Gelsenkirchen.
Friedrich Wilhelm Heiringhoff mag die Mentalität im Ruhrgebiet. „Die Menschen hier sind kommunikationsfreudig, ihre Sprache ist direkt und klar.“
13 Jahre lang hat der Direktor des Gelsenkirchener Arbeitsgerichts die Charaktere der Ruhrgebietler von Angesicht zu Angesicht in vielen Dialogen schätzen gelernt. Freitag ist die letzte Schicht. Von den Kollegen verabschieden, Danke sagen und ab. Über den Zeitpunkt ihres Ruhestands können auch Richter nicht entscheiden, wenn sie mal 65 geworden sind.
Oft eine Einigung erzielt
Der westfälische Zeitgenosse neigt offensichtlich dazu, sich möglichst zu einigen. „Die meisten meiner vielen Fälle“, erinnert sich der gebürtige Münsterländer, „endeten mit einem Vergleich.“ So an die 20.000 von fast 30.000 Fällen werden es gewesen sein. Seit 33 Jahren arbeitet der 65-Jährige als Richter. Stellte man die bewältigten Aktenberge auf die Waage, kämen etliche Tonnen zusammen.
In Gelsenkirchen hatte der Chef des Arbeitsgerichts jährlich durchschnittlich an die 700 Fälle zu bearbeiten. Ähnlich sieht es in den anderen drei Kammern aus.
Die Folgen der Struktur- und Arbeitsmarktkrise in Gelsenkirchen sind auch am Gericht zu spüren. Großbetriebe sind verschwunden. „Heute“, weiß Heiringhoff, „geht es oft um Zahlungsklagen oder ausgebliebene Vergütung von Überstunden. Dabei bekommen Arbeitnehmer immer häufiger Recht.“
Knapper Geldbeutel bei Klägern
Ein Indiz für den schmalen Geldbeutel vieler Bürger ist auch die Zunahme von Klagen, die über die Rechtsantragsstelle eingereicht werden. Das heißt, es sind von den Klägern keine Anwälte eingeschaltet worden. Heiringhoff: „Die Rechtsantragsstelle wird in Gelsenkirchen häufiger aufgesucht als in anderen Städten.“
Etwa in jedem fünften Fall erscheint der Kläger ohne Anwalt vor Gericht. Dass fast 90 Prozent der Fälle verglichen werden, hänge auch mit der Verhandlungskultur zusammen, glaubt Heiringhoff. Auch sei es eine Mentalitätsfrage, sich einigen zu wollen. Er meint: „Die Parteien hier im westfälischen Raum sind nachgiebiger.“
„Die Anzahl der Fälle ist leicht rückläufig, was zwangsweise nicht unbedingt zu einer Entlastung für Richter und Justizangestellte führt“, sagt Heiringhoff. Die Verfahren seien schwieriger geworden, die Konflikte komplizierter. Auch wenn es zwischen Anwälten mitunter mal ruppig zugeht, hält der scheidende Chef die Streitkultur vor Gericht für angemessen. Und schnell sei die Arbeitsgerichtsbarkeit ohnehin. „Es wird zügig terminiert, in der Regel drei Wochen nach Klageeingang.“
Mehr Dolmetscher im Gerichtssaal
Dass zunehmend Dolmetscher im Gerichtssaal anwesend sind, ist wie ein Spiegelbild der Bevölkerungsstruktur zu sehen. Denn immer häufiger gehen Klagen ein von Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund.
Über den geplanten Umzug in vier Jahren vom prachtvollen einstigen Industriepalast ins zukünftige Justizzentrum muss sich Friedrich Heiringhoff nicht mehr ärgern. Er hat jetzt mehr Zeit, um regelmäßig aufs Rad zu steigen, den Rucksack zu schnüren und sich mit den Klängen klassischer Musikstücke zu verwöhnen.