Gelsenkirchen. Mechtild Hohage plant die Einrichtung einer Fachstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern – mit dem Caritasverband als Träger. Die Diplom-Sozialpädagogin sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeutin möchte dafür alle Kräfte in Gelsenkirchen bündeln.

In Deutschland werden jährlich etwa 14.000 bis 16.000 Fälle des sexuellen Missbrauchs an Kindern angezeigt, in Gelsenkirchen sind es laut Kriminalstatistik zwischen 40 und 50. „Die Dunkelziffer liegt aber weitaus höher“, weiß Mechtild Hohage (58). Sie ist Diplom-Sozialpädagogin sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeutin. Seit Jahren nimmt sie sich bei der Erziehungsberatungsstelle der Caritas der jungen Opfer von sexueller Gewalt an. Sie schätzt die Zahl der nicht gemeldeten Fälle bis zu 15-mal so hoch.

Not, Verzweiflung und Ängste sind oft die Folge solcher Übergriffe. Aber wer bietet Hilfe? „In Gelsenkirchen gibt es keine offizielle Stelle, die sich dafür stark macht, diese Kinder aufzufangen. Das muss sich ändern“, sagt Mechtild Hohage. Die Idee ist, eine Fachstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern zu installieren – mit dem Caritasverband als Träger.

Fachstelle soll Schwerpunkte abdecken

Ein Netzwerk besteht allerdings schon. Im Jahr 1991 ist „Blickwinkel – die Berufsgruppe gegen sexuelle Gewalt in Gelsenkirchen“ entstanden, der unter anderem die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Caritas, das Mädchenzentrum, die Frauenberatungsstelle, aber auch die Polizei und das Jugendamt angehören. „Jeder Bereich hat dabei einen anderen Zugang zu dem Thema“, erklärt die Kindertherapeutin. So richtet sich das Mädchenzentrum beispielsweise nur an Mädchen und die Frauenberatungsstelle nur an erwachsene Frauen.

Die neue Fachstelle soll bestehende Strukturen bündeln, ganzheitliche Hilfe bieten und die Schwerpunkte Krisenintervention, Beratung, Diagnostik, Therapie, Gruppenstunden, Zeugenbetreuung, Prävention und Aufklärung abdecken. Bei der Diagnostik wird zum Beispiel festgestellt, wie schwerwiegend die Traumatisierung ist. „Es ist ein Unterschied, ob das Kind über fünf Jahre vom eigenen Vater vergewaltigt oder einmal vom Nachbarn berührt wurde“, sagt Hohage.

Auch Bezugspersonen brauchen Hilfe

2011 betreute die Kinderpsychotherapeutin im Rahmen der Erziehungsberatung 50 Fälle von sexueller Gewalt bei Mädchen und Jungen. Daher weiß sie, je jünger das Kind ist, umso schwieriger ist die Therapie. „Jeder sexuelle Übergriff kann Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben“, erklärt sie. Schlafstörungen, Albträume, Angstzustände und Bindungsstörungen sind mögliche Anzeichen eines Missbrauchs.

Oftmals brauchen auch die Bezugspersonen der Opfer Hilfe. „Sehr schwierig ist zum Beispiel die Situation von Eltern bei geschwisterlichem Inzest. Wenn der Bruder die Schwester missbraucht, sind sie Eltern von Täter und Opfer gleichzeitig.“ Besonders wichtig sei daher eine individuelle und vertrauliche Betreuung.

„Ich arbeite im Moment exemplarisch gut. Aber das reicht mir nicht. Jeder Fall muss gründlich betreut werden können“, wünscht sie sich. Zwei weitere Kollegen sollen Mechtild Hohage in Zukunft bei ihrer Arbeit unterstützen. Die Beratungen werden kostenlos erfolgen. Das muss natürlich finanziert werden. „Um die neue Fachstelle auf die Füße zu bringen, haben wir einen Projektantrag an die Aktion Mensch gestellt“, sagt die 58-Jährige. Über eine Bewiligung wird im Laufe des Jahres entschieden. „Wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir etwas bewegen.“