Gelsenkirchen. Die Endmontage im Hafen ist ein Wettlauf mit der Zeit: Montag soll der Frachter ablegen, der drei von der Schalker Eisenhütte produzierte Loks auf den Seeweg nach Chile bringen soll. Dort kommen sie im Erzbergbau zum Einsatz.
Lok Nr. 663 hat ihre erste Ausfahrt hinter sich. Der Dieselmotor brummt an der Kaimauer im tiefen Bassbereich, lässt das massive Chassis sanft beben. Im Fahrbetrieb versorgt er die wassergekühlten Elektromotoren in den Drehgestellen mit Energie. Hier ist das Kraftzentrum, hier werden 1800 kW über Zug- und Druckstangen auf die Schiene gebracht. Genug Power für 500 Tonnen Zugkraft.
Am Steuerstand oben läuft ein Testprogramm durch. Die spartanische Kabine überragt kaum den mächtigen Vorbau. Das Lichtraumprofil der Lok ist auf niedrige Tunnels ausgelegt. Signallämpchen leuchten, ein PC-Display ist in solides Metall gebettet. Rundum robust, kein Schnickschnack – Nr. 663 ist allein für die Arbeit geschaffen. An der Flanke trägt sie dabei den Namen Schalke hinaus in die Welt. Die Schalker Eisenhütte hat die 663 konstruiert – und zwei baugleiche Schwestern dazu. Im wahrsten Wortsinn ein Großauftrag für das Unternehmen an der Magdeburger Straße. Wert: fast 7 Mio Euro.
2010 hat die Schalker Eisenhütte das Geschäft an Land gezogen. 16 Monate später drängt die Zeit. Ende der Woche soll, eine eisfreie Fahrrinne vorausgesetzt, ein Binnenschiff die drei Loks aufnehmen. Montag geht es über den Wasserweg nach Rotterdam. Dort wird umgeladen. Zielland: Chile. „Am 10. Juni ist dort Übergabe. Ein Dreier-Team von uns wird dabei sein“, sagt Andreas Merchiers, der Technische Leiter der Schalker. Im Hafen in den Hallen der Speditionsfirma Siefert läuft ein zäher Wettkampf gegen die Uhr, dem sich die Mitarbeiter der Schalker Eisenhütte in der Hochphase mit 45 Leuten im Dreischichtbetrieb stellten. „Die letzten Wochenenden“, sagt Merchiers, „wurde durchgearbeitet. Die Leute haben sich enorm ins Zeug gelegt. Das muss man honorieren“. Um den Auftrag abzuwickeln, hatten die Schalker zudem letztes Jahr Leiharbeiter eingestellt.
Ein Binnenschiff wird die drei Loks aufnehmen
18 Meter Länge von Kupplung zu Kupplung misst jede Lokomotive, 108 Tonnen Gewicht bringt sie aufs Gleis. Massige Kraftpakete, weinrot und weiß lackiert – den Farben von Codelco. Für die Corporacion Nacional del Cobre de Chile, den größten Kupferproduzenten der Welt, werden sie im harten Mineneinsatz betrieben. Erzbergbau hat in Chile XXXL-Dimensionen. Ebenso die dafür nötigen Maschinen. Entsprechend dimensioniert sind die Grubenloks, die demnächst Serviceeinsätze fahren werden.
Die Dimensionen sprengten dabei die Kapazitäten in den angestammten Hütten-Hallen. Dort liefen Konstruktion und Vormontage, das Finish bekommen die Loks im Hafen – auch weil dort der nötige Schwerlastkran zur Verfügung steht. Bei Siefert hat sich das Unternehmen seit November eingemietet. Die letzten Arbeitstage dort waren hart. Bei knackigem Frost bringen Heizgebläse die Hallentemperatur gerade mal in den einstelligen Bereich. Und oft stehen die Türen offen. „Die Tage hatten wir hier drin knapp anderthalb Grad.“ Elektriker Udo Nierhaus hat eine kurze, kalte Nacht hinter sich. Wie viele der anderen Männer auch, die verantwortlich für den Baufortschritt sind. Nun stehen sie da zur täglichen Projektbesprechung. Riesige Transportholzkisten wurden zur Pinnwand für Montagelisten und Arbeitsaufträge. Stück für Stück wird in diesen Tagen abgehakt. Die Auftragsabwicklung läuft unter Regie von Gregor Brudek. „15 000 Teile müssen besorgt, bearbeitet und zusammengebaut werden“, sagt er. „Pro Lok“ – ein Riesen-Puzzle.
Die Hochzeit ist bei Nr. 665 schon Routine
Massive Stahlböcke haben kurz zuvor noch Rahmen und Gehäuse von Lok Nr. 665 getragen. Arbeiter schieben draußen beide Drehgestelle in Position, das Chassis hängt am Kranhaken – bereit für die sogenannte Hochzeit. Bei Lok Nummer drei ist die Verbindung von Fahrgestell und Oberteil schon Routine. Die Handgriffe sitzen, die heiklen Punkte sind absehbar. „In ein, zwei Stunden“, schätzt Merchiers, „ist das erledigt“. Nr. 664 steht schon weitgehend fertig im Schuppen. Hemmschuhe auf dem Gleis sichern derweil die stählernen Radreifen in den Drehgestellen von Nr. 663. 3,2 Kilometer Schienenstrang auf Betriebsgelände stehen für Testfahrten und Leistungstests zur Verfügung..
Ihre Kraftprobe haben die Loks bereits bestanden. Bald sind sie fertig. Für den Seeweg in die Grube.