Gelsenkirchen. „Cool or fool?“ haben zehn Gefängnisschüler der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen ihr Projekt für Schüler „von draußen“ genannt. Ein gelungenes Experiment.
Es liegt eine spürbare Anspannung in der Luft, als das Experiment startet. Die Gastgeber haben leichtes Lampenfieber, die Gäste verbergen ihre Aufregung hinter betont lässiger Fassade. „Ey, Alter, hast du das gesehen, boah...!“
Das Projekt: Neun Häftlinge treffen in der Justizvollzugsanstalt auf zehn Schüler aus der Jugendhilfe-Schule an der Schemannstraße. Den Tag haben die JVA-Insassen unter das Motto „cool or fool?“ gestellt. Sie wollen diese bisher einmalige Chance nutzen, Jugendlichen eine elementare Botschaft zu vermitteln: Macht euch nicht strafbar, damit ihr nicht hier landet. Geht lieber zur Schule, baut einen Abschluss und macht eine Ausbildung. Also wollen über das Leben im Knast so abschreckend wie möglich informieren.
Die Begrüßung durch einen Häftling im Schultrakt der JVA fällt noch etwas klamm aus. Unbekanntes Terrain eben – für beide Seiten. Detlef Börner, Justizvollzugsbeamter und Personalratsvorsitzender in Personalunion, führt die Besuchergruppe erst einmal am sachlich-kühlen Verwaltungsbau und dem verlassenen Sportplatz vorbei. „Lasst euch nicht von dummen Sprüchen irritieren“, sagt er noch, als diese durch vergitterte Fensterfronten auch schon lästerlich tönen. Aber schon geht es ins Männerhafthaus 1 und dorthin, wo ein rechtskräftig Verurteilter „einfährt“. Jenny * erzählt unterwegs, dass sie schon einmal hier war, um ihren Bruder zu besuchen. „Heute ist das irgendwie anders. Irgendwie traurig, wie die da so hinter vergitterten Fenstern raus gucken.“
Im „besonders gesicherten Haftraum“, in Knastsprache „Bunker“, taut die kleine Gruppe auf. Börner erzählt: „Hier kommen Selbstverletzer rein, Häftlinge, die Beamte angegriffen haben oder die an einer körperlichen Auseinandersetzung beteiligt waren.“
Karger Raum, im Boden eingelassenes Urinalbecken, Matratze mit abwaschbarem Plastiküberzug, Videokamera oben in der Mauernische, Fenster, Licht – Ende. „Und wo kann man sich die Hände waschen?“ fragt ein Mädchen mit suchendem Blick. Börner grinst. „Körperpflege ist hier nicht angesagt.“ Warum es hier so warm ist, erklärt er so: „Weil Wärme beruhigt.“ Wenn allerdings beruhigende Maßnahmen nichts nützen, dann werde ein renitenter Insasse mit Hand- und Fußschellen auf seiner Bodenmatratze fixiert. Ina* fragt vorsichtig, „Gibt es auch Leute, die hier drinnen bekloppt werden?“ Der nicht mundfaule Mehmet* will dagegen unbedingt in Schellen gelegt werden. An den Füßen stört ihn, dass das doof aussehe. Was den JVA-Beamten zur nächsten Gefängnis-Lektion veranlasst: „Ich bestimme. Wenn ihr hier gelandet seid, dann seid ihr nicht mehr selbst bestimmt.“
Später, in den Duschräumen, erklärt er, wer hier sauber macht. „Die Putzfrauen seid ihr!“ Und trifft einmal mehr die Mädchen, als er sagt: „Zweimal in der Woche ist Duschen angesagt. Von wegen jeden Morgen. Richtig ernst wird Detlef Börner, als er wiederholt auf Schusswaffen angesprochen wird. Es geht weiter in eine Schlichtzelle, die Vorstufe zum „Bunker“ und in eine Einzelzelle. Geschätzte acht Quadratmeter Lebensraum für 23 Stunden täglich, wenn ein Häftling keine Arbeit hat und nicht in die JVA-Schule geht. Einzige Abwechslung sind dann der Ausgang im grünen Innenhof oder gegenseitiger Besuch in den Zellen, in Knastsprache „Umschluss“ genannt. „Der hat ja sogar einen Fernseher“, staunt Peter* dann doch.
Häftling Ben* berichtet, wieder im Schulungsraum, über den Tagesablauf eines „Knackis“ von 6 bis 19.30 Uhr. „Du bist hier unter ständiger Beaufsichtigung.“ Später, beim gemeinsamen Essen, da sitzen Schüler und JVA-Insassen nebst Lehrern und zwei Beamten bunt gemischt an den Tischen. Inzwischen sind sie „aufgetaut“, Gespräche beginnen. Nur über eins schweigen sich die Gastgeber nach den ersten Stunden des gemeinsamen Projekttages noch aus. Nämlich darüber, warum sie „sitzen“. Das wird stillschweigend akzeptiert.
(* Name geändert)
Bildungsferne ist ein Risikofaktor
Die Initiative zum Projekttag „cool or fool“, zu dem auch ein kurzes Theaterstück, Workshops und persönliche Gespräche gehörten, ging ausschließlich von den JVA-Schülern aus. Das zu betonen, ist Lehrerin Katrin Dickopf ein ganz besonderes Anliegen. Sie ist eine von sieben Lehrkräften der Gefängnisschule. Dickopf hat sich für die Idee der Gefangenen bei Ralf Bothge, dem stellvertretenden JVA-Leiter, eingesetzt, der nach eigenem Bekunden sofort „Feuer und Flamme“ war. Zumal es um das zentrale Thema Abschreckung gehe. Bothge: „Und wenn wir nur eine einzige Straftat verhindern, hat sich das Projekt gelohnt.“ Natürlich habe es vor der Realisierung noch einige Hürden gegeben. Das Projekt der Gefängnisschüler zwischen 20 und 35 Jahren sei eben so ungewöhnlich, das der JVA noch die Routine fehle.
Bildungsferne, das wissen Bothge und Dickopf mit Blick auf die Biographie vieler Insassen, sei ein Risikofaktor für Kriminalität. Die deutsche Sprache als wesentliches Element, sich in der Gesellschaft zurecht zu finden, und konkretes Schulwissen als Fundament für eine Ausbildung, darin sehen Anstaltsleiter und Lehrerin die Chance für entlassene Häftlinge, nicht wieder in Kriminalität abzudriften. Die Betroffenen selbst sehen das genauso. Und appellierten daher nicht von ungefähr an die Jugendlichen, deren Schulkarrieren bereits einen Knick haben: Finger weg von Straftaten, Finger hoch in der Schule. Damit kein Irrtum über die zwar kalte aber moderne Innenansicht der JVA aufkommt, betonte ein Insasse: „Hier haben wir es schon komfortabler als in anderen Gefängnissen. Es ist fast Luxus, warmes Wasser in der Zelle zu haben.“ Aber, weggesperrt sei man trotzdem.