Gelsenkirchen. . Mehmet Ayas ist Integrationsbeauftragter der Stadt Gelsenkirchen. Auch, wenn es noch Probleme gibt, sagt er: „Das Miteinander der Menschen ist gut, besser als man glaubt.“
Am 18. Dezember ist der Internationale Tag der Migranten, der von der UNO im Dezember 2000 zum ersten Mal ausgerufen wurde. Hintergrund ist eine am 18. Dezember 1990 von der UN-Vollversammlung angenommene Konvention zum Schutz der Rechte aller Migranten und ihrer Familienangehörigen. Im Gespräch mit WAZ-Redakteurin Inge Ansahl berichtete Gelsenkirchens Integrationsbeauftragter Mehmet Ayas (56) über den Stand der Integrationsbemühungen vor Ort. Ayas selbst kam 1974 nach Deutschland und studierte in Gießen Energie und Wärmetechnik und „nichts Soziales“, wie er sagt. Seit 1994 arbeitet er bei der Stadt Gelsenkirchen, nachdem das Land NRW Kommunen in Folge der Solinger Anschläge Mittel für die Einrichtung von Ausländerbeauftragten-Stellen zur Verfügung gestellt hatte.
Herr Ayas, spielt der Tag der Migranten eigentlich eine Rolle?
Mehmet Ayas: Es ist sicher schön, so einen Tag zu haben, aber die Kommunen gehen mit ihren eigenen Projekten voran.
Wie ist es denn aktuell um das Miteinander von Migranten untereinander und in der Stadt ganz allgemein bestellt?
Ayas: Das Miteinander ist gut, besser als man glaubt. Und das, obwohl der Anteil der Arbeitslosen auf Seiten der Migranten höher ist und es hier immer noch vergleichsweise weniger junge Menschen mit hohen Schulabschlüssen gibt.
Was glauben Sie, woran das liegt?
Ayas: Die schulische Benachteiligung geht ja schon über Jahrzehnte. Wir haben zum Beispiel im Gelsenkirchener Integrationskonzept eine Handlungsempfehlung für den Übergang zu weiterführenden Schulen. Allerdings haben alle weiterführenden Schulen unterschiedliche Aufnahmekriterien und nehmen nicht in dem erforderlichen Maß Schüler aus Migrantenfamilien auf. Bei einem so hohen Migrantenanteil in einer Stadt muss die Schullandschaft reagieren. Das hat etwas mit Bildungsbewusstsein zu tun.
Wie hoch ist der Anteil von Migranten in Gelsenkirchen?
Ayas: Zurzeit sind es 20 bis 25 Prozent aus zirka 130 Nationen. Die größte Gruppe bilden türkische Männer, Frauen und Kinder. Und wir haben etwa 60 Migranten-Selbstorganisationen.
Die Ghettoisierung war und ist in vielen Revierstädten ein Problem, was die Integration angeht. Wie sieht das in Gelsenkirchen aus?
Ayas: Es gibt hier keine ausgewiesenen Ghetto-Bezirke, wohl aber Straßenzüge, in denen Migrantenfamilien in enger Nachbarschaft leben. Es ist auch nicht der Wunsch von Migranten, nur unter sich zu bleiben. Alle Menschen, egal ob Deutsche oder Türken, haben den Wunsch nach sozialem Aufstieg. Wer es schafft, bricht aus einer Ghetto-Situation aus. Wer keine Arbeit hat, sucht den sozialen Halt und bleibt in seinem vertrauten Kreis.
Leidet bei einer Häufung vieler Familien in einem Quartier nicht jede Integration im Ansatz?
Ayas: Es ist sicher nicht gut, wenn die Menschen unter sich bleiben. Aber man kann niemanden zum Dialog zwingen. Ich bin grundsätzlich nicht pessimistisch, was die Erfolge der Integrationspolitik angeht. Ein- und Auswanderung gab es schließlich schon immer. Aber es braucht seine Zeit. Wir müssen eine neue Diskussion führen. Was wir brauchen sind Überzeugungsstrategien. Bei allen Gesprächen über Integration geht es immer auch um ein Stück Menschlichkeit. Wir reden von Menschen mit Gefühlen. Und es gibt ganz individuelle Probleme. So bieten wir beispielsweise türkischen Frauen Deutsch- und Grammatikkurse an – und ein halbes Jahr nach erfolgreichem Abschluss sind sie wieder sprachlos.
Aber Sprache ist ja das wichtigste Element, um sich in einem fremden Land zurecht zu finden.
Ayas: Der große Knackpunkt ist die Bildung. Das Integrationsproblem auf die deutsche Sprache zu reduzieren, ist zu wenig. Sehen Sie, wir haben heute ein Kindergartengesetz, dass einen Rechtsanspruch auf einen Platz für Kinder ab drei Jahren sichert. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da haben Kinder aus Migrantenfamilien erst gar keinen Platz bekommen. Und was die Sprache angeht: Wenn wir eine Willkommenskultur erreichen wollen, müssen wir auch die Muttersprache der Menschen respektieren. Das nenne ich Anerkennungskultur.
Wird in Gelsenkirchens Migrantenkreisen über die NSU und ihre jetzt erst entlarvten Taten diskutiert?
Ayas: Natürlich wird darüber geredet. Es ist keine schöne Zeit für Deutschland. Das Vertrauen hat gelitten. Aber die Entwicklung fing ja Anfang der 1990-er Jahre an. Ereignisse wie in Solingen haben bei den Menschen Spuren hinterlassen. Wenn man in ein fremdes Land kommt, um hier zu leben, hat man ohnehin eine ständige innere Auseinandersetzung. Hier bleiben? Wenn ja, wie lange? Ereignisse wie die in Solingen oder Hoyerswerda verunsichern da noch mehr. In solchen Situationen sind Berater nötig. Deshalb sind Netzwerke ja auch so wichtig.
Türkisch als Leistungsfach
Von „den Deutschen oder den Türken“ zu sprechen, beschreibt nach Mehmet Ayas’ Einschätzung nicht die Realität des Stadtlebens. Weil es kein typisches Verhalten gebe. Erfreut ist der 56-Jährige darüber, dass man in Gelsenkirchen angefangen hat, Türkisch als Leistungsfach einzuführen.
Integration ist ein viel strapazierter Begriff. Dennoch: Wie weit sind wir, wo hapert’s?
Tag der Moschee
Ayas: Das Islambild ist nicht positiv. Da entsteht schnell ein Generalverdacht. Und man darf nicht vergessen, wir sind geprägt von Informationen, die wir als Kind bekommen und die uns geprägt haben. Auch das kann zu Vorurteilen führen. Grundsätzlich hat Deutschland in der Integrationspolitik große Fortschritte gemacht. Dieses Land bietet allen Menschen sehr viele Möglichkeiten. Außerdem gibt es überall sogenannte schwarze Schafe. Ich selbst habe schon mit vielen Familien gesprochen und klar gesagt: Es gibt bestimmte Gesetze für alle. Wenn es Leute gibt, die sich nicht daran halten, müssen sie sich überlegen, ob sie sich nicht besser ein anderes Land zum Leben suchen sollten.
Können Sie Beispiele nennen?
Ayas: Zwangsverheiratung und Gewalt gegen Kinder. Ich kann nicht dulden, dass Kinder geschlagen und Töchter gegen ihren Willen verheiratet werden.
In Gelsenkirchen wirken viele Kräfte am Integrationsprozess mit?
Ayas: Ja, da bin ich nicht alleine. In Gelsenkirchen wird bei diesem Themenfeld über Parteigrenzen hinaus gearbeitet. Es gibt ein hohes Maß der Verständigung. Nicht zu vergessen, wir haben die Demokratische Initiative und den Interkulturellen Arbeitskreis. Der ist übrigens einer der ältesten in der Bundesrepublik. Er trifft sich alle sechs Wochen; alle gesellschaftlich relevanten Gruppen sitzen am Tisch.