Gelsenkirchen. Die Gruppe Sozius der Caritas macht sich jeden Freitag auf den Weg, um ein paar gesellige, unterhaltsame, spannende oder sportliche Stunden zu verbringen. Sozius ist ein Projekt für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen.

Claudio hat ein durchaus ungewöhnliches Hobby. „Ich sammel Fahrpläne und lerne sie auswendig.“ Nur die Fahrpreise interessieren den aufgeweckten 19-Jährigen nicht. Den jungen Mann, der Kleingedrucktes nur noch mühsam mit der Lupe lesen kann.

Das ist auch der Grund, warum Claudio, wie er betont, jeden Morgen „um Punkt fünf nach halb Sechs“ aufstehen muss. Weil er am Berufskolleg in Soest im Fachbereich Wirtschaft die Schulbank drückt. Hoppla, jeden Tag diesen weiten Weg? „Ja, weil das Kolleg spezialisiert ist auf Blinde und Sehbehinderte“, erklärt Claudio im Schatten der alten Bäume des Stadtgartens.

Der Freitag gehört der Freizeit mit der Gruppe Sozius

Ein paar Meter weiter spielen die kräftigen Zwillinge Alex und Christopher mit den Jüngeren Fußball, einige haben es sich auf der Decke gemütlich gemacht, futtern Kekse, nehmen sich nach dem kurzen Fußmarsch bei sommerlichen Temperaturen erst mal einen Becher Wasser zur Kehle. Die Stimmung könnte besser nicht sein.

Es ist Freitag. Und der Freitag ist bei Claudio und dem Rest der Gruppe fest verbucht für Freizeit mit der Gruppe Sozius. Genauer gesagt: Sozius unterwegs. So steht es auch auf den T-Shirts, die Claudio, die anderen Kinder und Jugendlichen samt der vier Betreuer am Treffpunkt Hauptbahnhof gleich als zusammengehörig ausweisen.

Aktivität kontra Abschottung

Ulrich Borkowski, Arbeitspädagoge bei der Gelsenkirchener Caritas, ist der Motor des Projekts für unter anderem geistig behinderte Kinder und Jugendliche. Früher, als Borkowski noch in der Hansaschule beschäftigt war, hieß das Angebot „Freizeitscout“. Aus dieser Zeit ist auch der Kern der Gruppe. „Mit acht Teilnehmern haben wir angefangen, inzwischen sind wir 20.“ Aus einer Frage sei die Idee für diese Gruppe entstanden, erzählt Borkowski: „Was kann man mit den Jungs nach Schulschluss und Werkstatt-Feierabend machen?“

Borkowski und das Beteuer-Team leben die Antwort hier vor: Aktivität kontra Abschottung, raus aus der eigenen, kleinen Welt und rein ins Vergnügen. Immer mit dem integrativen Anspruch als treibende Kraft im Hintergrund. Picknicken im Park, Schwimmen im Bad, Klettern im Klettergarten in Recklinghausen, Zoobesuch oder auch mal ein Schalke-Heimspiel. Okay, heute sind sie unter sich. „Aber oft sind wir auch mit einer gemischten Gesellschaft unterwegs“, sagt der Pädagoge.

Elternarbeit gehört bei Sozius dazu

Inklusion war noch kein öffentlich diskutiertes Thema, als die Sozius-Gruppe sich vor fünf Jahren auf den Weg machte, um mit gehandicapten Kindern und Jugendlichen Freizeit draußen, im „normalen“ Leben zu gestalten. „Inklusion ist sehr, sehr wünschenswert“, sagt Borkowski. „Wir sind aber noch ganz am Anfang. Ich habe zwar ein Bild vor Augen, wohin die Reise gehen muss, aber wie man dahin kommt, das weiß ich nicht“, meint er nachdenklich. Eine gewisse Skepsis ob des Gelingens dieser großen Herausforderung, alle Menschen gleichberechtigt an dieser Gesellschaft teilhaben zu lassen, kann er nicht verbergen. Im öffentlichen Leben nicht ausgegrenzt sein, aber auch vom Elternhaus und Fördereinrichtungen nicht überhütet oder abgeschirmt sollen sie heran und in die Gesellschaft hinein wachsen, wünscht er sich. Gleichwohl kennt er als Betreuer junger Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen latente Vorurteile. Auch gegenüber „seinen Jungs“.

Elternarbeit gehört bei Sozius dazu. Wie die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern. Letztere sind das DGB-Haus der Jugend, das Jugendzentrum Tossehof, das Erich-Kästner-Haus sowie der Neustadttreff der Caritas. Apropos Eltern. Am liebsten hätte Borkowski nur solche, die ihren Kindern den Weg nach dem Motto ebnen würden: „Geht nicht gibt’s nicht!“