Gelsenkirchen.

Der Weggefährte lässt sich nicht leugnen: Norbert Labatzki und der im August 2010 verstorbene Christoph Schlingensief arbeiteten einige Zeit intensiv zusammen. Aus dieser Zeit, Mitte der 1990er Jahre, stamme die Idee zum Projekt „Mazel Tov“ (übersetzt: „viel Erfolg“ oder „viel Glück“), einer historischen jüdischen Hochzeit, sagt der Gelsenkirchener Musiker. „Inszeniert als Kunstform, in der die Grenze zwischen Publikum und Bühnenkünstler schwindet, sich aufhebt und daraus eine eigene Dynamik der Dramaturgie entsteht.“

Norbert Labatzki spricht von einem interaktiven Stück, einem Spiel ohne sichtbare Grenze zwischen Schauspieler und Zuschauer, die selbst zum Bestandteil des Stücks werden – nicht nur als Gäste an einer Hochzeitstafel, wie sie vor 120 Jahren in Osteuropa bestand, sondern als aktiver Teil des Spiels.

Mit Schlingensief habe er früher die Idee einer Umsetzung gewälzt, nun wähnt Labatzki sich an einem Punkt, die Umsetzung angehen zu können, die vorher immer wieder ergebnislos verworfen worden war. „Das Musiktheater im Revier unterstützt uns in den Kostümfragen, es gibt eine Zusammenarbeit mit der Umbra-Kunstfabrik. Die Jüdische Gemeinde Gelsenkirchen berät uns bei der Umsetzung. In Personen durch die Vorsitzende Judith Neuwald-Tasbach und Rabbi Kornblum. Es ist wichtig, dass wir alles richtig machen. Das muss einfach sein. Und die Werbeagentur face unterstützt uns bei der Vermarktung.“

Publikum wird Teil einer Festfesellschaft

Wie konkret das Vorhaben „Mazel Tov“ ist, zeigt diese Nachricht: Premiere soll am 6. Mai 2012 um 17 Uhr sein. Der Ort der Erstaufführung ist die Essener Zeche Zollverein, die eigens auf eine Miete verzichtet und so ihren Teil für die Realisierung eines ungewöhnliches Projektes beiträgt. Gleiches gilt auch für den Gelsenkirchener Wissenschaftspark. Dort soll das Stück im Rahmen des 3. Internationalen Festivals „Klezmerwelten“ aufgeführt werden. Für eine geplante dritte Aufführung werden noch Sponsoren gesucht. 50.000 Euro fehlen für die Realisierung.

Der Durchbruch, die Idee in die Tat umzusetzen, kam im Jahr 2009. Damals war Norbert Labatzki als Musiker und Schauspieler Teil der „Anatevka“-Produktion: „Die Struktur meiner Inszenierung sollte ein Familienfest sein – und das Publikum wird Teil einer Festgemeinschaft, die mit am Tisch sitzt. Und da mein Herz der Klezmermusik gehört, war schnell klar: Es muss eine jüdische Hochzeit sein.“

Christoph Schlingensief

Christoph Schlingensief ist tot. In dieser Fotostrecke dokumentieren wir sein Leben.
Christoph Schlingensief ist tot. In dieser Fotostrecke dokumentieren wir sein Leben. © ddp
Schlingensief wurde 1960 in Oberhausen geboren. In München studierte er Philologie, Philosophie und Kunstgeschichte.
Schlingensief wurde 1960 in Oberhausen geboren. In München studierte er Philologie, Philosophie und Kunstgeschichte.
Zum Film kommt Schlingensief Anfang der 80er Jahre als Assistent des Experimentalfilmers Prof. Werner Nekes.
Zum Film kommt Schlingensief Anfang der 80er Jahre als Assistent des Experimentalfilmers Prof. Werner Nekes. © ddp
Sein eigener erster Langfilm wird 1987 mit dem Titel
Sein eigener erster Langfilm wird 1987 mit dem Titel "Tunguska - Die Kisten sind da" veröffentlicht.
Bekannt wird er jedoch erst zwischen 1989 und 1992, weil seine Deutschlandtriologie für Diskussionen sorgt.
Bekannt wird er jedoch erst zwischen 1989 und 1992, weil seine Deutschlandtriologie für Diskussionen sorgt. © WAZ
Die Triologie besteht aus den Filmen
Die Triologie besteht aus den Filmen "100 Jahre Adolf Hitler - Die letzten Stunden im Führerbunker", "Das Deutsche Kettensägenmassaker" und "Terror 2000 - Intensivstation Deutschland".
1998 folgt sein Theaterdebüt mit dem Titel:
1998 folgt sein Theaterdebüt mit dem Titel: "100 Jahre CDU - Spiel ohne Grenzen". Im gleichen Jahr gründet er auch die Partei "Chance 2000".
2007 bekommt Christoph Schlingensief den Ruhrpreis der Stadt Mülheim, hier zu sehen mit dem Kulturausschuss und dem Kulturdezernenten. Zuvor versucht er sich als TV-Moderator der medienkritischen Sendungen
2007 bekommt Christoph Schlingensief den Ruhrpreis der Stadt Mülheim, hier zu sehen mit dem Kulturausschuss und dem Kulturdezernenten. Zuvor versucht er sich als TV-Moderator der medienkritischen Sendungen "Talk 2000" und "U 3000". © NRZ
Im Jahr 2000 sorgte Schlingensief vor allem in Österreich für Diskussionen: Dort stellte er Container vor die Staatsoper. Die Idee stammte aus der Fernsehshow
Im Jahr 2000 sorgte Schlingensief vor allem in Österreich für Diskussionen: Dort stellte er Container vor die Staatsoper. Die Idee stammte aus der Fernsehshow "Big Brother", nur das Schlingensief Asylbewerber in dem Container wohnen ließ. Das Ganze sorgte über Wochen für politische Diskussionen. © ddp
Seine erste Oper inszeniert Schlingensief 2004 im Rahmen der Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele. Zwei Jahre später verabschiedet er sich für immer vom Theater, um sich auf seine Filme zu konzentrieren.
Seine erste Oper inszeniert Schlingensief 2004 im Rahmen der Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele. Zwei Jahre später verabschiedet er sich für immer vom Theater, um sich auf seine Filme zu konzentrieren. © ddp
Bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin 2009 ist Christoph Schlingensief eines der Jury-Mitglieder.
Bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin 2009 ist Christoph Schlingensief eines der Jury-Mitglieder. © ddp
Mit der Zusage Schlingensiefs als Jury-Mitglied bei der Berlinale 2009 hatte zunächst niemand gerechnet, da 2008 Lungenkrebs bei ihm diagnostiziert wurde.
Mit der Zusage Schlingensiefs als Jury-Mitglied bei der Berlinale 2009 hatte zunächst niemand gerechnet, da 2008 Lungenkrebs bei ihm diagnostiziert wurde. © AP
Zusammen mit Tilda Swinton, der Präsidentin der internationalen Jury der Berlinale, gibt Jury-Mitglied Christoph Schlingensief in Berlin die Eröffnungs-Pressekonferenz der Berlinale 2009.
Zusammen mit Tilda Swinton, der Präsidentin der internationalen Jury der Berlinale, gibt Jury-Mitglied Christoph Schlingensief in Berlin die Eröffnungs-Pressekonferenz der Berlinale 2009. © AP
Trotz der Diagnose gibt sich Schlingensief enspannt mit Kollegin Tilda Swinton, vielleicht...
Trotz der Diagnose gibt sich Schlingensief enspannt mit Kollegin Tilda Swinton, vielleicht... © ddp
...auch weil er sich durch seine Lebensgefährtin Aino Laberenz bestärkt fühlt:
...auch weil er sich durch seine Lebensgefährtin Aino Laberenz bestärkt fühlt: "Sie hat mir sehr extrem geholfen in dieser ganzen Zeit. Ohne sie wäre ich da nicht so durchgekommen." © ddp
Das Paar hält zusammen: Schlingensiefs mittlerweile Verlobte Aino Laberenz begleitet den Regisseur zur Berlinale 2009. Im November 2009 hat sich das Paar das Ja-Wort gegeben.
Das Paar hält zusammen: Schlingensiefs mittlerweile Verlobte Aino Laberenz begleitet den Regisseur zur Berlinale 2009. Im November 2009 hat sich das Paar das Ja-Wort gegeben. © ddp
Platztausch: Schlingensief überreicht dieses Mal einen Preis, anstatt ihn zu bekommen. Hier bei der Berlinale 2009. Die österreichische Schauspielerin Birgit Minichmayr bekommt den Silbernen Bären für ihre Hauptrolle in dem Film
Platztausch: Schlingensief überreicht dieses Mal einen Preis, anstatt ihn zu bekommen. Hier bei der Berlinale 2009. Die österreichische Schauspielerin Birgit Minichmayr bekommt den Silbernen Bären für ihre Hauptrolle in dem Film "Alle Anderen". © ddp
Im März 2010 erhielt Schlingensief noch den Helmut-Käutner-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf. Im Juli sagte er eine für die Ruhrtriennale geplante Produktion „S.M.A.S.H. - In Hilfe ersticken
Im März 2010 erhielt Schlingensief noch den Helmut-Käutner-Preis der Landeshauptstadt Düsseldorf. Im Juli sagte er eine für die Ruhrtriennale geplante Produktion „S.M.A.S.H. - In Hilfe ersticken" ab. Er sehe sich nicht in der Lage, die Arbeit bis zur im August geplanten Premiere fertigzustellen. Nun erlag er im Alter von 49 Jahren seinem Krebsleiden. © ddp
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Der Rahmen ist durchaus eng: Maximal 150 Gäste dürfen teilnehmen; da der Kultur aber heutzutage auch betriebswirtschaftliches Denken zugrunde liegt, müssen es wenigstens 100 sein. Karten kosten 70-90 Euro ohne Sponsoring für gut zweieinhalb Stunden Programm – verbunden mit einem wohl außergewöhnlichen Erlebnis.

Schlingesief'scher Einfluss besteht noch immer

Die vier Säulen des Stücks sind: Theater, Tanz, Konzert, Essen.

Theater: ist die Inszenierung selbst, der professionelle Schauspieler den nötigen Halt geben.

Tanz: ist Bestandteil einer Hochzeit, an der auch das Publikum mitwirken soll; Gruppentänze werden mit dem Publikum einstudiert.

Musik: live durch die Klezmergruppe „Badeken Di Kallah“.

Essen: ein tatsächliches und laut Labatzki hochwertiges Vier-Gänge-Menü, für das ein Düsseldorfer Caterer gewonnen werden konnte – der Speisen im Koscher-Style serviert, wie es sich bei einer jüdischen Hochzeit gehöre.

So experimentell „Mazel Tov“ daherkommt, so ambitioniert ist Norbert Labatzki. „In zwei Jahren will ich mit dem Stück in New York sein, nachdem ich zuvor damit durch Europa getingelt bin.“

Der Schlingensief’sche Einfluss, er besteht noch immer...