Gelsenkirchen. „Meine Mutter? Diese Person ist für mich gestorben. Die hat ihrem eigenen Fleisch und Blut den Rücken gekehrt.“ Harte Worte aus dem Mund eines Sohnes. Nachvollziehbar, wenn man die Biografie des 25-jährigen Sascha Bergmann kennt.

Jahrelang sexuell vom Stiefvater missbraucht – zu Hause, auf dem Campingplatz, beim Angeln – in jungen Jahren mit Alkohol und Geldgeschenken gefügig gemacht, mehrere Suizidversuche. Und: jahrelanges Schweigen, erdrückenden Seelenballast allein tragend „weil ich die heile Welt meiner Mutter nicht kaputt machen wollte“. Das prägt fürs Leben. Auch wenn der junge Mann heute äußerlich gelassen wirkt und betont: „Ich bin kein Opfer mehr, ich kämpfe und mache das öffentlich, weil ich anderen damit helfen will.“ Vielleicht ein erster Erfolg der Therapie, die Sascha inzwischen begonnen hat. Spät zwar, aber nicht zu spät.

Als gerade 18-Jähriger hat er zum ersten Mal sein Schweigen gebrochen. Er lernte seine heutige Ehefrau Jessica kennen und lieben. Ihr fiel schnell auf, erinnert sie, „dass Sascha oft so still war und ihn etwas zu bedrücken schien“. Sie beobachtete sensibel, begann, etwas zu ahnen, und fragte schließlich: „Hat dich dein Stiefvater missbraucht?“ Da platzte der Knoten. Sascha sprach zum ersten Mal – auch mit seiner Mutter – über das, was deren Mann ihm angetan hatte. Sie habe ihm anfangs immer geglaubt, erzählt er. Gemeinsam wären sie ausgezogen.

Sascha zeigte den Stiefvater an

Und dann näherte sich der Verhandlungstermin. Der junge Mann, der heute in Gelsenkirchen lebt, war seinerzeit in einer Umschulung zum Tischler. „Ich war am Anfang sogar Klassenbester.“ Aber dann, sagt er, „kam die ganze Scheiße wieder hoch. Ich bin abgestürzt und musste mit der Umschulung aufhören.“ Im Juni 2006 traf Sascha Bergmann seinen Peiniger vor der Jugendschutzkammer in Recklinghausen wieder.

Weil er vor Gericht plötzlich geständig war, kam der Lebenspartner von Saschas Mutter mit der recht milden Strafe von zwei Jahren, zur Bewährung ausgesetzt, und einer Geldstrafe von 10.000 Euro davon. Saschas Mutter lebte da bereits wieder mit dem Mann zusammen. Sie hatte aufgehört, ihrem eigenen Sohn zu glauben, sagt dieser äußerlich gefasst. Selbst vor Gericht hatte sie auf den Jungen geschimpft, sich von ihm losgesagt.

Bis zum Ende der vierjährigen Bewährungszeit hat der Täter dem Stiefsohn anschließend regelmäßig Geld überwiesen. Etwas mehr als die Hälfte der Strafsumme war nach vier Jahren bezahlt. Aber: „Seither zahlt der keinen Cent mehr“, sagt der 25-Jährige. „Dabei hätte er für das, was er getan hat, eigentlich in den Bau gemusst.“ So begann Sascha, für sein Recht zu kämpfen. Der junge Mann sagt, es gehe ihm gar nicht mal so sehr ums Geld. Es gehe ihm um Gerechtigkeit. „Ich habe früher richtig viel Geld gehabt. Ich habe von dem alles bekommen. Warum, ist klar ...“

Wie es ihm heute geht? „Es ist nicht leicht, darüber zu sprechen.“ Dennoch: Er möchte seine Geschichte – ausdrücklich mit seinem Namen – an die Öffentlichkeit bringen, „da ich der festen Überzeugung bin, dass solche Taten unter keinen Umständen totgeschwiegen werden dürfen“. Wie groß seine psychische Belastung zwischenzeitlich war, dafür mag auch die Beziehungskrise stehen, die er und seine Jessica in der schlimmen Zeit vor und nach der Verhandlung durchlebt haben. Sascha blickt heute nach vorn, kämpft. Mit Jessica an seiner Seite.