits. Rotthoff wollte mehr erfahren über die Leiden der Frauen, aber auch über die Rolle der Helfer. „Es ließ mich nicht mehr los, ich sprach mit Zeitzeugen und Angehörigen.“ Seine Eindrücke fasste der 75-Jährige in seiner Dokumentation „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“ und auf dem Bild zusammen. Die Namenszüge der verzweifelten Frauen sind auf dem BP-Gelände immer noch an der Wand unter der Treppe zu erkennen. Und der Lanferbach, der über viel Leid, Verzweiflung und Todesangst zu erzählen wüsste, fließt heute friedlich auf dem einstigen Gelände von Tod und Terror.

2000 Frauen kamen am 13. Juni 1944 am Güterbahnhof an und wurden per Fußmarsch zum Ort ihrer Zwangsarbeit nach Horst getrieben. Bis auf 35 kg magerten viele Frauen bei ihrer Schwerstarbeit ab. Im Freien erlebten sie die Luftangriffe. Luftschutzkeller durften Juden nicht aufsuchen.

Höchste zivile Auszeichnung

Bei der Gestaltung des Bildes inspirierten Karl-Heinz Rotthoff vor allem die Berichte von Ortrud Kathol-Bertram, der Tochter des Chefarztes. Die Frauen, die ständig in Todesangst lebten, hätten Vertrauen zu ihrem Vater gefasst. Der hatte die Zwangsarbeiterinnen in ihrer Muttersprache Ungarisch angesprochen. Erst jetzt hatte die Tochter den voller Herzlichkeit und Dank formulierten Brief der geretteten Frauen an den Vater in dessen Ordner entdeckt. In einem Brief an „meine lieben 17 ungarischen Kinder“ sprach Dr. Bertram in seiner Antwort den Frauen Mut und Zuversicht zu, wollte von Dank nichts wissen.

Eine der Geretteten gab den Anstoß für die höchste zivile Auszeichnung für Dr. Bertram durch den Staat Israel. Posthum wird er 1980 in der Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. In der Inschrift ist zu lesen „Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt“. Dank und Bewunderung für den Mut des Mediziners empfindet auch die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen, Judith Neuwald-Tasbach. Unter den 17 geretteten Frauen befand sich auch ihre Mutter.