Eine große Ausstellung im City Center zeigt ab September „Gelsenkirchener um Beuys“.
„Wir wollen zeigen, dass Gelsenkirchen künstlerisch sehr wohl Niveau gehabt hat, haben kann.“ Jürgen Kramer wird von einer Idee getrieben, deren Spuren sich im Laufe von drei Jahrzehnten nahezu verloren haben. Die es freizulegen, wieder ins Bewusstsein zu rücken gilt.
Der Gelsenkirchener Künstler, der von 1969 bis 1974 an der Düsseldorfer Kunstakademie Meisterschüler von Joseph Beuys war, kuratiert die Ausstellung „Im Spannungsfeld des Erweiterten Kunstbegriffs – Gelsenkirchener um Beuys“.
Bis zur Eröffnung am 8. September im City Center am Bahnhof dauert es noch eine Weile; im Moment haben die ehemaligen Quelle-Räume noch den zweifelhaften Charme einer rumpeligen Abstellkammer. Paletten zuhauf – zwischengelagerte Überbleibsel von Claudia Lükes „Ab in die Mitte“-Aktion. Kunstlicht gibt es nicht, das muss irgendwann mal installiert werden, und die Luft ist dick wie Haferschleim. Was Jürgen Kramer und seinen Kollegen Achim Weber, ebenfalls Gelsenkirchener und ebenfalls Beuys-Schüler, nicht davon abhält, schon jetzt die Ausstellung peu à peu zu bestücken.
Zeitungsausrisse, Fotografien, Poster und Plakate, Dokumentationen, Manifeste und Statements, einige Grafiken und Zeichungen (u.a. von Paul Sawitzki) – das wenige, was bislang eher provisorisch an den kahlen Wänden befestigt ist, reicht völlig, um den Betrachter eine so emotionale wie intellektuelle Reise zurück in die Zeit antreten zu lassen.
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Plötzlich ist man wieder in den 70ern, als Beuys seine Theorie des erweiterten Kunstbegriffs im Sinne einer freien, selbstbestimmten, tradierten ästhetischen und formalen Kriterien nicht unterworfenen Gestaltung im gesamtgesellschaftlichen Be-reich ausformulierte; als der Mann mit dem Hut die „soziale Skulptur Mensch“ in die Gesellschaft einführte oder (etwa mit seiner Unterschriftenaktion zur Hebung der sozialen Stellung der Hausfrau in NRW; documenta 1972) den selbstgefälligen, selbstsicheren Bildungsbürger kurzerhand zum nichts ahnenden Bestandteil frecher Kunst-Aktionen machte.
In keiner Stadt (außer Düsseldorf), so scheint es im Rückblick, fielen die Gedanken von Joseph Beuys (1921-1986) auf ähnlich fruchtbaren Boden wie in Gelsenkirchen; keine Stadt hat die Saatkörner so weit ins Land hinaus getragen. Und im Mittelpunkt stand das Grillo-Gymnasium.
Schon Mitte der 60er, als der später als Beuys-Sammler zu Weltruhm gelangte Franz van der Grinten Kunsterzieher am Grillo war, fand eine Veranstaltung mit Beuys in der Aula statt. Mit der Ablösung van der Grintens durch den engen Beuys-Vertrauten Johannes Stüttgen, der von 1971 bis 1980 am Grillo unterrichtete, wurde die Kunstachse Düsseldorf (Akademie) – Gelsenkirchen vollends etabliert. In Gelsenkirchen bildeten sich eine Zweigstelle der Freien Internationalen Universität (FUI), die Kunst AG und (in der 1981 abgerissenen Kunstbaracke am Grillo) die Fluxus Zone West. Zu jenen, die Theorie und Praxis des erweiterten Kunstbegriffs experimentell anwendeten, gehörte etwa der Grillo-Schüler und heutige Galerist in Hamburg Siegfried Sander. Die Fluxus Zone West wurde sogar zur documenta nach Kassel geladen – 1977, in jenem Jahr, in dem Beuys dort seine legendäre Honigpumpe in Gang setzte. Lang ist’s her.