Gelsenkirchen.
Wenn aus mathematischen Formeln, physikalischen Gesetzen und philosophischen Finessen formschöne Kunst wird, dann werden auch komplizierteste Gedankengänge plötzlich ganz sinnlich wahrnehmbar. Über die hohe ästhetische Strahlkraft konstruktivistischer Kunst erzählen ab Sonntag die Werke des Recklinghäuser Künstlers Alfons Kunen im Grafikkabinett des Kunstmuseums Gelsenkirchen.
Die Ausstellung „Mathematische Strukturen von Alfons Kunen“ gibt mit 42 Arbeiten, darunter Skulpturen, Zeichnungen, Konstruktionsmodelle und computergenerierte Entwürfe, einen Überblick über das breite Schaffen des 88-Jährigen in den letzten 15 Jahren. Die jüngsten Arbeiten des kreativen Kopfes stammen aus diesem Jahr.
Der Bauhaus-Ära verpflichtet
Kunen ist ein Meister der geometrisch-konkreten Kunst, der Bauhaus-Ära verpflichtet. Seine Sprache ist klar, konzeptionell, mathematisch präzise. Die ältesten ausgestellten Werke sind die sogenannten logarithmischen Spiralskulpturen, Objekte aus hellem Sandstein, die das künstlerische Konzept von Alfons Kunen bereits beredt dokumentieren.
„Wissenschaft ist die Grundlage meiner Kunst“, sagte der Mann, der Zeit seines Berufslebens als Ingenieur mit Zahlen und mathematischen Formeln jongliert hat. Der Kunst widmet sich Kunen erst seit seiner Pensionierung im Jahre 1982, ab da aber mit ganzer Leidenschaft.
Mathematik inspiriert den Künstler. Kunen sagt aber auch: „Mathematik ist keine Kunst. Ich gebe meinen Werken lediglich Regeln, die sich mit Hilfe der Mathematik umsetzen lassen.“ Wer diese Regeln nachvollziehen will, kann sich in Anleitungen und Katalogtexte vertiefen, in Zahlenreihen und peniblen Rechnungen. Der Betrachter kann sich aber auch einfach in der Schönheit, der Harmonie und der Ordnung der Arbeiten verlieren. Museumsleiterin Leane Schäfer: „Aber auch ohne das Wissen um das Prinzip haben die Werke eine große ästhetische Wirkung.“
Rationales Denken als Grundlage
Ob Spiralen oder Würfel, ob Primzahlen oder Säulen, allen Arbeiten liegt klares, rationales Denken zugrunde. Aber wenn sich Alfons Kunen mit der Unendlichkeit der Primzahlen auseinandersetzt, dann auch mit der Frage nach dem, was hinter dem Wahrnehmbaren steckt, nach der Transzendenz: „Es ist zwar nicht möglich, das Transzendente mit bildnerischen Mitteln darzustellen. Es ist aber möglich, das nicht mehr Machbare, die Grenze der Transzendenz, zu verdeutlichen.“ Die unendliche Vielfalt von Zahlen und Formen, sagt Kunen, könne richtig süchtig machen.
So entstehen bei seinen Themen immer wieder Werkgruppen und serielle Reihungen. Zu sehen sind jeweils fünfteilige Tusche-Serien über die Konstruktion mit unterschiedlichen Primzahlen in den Farben Rot und Schwarz. Sieben Entwürfe sogenannter hyperbolischer Flächen von Würfelhälften wirken trotz ihrer präzisen Strukturen federleicht, spielerisch, sinnlich.
Neben seinem künstlerischen Schaffen beschäftigt Alfons Kunen zurzeit vor allem die Vollendung seines Buches „Die wissenschaftliche Grundlage meiner Kunst“. Sein Künstlerdasein bezeichnet er heute als „mein zweites Leben“. Mit etwas Glück wird das Buch rechtzeitig fertig zum Ende der Ausstellung und dann zur Finissage im Kunstmuseum vorgestellt.