Gelsenkirchen. Die ersten Besucher haben am Samstag die Plattform auf dem Nordsternturm erklommen. Auch das Videokunstzentrum in der 11. Etage öffnete erstmals seine Pforten

„Mal sehen, was die aus meinem alten Wohnzimmer gemacht haben“, frotzelt Reinhold Adam in der ihm eigenen bergmannstypischen Art. Der letzte Betriebsratsvorsitzende der Zeche Nordstern überzeugte sich am Samstag persönlich vom neuen Videokunstmuseum im und der Aussichtsplattform auf dem Turm „seines“ Pütts. Ein weiteres Kapitel in der wechselhaften Geschichte des Nordsterngeländes ist eröffnet. Seit dem Wochenende sind die beiden Attraktionen zugänglich.

Ein steife Brise pfeift dem Besucher der Plattform in 83 Metern Höhe am Samstag um die Ohren. Der Regen sorgt für dicke Tropfen auf der Glasscheibe, die einen atemberaubenden Blick vom äußersten Rand des Turmes hinab in die Tiefe gewährt. Mit der Weitsicht ist es bei verhangenem Himmel aber so eine Sache. Nur die markanten Landmarken wie Arena, Zollverein oder das Chemie-Ensemble in Hassel fallen dem Besucher in der 18. Etage sofort ins Auge. Dass die 23 Tonnen schwere Herkules-Plastik von Markus Lüpertz den Gästen nur den Allerwertesten entgegen streckt, fällt da kaum noch ins Gewicht. Zum Verweilen lädt dagegen auch bei schlechtem Wetter das Videokunstzentrum ein. Die imposante Fördermaschine, die die Kumpels und das schwarze Gold einst transportierte, nimmt den Museumsgast am Eingang in der 11. Etage im alten Teil des Nordsternturmes in Empfang.

Symbiose von Kunst und Gebäude

Die Geschichte des Gebäudes ist allgegenwärtig, stellt Kunst und Künstler aber keineswegs in den Schatten. „Wo es geht, arbeiten wir mit dem Bestand“, sagt Marie Mense, Geschäftsführerin der für das Museum gegründeten Betreibergesellschaft. Die moderne Technik fügt sich auf 5. Etagen erstaunlich oft nahtlos in das über 60 Jahre alte Gebäude ein. Mense: „Der ungewöhnliche Ort ist für die Leihgeber sehr interessant.“

Das Thema der Ausstellung, „Schichtwechsel“, passt wie die berühmte Faust auf’s Auge. Der Besucher sieht Menschen beim Broterwerb. Werke wie „Arbeiter verlassen die Fabrik in 11 Jahrzehnten“ von Harun Farocki oder Anna Molskas „Die Weber“, das sich schlesischen Bergarbeitern widmet oder auch Charles Nelsons „Mutropolis“ bilden eine besondere Symbiose mit dem Gebäude. Neben der Wechselausstellung, die noch bis Juli 2013 läuft, gibt es in der 9. Etage ein Archiv zur Geschichte der Videokunst, die ihre Anfänge in den 1960er Jahren hatte. „Wir wollen die Besucher der Plattform, die vielleicht nicht primär wegen der Kunst hier sind, in das Museum locken“, wünscht sich Marie Mense. Das Videokunstzentrum öffnet samstags und sonntags (11 bis 18 Uhr). 3 € Eintritt beinhaltet die Besucherterrasse. Die ist auch von Mo-Fr (10 bis 17 Uhr) witterungsabhängig zum Preis von 2 Euro zugänglich. Und Reinhold Adam? Der ewige Kumpel lobt den Schichtwechsel: „Museum und Plattform sind für die Menschen und die Region eine sehr große Bereicherung.“