Gelsenkirchen. Junge Erwachsene des Weiterbildungskollegs Emscher-Lippe, der Schule ohne Rassismus und mit Courage, besuchten am Montag den jüdischen Friedhof in Ückendorf und erfuhren viel über jüdische Trauerkultur.

Der Ort der Ewigkeit verunsichert einige der jungen Männer anfangs spürbar. Aufsetzen oder nicht, diese kleine, runde Kopfbedeckung ...? Verlegenes Grinsen. Also, erstmal Kapuze über die Ohren ziehen. Darauf waren sie nicht vorbereitet.

Schließlich aber trugen alle Männer eine Kippa. Auch der letzte Zweifler erbot dem Ort jüdischer Trauerkultur auf sanften Druck von Judith Neuwald-Tasbach – „Bitte, wir machen das hier so“ – den gebührenden Respekt. Nach dem kurzen Vortrag der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in der kleinen, schlichten Trauerhalle auf dem Ückendorfer Friedhof, wird er sagen: „Ich hatte ein Problem damit, weil ich Moslem bin. Ich wusste nicht, ob ich das darf. Aber dann dachte ich, dass man überall die Toten ehrt.“

In der Schiwa bleibt ein trauernder Mensch niemals alleine

Wie Menschen jüdischen Glaubens ihre Verstorbenen verabschieden, berichtet Judith Neuwald-Tasbach den Oberstufenschülern des Weiterbildungskollegs Emscher-Lippe. Es ist Teil 2 des ersten Projekttages gegen antisemitische Vorurteile. An der Schule gebe es die nicht, hatte Schulleiter Günter Jahn morgens betont. Und Judith Neuwald-Tasbach mahnte: „Vorurteile, gleich welcher Art, dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.“

Jetzt, am Ort der Ewigkeit, erzählt sie den Oberstufenschülern von der Totengesellschaft, von den Frauen und Männern, die Verstorbene waschen und kleiden. „Im Tod ist bei uns jeder gleich“, sagt sie. Daher würden Juden auch im gleichen, schlichten Gewand zu Grabe getragen. Und sie stellt eine Gemeinsamkeit fest: „Wir beerdigen in Israel wie im Islam die Toten ohne Sarg und wegen der Hitze so schnell wie möglich.“ In Deutschland würden Juden ausschließlich in ganz schlichten Särgen bestattet.

Ein Jahr lang nicht zum Friedhof gehen

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde erzählt von der Schiwa (hebräisch Sieben), der ersten Woche intensiver Trauer, berichtet, dass Juden nach dem Tod eines Angehörigen ein Jahr lang nicht zum Friedhof gehen sollen, um nicht in Trauer zu versinken, sagt, dass erst nach einem Jahr der Grabstein gesetzt wird. „Das will die Religion so.“ Bis zur Beschriftung des Gedenksteins beziehungsweise der Grabplatten gelte es, jüdische Regeln einzuhalten.

So würden oben immer die beiden hebräischen Buchstaben für „Hier ruht“ und unterhalb des Namens der Satz „Möge die Seele eingebunden sein in das Bündel des Lebens“ darauf stehen. Schließlich erklärt Neuwald-Tasbach, warum Juden kleine Steine anstelle von Blumenschmuck auf die Gräber gelegt werden: „Meine Religion kommt aus einem heißen Land.“

Ein Schüler, der etwas von der Gruppe abgerückt ist, um Gräber zu betrachten, fragt am Ende: „Darf ich einen Stein auf das Grab legen?“ Natürlich darf er. Judith Neuwald-Tasbach lächelt. Ganz ernst dagegen ist sie zum Schluss. „Was macht aus einem normalen, netten Menschen eine Bestie?“ habe sie sich vor dem Hintergrund der grauenvollen Nazitaten immer wieder gefragt. Die Antwort: „Diese Menschen haben ihre Verantwortung abgegeben und gesagt: Aber es war doch mein Auftrag.“ An ihre Besucher gerichtet appellierte sie: „Sie sind unsere Zukunft. Lassen sie so etwas nicht mehr zu!“