Essen.. Das angeklagte Paar schweigt vor dem Essener Landgericht zu den Ungeheuerlichkeiten, die ihnen vorgeworfen werden: Sie sollen ihren Sohn im Säuglingsalter missbraucht haben. Nach außen hin führten sie ein unauffälliges Leben. Doch der Gelsenkirchener soll sich schon an seiner Schwester vergangen haben.
Sie schweigen. Beide. Wollen nichts sagen zu dem Vorwurf, ihren erst fünf Wochen alten Sohn sexuell missbraucht zu haben. Aber es ist nicht der einzige Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft vor dem Landgericht Essen gegen den 27-jährigen Metallbauer aus Gelsenkirchen und die 26 Jahre alte Altenpflegerin aus Mönchengladbach erhebt. Beide sollen das Kind vor allem als künftiges Objekt ihrer sexuellen Begierden gezeugt haben.
Bieder wirkt das Pärchen auf der Anklagebank. Der Gelsenkirchener ist ein eher jungenhafter Typ im grauen Sakko, trägt kurze, volle Haare. Fast unbewegt hört er zu, als Staatsanwalt Gabriel Wais die Anklage vorliest. Seine Mitangeklagte – kurze blonde Haare, von korpulenterer Statur – zeigt mehr Reaktionen. Hinten im Zuhörerraum sitzen Angehörige ihrer Familie.
Angeklagter lebte nach außen hin unauffällig
Sie alle hören einer Anklageschrift zu, die auch in heutigen Zeiten die sexuelle Vorstellungskraft der meisten Bürger weit übersteigen dürfte. Von Gewaltpornos ist die Rede, von Sex mit Tieren, und immer wieder dienen Kleinkinder der Befriedigung sexueller Bedürfnisse der Erwachsenen – all das laut Anklage gefunden in Fotodateien, gespeichert in den diversen Computern des Angeklagten.
Angefangen haben die Taten, die dem Gelsenkirchener vorgeworfen werden, Anfang des Jahrtausends. Damals soll er im elterlichen Haushalt seine zwölfjährige Schwester sexuell missbraucht haben. Auf Fotos, die die Polizei in seinem Computer fand, soll er auch diese Taten festgehalten haben. 2004 sei er von zu Hause ausgezogen, als der Inzest aufflog.
Nach außen lebte er auch in seiner eigenen Wohnung ein unauffälliges, bürgerliches Leben, bestand die Ausbildung zum Metallbauer. Doch zusehends scheinen sadomasochistische Fantasien die Oberhand gewonnen zu haben. In einschlägigen Internetforen soll er viele gleichgesinnte Partnerinnen gefunden haben.
Kind extra für den Missbrauch gezeugt
Zu ihnen gehörte im Jahr 2009 die Mönchengladbacher Altenpflegerin. Verheiratet war sie, angeblich unglücklich. In stundenlangen Chat-Gesprächen tauschte sie sich mit dem neuen Freund aus über ihre Vorlieben. Sie trafen sich zum Sex, der nach zuvor abgesprochenen Rollenspielen ablief. Privatsache - bis immer häufiger die Rede von kleinen Kindern, von Säuglingen war. Sie soll ihm vorgespiegelt haben, Mutter eines zehn Monate alten Sohnes zu sein. Bot ihm das Kind zum Sex an, heißt es in der Anklage. Und erfand immer wieder Ausreden, warum es nicht zu einem Treffen kommen könnte.
In beiden sei dann die Idee gereift, ein Kind extra für den künftigen Missbrauch zu zeugen. Eine völlig abstruse Welt. Aber auch sie gehört zur Realität, wenn man der Anklage glauben darf. Im Sommer 2011 kommt der Sohn zur Welt. Fünf Wochen nach der Geburt sei die Frau zu ihrem Freund gefahren, um das Kind zu präsentieren. Laut Anklage missbrauchte er es, sie hätte den Säugling dabei in ihren Händen gehalten. Mit einem Foto sei die Tat dokumentiert worden.
Kurz danach kursiert das Bild schon im Internet. Er soll es einer seiner anderen Sex-Partnerinnen geschickt haben, um sie zum Missbrauch des Kindes einzuladen. Diese Frau, 18 Jahre alt und nach eigenen Worten „nymphomanisch veranlagt“, erzählt davon einem Freund, der empört die Polizei einschaltet. Sofort ermitteln die Beamten, durchsuchen die Wohnung des Gelsenkircheners, nehmen ihn fest. Seit August 2011 sitzt er in U-Haft. Das Kind wird dem Pärchen vom Jugendamt weggenommen.
Gelsenkirchener räumte Missbrauch des Säuglings ein
Vor der Jugendstrafkammer müssen sie sich verantworten, weil der 27-Jährige beim mutmaßlichen Missbrauch der eigenen Schwester noch Heranwachsender war. Richter Günter Busold hatte zum Prozessauftakt keine Zeugen geladen, weil das Gericht den Angeklagten zuhören wollte. Im Ermittlungsverfahren hatte der Gelsenkirchener den Missbrauch des Säuglings eingeräumt, lediglich den der eigenen Schwester bestritten. Auch die Mönchengladbacherin stritt nicht ab, will aber von ihrem Mitangeklagten gezwungen worden sein. Was sie ihm im Internet erzählte, soll allerdings keinesfalls unterdrückt klingen, ist zu hören.
Jetzt schweigen sie. Äußern wolle sich ihr Mandant vielleicht später, aber nur kurz über seine Verteidiger, erklären die Anwälte des Gelsenkircheners, Peter Strüwe und Georg Leber. Dass die Angeklagten sich mit dem vom Gericht bestellten Psychiater Norbert Leygraf unterhalten wollen, scheint auch nicht beabsichtigt zu sein. Acht Prozesstage hat das Gericht zunächst angesetzt. Hendrik Rente, Verteidiger der Frau, sieht an einem dieser Tage Terminprobleme, weil seine Mandantin eine Anhörung am Familiengericht in Mönchengladbach hat. Es geht wohl darum, ob und wann sie ihren Sohn sehen darf. Beim Essener Gericht trifft er auf Ablehnung. „Das Strafverfahren hat absoluten Vorrang“, macht Richter Busold dem Anwalt und der Angeklagten eine Selbstverständlichkeit deutlich.