Gelsenkirchen.

80 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und 68 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz steht neben dem Gedenken immer auch die Frage: Wie konnte das geschehen? Wie konnte ein derart menschenverachtendes Terror-Regime zwölf Jahre lang Juden, politisch Andersdenkende, nicht in dieses wahnsinnige System Passende verfolgen, foltern, verletzen, ihrer Menschenwürde berauben, ermorden? Auch Manfred Faist fragt sich das.

Das älteste der drei Faist-Geschwister war sieben Jahre alt, als die Waffen schwiegen, als der Zweite Weltkrieg und die unerträglichen Verbrechen des braunen Terrorregimes endlich ein Ende hatten. Das düstere Kapitel deutscher Geschichte bewegt den heute 74-Jährigen sehr persönlich. Sein Vater Otto Faist – er war von 1938 bis 1942 Erfolgs-Trainer des FC Schalke 04 und hat die Knappen zu drei Meistertiteln geführt – war ein überzeugter Anhänger Adolf Hitlers. Bereits drei Monate nach dessen Machtergreifung am 30. Januar 1933 war Faist der NSDAP beigetreten. „Ich kann das einfach nicht verstehen“, sagt der Sohn. „Es beschäftigt und beunruhigt mich schon sehr lange: Wie ist so etwas möglich? Wie konnte er nur? Dieser feste Glaube an Hitler ist für mich und meine Geschwister nicht nachzuvollziehen.“

Intensive Ursachenforschung

Er beschreibt seinen Vater, gestützt auf Briefe, Dokumente und eigene, kindliche Erinnerungen als Mitläufer. Als einen, der nicht den geringsten Vorteil aus seiner Parteimitglied-schaft gezogen habe. Ein intelligenter, angenehmer Mensch, ein liebevoller Vater und guter Ehemann sei er gewesen. Und dennoch: „Wie konnte mein Vater dieser Ideologie erliegen?“

Die Ursachenforschung mag für den Psychologen umso schwieriger sein. Aber er hat sich der emotional so schwierigen Herausforderung gestellt. Sachlich stellt er heute fest: „Ich habe mich geweigert, das unter den Tisch zu kehren.“ Wie es in so vielen Familien geschehen sei. „Ich habe das Glück, dass ich Unterlagen habe“, erzählt er. Gut erhaltene, aufschlussreiche. Eine Antwort auf eine von Faists grundsätzlichen Fragen liefern sie dennoch nicht: „Ich verstehe nicht, warum mein Vater nicht frühzeitig gemerkt hat, was da vor sich gegangen ist.“ Anders sah das Cilly Faist. „Meine Mutter war eine ängstliche Frau, die das Unheil hat kommen sehen.“

1942 musste der Schalke-Trainer als Soldat an die Ostfront. Er habe sich nie darum bemüht, einen Offiziersgrad zu bekommen. Auch das wertet der älteste Faist-Sohn als Indiz für die Mitläuferschaft. „Er war Sportler und hat sich immer um seine Leute gekümmert. Ich kann mir vorstellen, dass er als Offizier nicht seine Leute in den Krieg schicken wollte.“

Brief an Malin

Im Februar 1946 starb Otto Faist in russischer Kriegsgefangenschaft. Ein Jesuitenpater aus Recklinghausen führte vor seinem Tod Gespräche mit Manfred Faists Vater. Und schrieb der Familie, dass ihn am Ende die Einsicht beschlichen haben muss, was für ein verbrecherisches System die Nazis betrieben hatten. Manfred Faist bedeutet diese Erkenntnis viel. „Ich habe meinen Frieden mit ihm gemacht, weil ich weiß, dass er teuer bezahlt hat.“ Aber er setzt nachdenklich nach: „Ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, wenn mein Vater aus der Gefangenschaft zurück gekommen wäre.“

Manfred Faist hat seine Geschichte auf 250 Seiten nieder geschrieben. Auf Bitten seiner Tochter Christiane, die ihn eines Tages bat, etwas über sein Leben aufzuschreiben. „Brief an Malin“ hat er sein Werk überschrieben. Malin, seine fünfjährige Enkelin, wird es irgendwann einmal lesen und sich vielleicht auch fragen, warum der Urgroßvater ein Hitler-Anhänger war.