Gelsenkirchen.

Montagabend, Markthalle Buer. In Ledersesseln im Erdgeschoss sitzt eine Runde Männer. Knapp 20 sind es, verschiedenen Alters. Der eine mit Stoffhose und Lederschuhen, ein anderer legerer mit Jeans und Turnschuhen. Sie sind der Gelsenkirchener Teil der politischen „Revolution“, die seit der Wahl zum Berliner Senat durch die Republik schwappt: die Piraten.

Sie sitzen da in gemütlicher Runde, unterhalten sich, eine große Fahne der Partei liegt als Decke auf dem Tisch in der Mitte. Es ist Stammtisch-Zeit. Parolen werden nicht ausgerufen. Ruhig tauscht man Ansichten aus, trägt die neuesten Informationen aus der Internetplattform Mumble, die die Piraten zur Meinungsbildung nutzen, in das Treffen.

Die zwei Direktkandidaten sind anwesend

Unter ihnen sitzen zwei junge Männer, die in Gelsenkirchen schon bald etwas mehr Bekanntheit erlangen dürften. Fabian Hoff, 29 Jahre alt und Student der Informatik, und Alexander Schilling, 18 Jahre alt und Schüler am Gauß-Gymnasium, sind die beiden Direktkandidaten der Piratenpartei für die städtischen Wahlkreise bei der Landtagswahl am 13. Mai.

„Ich war schon immer politisch stark interessiert. Einige Zeit war ich regelmäßig in einem autononem Zentrum, aber da habe ich mich politisch nicht wohlgefühlt. 2009 während der Diskussion über ,Zensursula’ bin ich auf die Piraten gestoßen und habe da die Freiheit und Selbstbestimmtheit in der Politik gefunden, die ich gesucht habe“, sagt Fabian Hoff. Ähnlich war es auch bei seinem elf Jahre jüngeren Parteifreund. „Ich bin bei der Europawahl an einem Werbespot der Piraten hängengeblieben. Der war wirklich nicht gut gemacht, aber er hat dazu geführt, dass ich mich mit der Partei auseinandergesetzt habe und dabei geblieben bin“, sagt Alexander Schilling.

Schwer, als Einzelner vorzupreschen

Es ist vor allem die Art der Meinungsbildung, die beide an der Piratenpartei fasziniert. „Man kann nicht einfach nur gegen etwas sein, sondern muss der Partei auch eine Alternative präsentieren“, sagt Alexander Schilling. Aber genau das wird zum Schwachpunkt, wenn man beide über die Zielsetzungen für die Landespolitik fragt. „Es ist schwer, da als Einzelner so weit vorzupreschen, denn das Parteiprogramm wird erst am 14. und 15. April in Dortmund verabschiedet“, sagt Hoff.

Dass genau das ihre Partei starr und wenig flexibel macht in einem Politikbetrieb, der nicht selten darauf angewiesen ist, tagesaktuell und schnell Stellung zu beziehen, ist beiden bewusst. „Basisdemokratie ist hässlich und anstrengend, aber sie ist es wert. Wir sitzen gerade auf einer riesigen Welle und es ist schwer, da immer oben zu bleiben. Es muss einen Steuerungsmechanismus geben“, räumt Fabian Hoff ein.

System des 'liquid feedback'

Es ist nicht einfach, den beiden konkrete Lösungsansätze für politisch drängende Themen zu entlocken. Stärkungspakt II? „Finanzen sind nicht mein Fachgebiet. Aber es gibt Leute bei uns in der Partei, die dazu Positionen erarbeiten. Das ist das System des ,liquid feedback’. Ich kann meine Stimme an jemanden delegieren, dem ich in diesem Bereich vertraue“, erklärt Hoff.

Er selbst ist in der Arbeitsgruppe Drogenpolitik aktiv. „Das größte Problem ist der Schwarzmarkt. Der Staat muss regulieren“, so der 29-Jährige, der die Legalisierung von Cannabis und die kontrollierte Abgabe von Echtstoffen (härteren Drogen) fordert. In der Behindertenpolitik prägt er die Meinungsbildung der Partei mit: „Unser Bildungs- und Sozialsystem schafft Sozialfälle. Wir verbauen uns Möglichkeiten. Inklusion muss zwingend vorangetrieben werden.“

"Welche Alternative haben wir, als etwas Neues zu probieren?“

Die Bildungspolitik ist auch das Steckenpferd von Alexander Schilling. „Ich bin mit Blick auf die Schulsysteme Europas von G8 überzeugt, aber die Umsetzung in Deutschland ist eine Katastrophe. Eine Sekundarschule nach vier Jahren Grundschule ist ein erster richtiger Weg. Es muss aber darum gehen, gezielt Stärken zu fördern und Schwächen gezielt zu beheben. Ein flexibles Kurssystem, wie es im Grundsatzprogramm der Piratenpartei von 2010 steht, ist eine Lösungsmöglichkeit, die noch weiter ausgearbeitet werden muss“, umreißt der 18-Jährige.

„Ich sehe eine Menge Fragen, die nicht gelöst sind. Welche Alternative haben wir, als etwas Neues zu probieren?“, fragt Fabian Hoff. Auch wenn seiner Partei Lösungsoptionen in vielen Bereichen fehlen. „Bei uns besteht zumindest noch die Chance, dass es besser wird. Die etablierten Parteien haben oft genug gezeigt, dass sie keine Lösungen haben.“