Essen. .

Sie grillten, tranken, genossen ihr freies Wochenende auf dem Fernfahrerparkplatz in Gelsenkirchen. Da soll plötzlich einer von ihnen grundlos auf drei Kollegen eingestochen haben. Jetzt muss der 36-Jährige Rafael T. sich wegen versuchten Totschlags vor dem Essener Schwurgericht verantworten.

Wenig Erinnerung hat der Pole an die Tat vom 28. Mai. Über zwei Promille Alkohol ergab die Blutprobe. Aber er zeigt sich sicher, dass die anderen ihn zuerst angegriffen und er nur in Notwehr zugestochen hätte. Der frühere Lkw-Fahrer der polnischen Armee war am Vortag auf den Parkplatz an der Wiesemannstraße in Schalke gefahren. Mehrere Speditionen aus Polen betreiben den Platz mit Sozialraum und Waschgelegenheit für die Fernfahrer, die über Deutschland Fahrtziele in ganz Europa ansteuern. Rafael T. kam aus England zurück.

Vier weitere Lkw-Besatzungen verbrachten ihr Wochenende dort. Abends wollten sie das Champion-League-Spiel Barcelona gegen Manchester sehen. Alkohol in Form von Wodka und Bier gab es. „Ja, ich war betrunken“, räumt Rafael T. ein. Laut Anklage pöbelte er schon früh seine Kollegen an. Diese hätten aber Streit vermeiden wollen und ihn in seine Fahrerkabine geschickt. Er ging, soll aber mit einem Messer um 23.30 Uhr zurückgekehrt sein. Grundlos hätte er einem 37 Jahre alten Fernfahrer die Faust ins Gesicht geschlagen und nacheinander diesem sowie zwei weiteren Kollegen das Messer in Brust und Bauch gestoßen. Zum Glück drang die Klinge nicht tief ein.

200 Meter entfernt gestellt

Danach rannte er weg, wurde aber von der schnell alarmierten Polizei 200 Meter entfernt an einem Zaun gestellt. „Er wirkte betrunken“, erzählt ein Beamter. Problemlos hätten sie ihn zur Wache gebracht. Aggressiv sei er nicht gewesen, habe aber auf polnisch Wörter gesagt, „die uns aus anderen Einsätzen als Schimpfwörter bekannt sind“. Die Dolmetscherin erläutert: „Das ist ein ganz schlimmes Schimpfwort, drückt aber eigentlich die Wut auf sich selbst aus.“

Der Angeklagte bleibt dabei, dass er sich nur wenig an den Abend erinnern kann. Er wisse aber, dass er sich bei den Kollegen für seine vorherigen Pöbeleien habe entschuldigen wollen und sofort angegriffen worden sei.

Fernfahrer folgten Zeugenladung

Vielleicht wäre das die einzige Aussage geblieben, denn die Tatopfer wurden in Polen geladen. „Ich bin gespannt, ob sie kommen“, sagt Richter Andreas Labentz. Funktioniert die Ladung über die Grenzen, werden sie der Vorladung folgen? Um 11.25 Uhr geht die Tür auf. Die drei Polen, von denen keiner Deutsch spricht, stehen vor dem Saal, erfüllen als EU-Bürger treu ihre Zeugenpflicht. Ein bisschen geholfen hat wohl ihr polnischer Arbeitgeber, der dem Trio einen Deutsch und Polnisch sprechenden Begleiter vom Schalker Fernfahrerparkplatz an die Hand gab. Denn außer den Autobahnen ist ihnen die Region fremd.

Auch ihre Erinnerungen sind nicht vollständig. Auch sie können sich den Aggressionsausbruch des Angeklagten nicht erklären. Die Auseinandersetzung zuvor sei nicht so schlimm gewesen, es klingt wie eine Tat aus heiterem Himmel. Dass sie ihn angegriffen hätten, weisen sie zurück. Die Erschütterung, das Unverständnis, wirken immer noch nach. Als der Angeklagte sich persönlich entschuldigen will, schneidet ihm einer der Fahrer das Wort ab: „Das kann er seiner Frau erzählen, ich will es nicht hören.“ Der Prozess wird am 16. November fortgesetzt.