Gelsenkirchen. In den 1980-er Jahren vergewaltigte Karl D. auf brutale Weise drei Schülerinnen. Nach seiner Freilassung wurde er dauerüberwacht, ging dann freiwillig in die Sozialtherapeutische Anstalt. Nun will er in Gelsenkirchen in eine Wohnung ziehen - der Mann gilt aber immer noch als sehr gefährlich.

Im März 2011 erreichte die WAZ-Redaktion ein anonymer Hinweis aus der Bevölkerung. Karl D. sei auf eigenen Wunsch in der Sozialtherapeutischen Anstalt („Sotha“) an der Munckelstraße untergebracht worden, hieß es damals – ein Tipp, der durch Recherchen bestätigt wurde. Bei dem Mann handelt es sich um einen verurteilten Sexualstraftäter, der seit seiner Freilassung im Jahr 2009 bei seinem Bruder und dessen Familie in Heinsberg-Randerath wohnte und dort durch die Polizei dauerüberwacht worden war.

Nun erreichte die Redaktion erneut ein Schreiben ohne Absender. Der Inhalt: Karl. D wolle die „Sotha“ verlassen und in Gelsenkirchen in eine Wohnung ziehen, die er auf dem freien Markt gemietet habe. Die Recherche bestätigte das. Damit kann man es in diesem Fall aber nicht bewenden lassen. Denn D. hat seine Haftstrafe zwar verbüßt, ist somit ein freier Mann, gilt aber auf der Basis eines Gutachtens in Kreisen der Polizei nach wie als vor sehr gefährlich, als therapieresistent und wahrnehmungsgestört. Womit sich konkret die Frage nach der Sicherheit der Allgemeinheit stellt.

Die zweite Tat blendet er völlig aus

Laut Recherche der WAZ Mediengruppe hat sich D. zwar mit seiner ersten Tat beschäftigt, sie eben wurde gutachterlich aufgearbeitet, doch die zweite, die als wesentlich brutaler durchgeführt geltende Vergewaltigung, nehme er bis heute nicht als seine eigene wahr, heißt es. Er blende sie völlig aus und behaupte, die Tat nicht begangen zu haben, weshalb er sich auch nicht mit ihr auseinandersetzen müsse.

Nicht zuletzt aufgrund dieses Verhaltens geht die Polizei davon aus, dass das Gefahrenpotenzial des ehemaligen Gabelstaplerfahrers nach wie vor sehr hoch ist und sich unter Umständen in einer weiteren Gewalttat äußern könnte. Die enorme Verantwortung, D. womöglich ohne Beobachtung aus der „Sotha“ in die Gesellschaft zu entlassen, will niemand übernehmen – was angesichts bestehender Auflagen aber ohnehin nicht ginge.

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Die Geschichte Karl D.s liest sich sachlich formuliert so: In den 1980-er Jahren vergewaltigte er in zwei Taten drei Schülerinnen – auf besonders brutale Weise. Nach seiner Entlassung kam ein Gutachter zu dem Ergebnis, dass D. einen Hang zu erheblichen Straftaten habe und infolgedessen zu erwarten sei, dass er künftig mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen werde. Die Münchener Staatsanwaltschaft beantragte nachträgliche Sicherungsverwahrung, doch sowohl das Landgericht als auch der Bundesgerichtshof sahen dafür keinen Anlass.

Karl D. wurde 24 Stunden am Tag überwacht 

Karl D. zog es daraufhin nach Heinsberg-Randerath zu seinem Bruder und dessen Familie. Doch in der Stadt, die mit gut 40.000 Einwohnern zum Regierungsbezirk Köln zählt, fand er keine Anonymität. Der Landrat des Kreises, Stephan Pusch, ging von einer Gefährdung der Bevölkerung aus, weil der Mann sich in Haft nicht therapieren lassen wollte. Die Polizei überwachte D. daraufhin 24 Stunden am Tag auf Schritt und Tritt. Die Heinsberger Bürgerschaft, ebenfalls von Pusch informiert, richtete Mahnwachen ein und organisierte den Dauerprotest. Die Polizei musste sogar eine Schutzzone rund um das Haus einrichten.

Gegen die Dauerüberwachung klagte die Familie – vergebens. Das Verwaltungsgericht Aachen entschied im Januar 2011: D. darf überwacht werden. Das Gericht ging in seiner Begründung davon aus, dass er eine Gefahr für die Allgemeinheit wäre und bestätigte damit, das D. eine Person sei, die Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ begehen wolle. Denn das steht in § 16 des Polizeigesetzes NRW als Begründung für eine längere Observation.

Karl D. lebt aktuell freiwillig in der Sozialtherapeutischen Anstalt an der Munckelstraße. Er lebt dort, um sich der öffentlichen Hatz zu entziehen, die dauerhaft auf ihn veranstaltet worden war.

Der öffentlichen Hatz entzogen

Die Einrichtung in der Gelsenkirchener Altstadt hat einen besonderen Charakter: Sie ist eine Sondereinrichtung des geschlossenen Strafvollzuges für erwachsene Männer in NRW, verfügt über maximal 57 Haftplätze und hat den Auftrag, „behandlungsgeeignete und behandlungsmotivierte Straftäter mit spezifischen therapeutischen Mitteln und sozialen Hilfen zu befähigen, nach der Entlassung ein Leben in sozialer Verantwortung ohne erneute Straffälligkeit zu führen“. Gleichzeitig soll der Vollzug der Freiheitsstrafe so gestaltet werden, dass ein höchst mögliches Maß an Sicherheit garantiert ist.

Für weitere Dauerüberwachung würde mehr Personal benötigt 

Für Oberbürgermeister Frank Baranowski ist angesichts der Situation völlig unstrittig: „D. muss dauerüberwacht werden, 24 Stunden am Tag, wenn er in Gelsenkirchen, wie offenbar beabsichtigt, eine Wohnung bezieht.“ Das habe er Polizeipräsident Rüdiger von Schoenfeldt in einem Gespräch mitgeteilt. „Aber es ist auch völlig klar: Wenn es so kommt, muss das Innenministerium zusätzliches Personal für diese Aufgabe abstellen. Noch weniger Polizisten für die allgemeinen Aufgaben sind unakzeptabel.“

In Heinsberg waren 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche jeweils vier Beamte in drei Schichten vor Ort.

Eigentümer wollte ihm die Wohnung nicht überlassen

Der aktuelle Versuch D.s, eine Wohnung zu finden, ist im Übrigen nicht der erste. Bekannt ist ein Wechselgedanke über die Stadtgrenze nach Essen, mit dem er scheiterte. Auch in Gelsenkirchen hat ein Eigentümer abgelehnt, ihm eine Wohnung zu überlassen, als er erfuhr, wer sein künftiger Mieter sein würde.

Dass D. überhaupt glaubt, auf privatem Weg ein Dach über dem Kopf bekommen und anonym bleiben zu können, erstaunte in der Recherche so manchen Gesprächspartner. Eine Dauerobservation vor einem Mehrfamilienhaus würde in einer Nachbarschaft nie unbemerkt bleiben, lauteten einhellig die Aussagen.

Was Karl D. zu dieser Annahme verleiten mag, könnten seine bisher völlig problemlos verlaufenen Freigänge sein. Er bewegt sich in der Stadt, allerdings nie ohne eine Polizei-Eskorte in Zivil, die ihn auf Schritt und Tritt begleitet. Das gehört zu den Abmachungen des Präsidiums mit der „Sotha“-Leitung: immer rechtzeitig informiert zu werden, wenn D. raus will, um dabei zu sein. Ausnahmslos.