Gelsenkirchen. . Herzlicher konnte das Wiedersehen nicht sein. Das war nicht immer so. Als Johannes Stüttgen vor 40 Jahren am Grillo-Gymnasium Kunst unterrichtete, erschien er Vorgesetzten als Fremdkörper.
Er, der Aktionskünstler, hatte das traditionelle Kunstverständnis der Obrigkeit erschüttert. Der heute 66-Jährige war Meisterschüler bei Beuys, wurde am Grillo eingestellt, gefeuert und wieder beschäftigt.
Der Skandal war damals perfekt. Schüler kämpften für ihren eigenwilligen Pauker, die Schulbehörde wollte einen unbequemen Zeitgeist loswerden. Eigentlich hatte der Kunststreit im Tagebuch der Geschichte längst Staub angesetzt. Doch jetzt wurde das Thema wieder aktuell. Der Bundespräsident hatte zum Geschichtswettbewerb unter dem Thema „Ärgernis Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte“ aufgerufen. Vier Schülerinnen und Schüler der 9 a entdeckten ein dunkles Kapitel an der eigenen Schule. Schließlich gab es sogar Zeitzeugen.
Denn in den 70er Jahren waren Peter Müller und Ulrich Schumacher engagierte Schüler ihres Lehrmeisters Stüttgen. Heute stehen sie selbst vor den Schülern, unterrichten dort, wo sie einst fürs Abi pauken mussten. Und Christa Klaus, heute Englisch- und Erdkundelehrerin am Grillo, war bereits zu Stüttgens Zeiten als junge Lehrerin tätig.
Ein Abendmahl mit Colaflasche
Die Schüler stöberten in Archiven, zitierten auch wörtliche Passagen aus dem dicken Wälzer „Der ganze Riemen“ des vermeintlichen Unruhestifters. Der hatte mit feiner Ironie und sanften Seitenhieben auf die Vorgesetzren deren klassisches Kulturbild geschildert. Gleich mehrfach brachte Stüttgen, der Lehrpläne oft als starr und wenig kreativ beurteilte, den damaligen Direktor durch seine Kunstinterpretation auf die Palme. Ob es Klaviermusik war, die aus dem Zeichenssal erklang, oder die Nachstellung Leonardo da Vincis Abendmahl auf dem Schulhof. Der Direktor wie auch einige Lehrer fanden die Darstellung nicht nur geschmacklos sondern auch blasphemisch. „Offensichtlich“, so Stüttgen süffisant, „haben die sich auch daran gestört, dass kein Wein, sondern eine Colaflasche auf dem Tisch stand.“
Nach seinem vermeintlich wirren Kunstverständnis musste sich Stüttgen einer Lehrprobe unter den Augen eines Fachleiters unterziehen. Der Kunsterzieher zog Hemd und Unterhemd aus, hüllte sich in seinen schwarzen Ledermantel und setzte sich schweigend eine Schulstunde lang auf einen Stuhl. Einige Schüler zeichneten, andere schossen ein Foto, zwei spielten Schach. Die Beurteilung war vernichtend.:Herr Stüttgen ist als Kunsterzieher ungeeignet. Es folgte die Kündigung. Der Prüfer hatte die Stunde als Zeichenunterricht im Stile des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet. Der Prüfer, schrieb Stüttgen an den Oberschulrat in Münster, habe nicht einmal ein Stück aus dem Bereich Aktionskunst von einer Zeichenstunde aus dem 19. Jahrhundert unterscheiden können. Stüttgen hatte sich exakt so auf dem Stuhl platziert, wie es auf dem Kupferstich „Melancholie“ von Albrecht Dürer zu sehen ist. Die Kündigung wurde zurückgenommen. Stüttgen: „Es folgten acht weitere Jahre, in denen ich der freieste aller Lehrer am Grillo war.“