Gelsenkirchen.
Sie ist 53 Jahre alt und leidet seit rund 20 Jahren an einer Autoimmunerkrankung. Die Bottroperin Anita Porwol lässt sich indes nicht unterkriegen, hat selbst ein chronisch krankes Kind groß gezogen, für das sie Regeln aufstellen musste, um es lebensfähig zu machen. „Diese Regeln gelten heute für mich“, sagt sie. „Das mache ich jetzt nicht“, gibt’s für sie nicht mehr, sondern: „Ich probiere es.“ WAZ-Redakteurin Inge Ansahl sprach mit Anita Porwol.
Frau Porwol, sie besuchen die Selbsthilfegruppe „Chronischer Schmerz“ in Gelsenkirchen. Unter welchen Schmerzen leiden Sie persönlich?
Anita Porwol: Brennender Schmerz im Brustkorb- und Oberbauchbereich, Kälteschmerz durch Morbus Raynoud, sehr ausgeprägt in der rechten Hand. Aber auch andere Extremitäten sind betroffen. Morbus Raynoud ist eine Durchblutungsstörung, wodurch die Hand erfriert.
Wie sehr beeinträchtigen diese Schmerzen Ihren Alltag?
Anita Porwol: Mehr als mir bewusst ist. Oft fällt es mir und meinem Umfeld gar nicht mehr auf, dass ich verschiedene Sachen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mache.
Seit wann haben Sie chronische Schmerzen?
Anita Porwol: Seit etwa 15 Jahren habe ich starke chronische Schmerzen. Die Zeit davor rechne ich nicht.
Müssen Sie regelmäßig Medikamente nehmen oder bekämpfen Sie den Schmerz mit alternativen Mitteln?
Anita Porwol: Beides. Ich nehme Opiate und andere Schmerzmittel, mache aber auch Autogenes Training und Qi Gong. Ich greife nach jedem Strohhalm, um Linderung zu bekommen.
Waren Sie bereits Patientin der Ev. Kliniken, bevor Sie von der Schmerz-Gruppe erfahren haben?
Anita Porwol: Ja. Ich bin seit etwa 13 Jahren Patientin in den Ev. Kliniken. Der Gedanke, eine Selbsthilfegruppe zu gründen, entstand letztes Jahr. So eine Gruppe lässt sich aber nur gründen, wenn ein Ansprechpartner da ist. Dieser sollte selbst Betroffener sein. Ich habe mich bereit erklärt als Ansprechpartner zu dienen.
Können Schmerzen zur gesellschaftlichen Isolation führen?
Anita Porwol: Ja!!! Oft nehmen Betroffene ihre Arzttermine noch wahr, haben aber keine Kraft, noch andere Aktivitäten zu unter- nehmen. Vieles wird auf morgen verschoben und das täglich. Heute kann ich mich nicht mit der Freundin treffen, das mache ich morgen, vielleicht geht es dann. Am nächsten Tag fühlt man sich aber gleich. So kommt man schleichend in die Isolation.
Sind chronische Schmerzen auch eine Belastung des Familienlebens?
Anita Porwol: Ja! Es ist für Angehörige nicht leicht, hilflos daneben zu stehen. Außerdem kann man es nicht nachvollziehen, warum das ein oder andere nicht geht. Teils wird die Familie isoliert.
Gehen Sie trotz Ihrer Einschränkung einer Arbeit nach?
Anita Porwol: Ja. Meinen Beruf als Zahnarzthelferin konnte ich nicht mehr ausüben. Ich arbeite an drei Vormittagen die Woche in einer Lagerhalle. Dies ist für mich sehr wichtig. Ich habe das Glück, dass in der Firma noch Kollegen sind, die das Wort Kollegen noch verdienen. Das ist heute ja die große Ausnahme.
Welche Arten von Schmerz haben die anderen Besucher der Selbsthilfegruppe?
Anita Porwol: Nervenschmerzen, Ganzkörperschmerz, Kopfschmerz oder Gelenkschmerzen.
Was bedeuten Ihnen die Treffen mit anderen Betroffenen?
Anita Porwol: Viel. In der heutigen Zeit bekommen die Patienten immer häufiger negative Bescheide von Kostenträgern. Sich unterstützen, sich über Probleme im Alltag austauschen und das Gefühl zu haben, dass man verstanden wird, ist sehr wichtig. Außerdem ist es ein Weg aus der Isolation.
Übernehmen die Krankenkassen denn die Kosten für Schmerztherapien?
Anita Porwol: Medikamente in der Regel ja, aber andere Therapien wie z.B. Ergotherapie, Krankengymnastik, Akupunktur oder alternative Medizin ist von KK zu KK sehr unterschiedlich.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Anita Porwol: Ja: Viel hübscher bist Du, wenn Du lachst, als wenn Du eine Schnute machst und: Jeder Tag verdient es, bewusst gelebt und erlebt zu werden.
Gruppen-Treffen am 1. Mittwoch im Monat
Im Januar wurde die Selbsthilfegruppe „Chronischer Schmerz“ gegründet. Immer wieder sei von Patienten der Wunsch nach einer Selbsthilfegruppe geäußert worden, berichtet Dr. Jutta Schröder, Schmerztherapeutin in den Evangelischen Kliniken in Gelsenkirchen. „Mir waren diese Wünsche verständlich, doch es musste für die Gruppe einen Ansprechpartner gefunden werden, der selbst betroffen ist. Bei der Selbsthilfe ist das Gespräch unter Betroffenen sehr wichtig und nicht zu unterschätzen“, so Schröder.
In Anita Porwol fand sie eine Ansprechpartnerin für die Gruppe. Der Gründung stand nichts mehr im Wege. Die Belastungen auf mehrere Schultern zu verteilen, sich diese von der Seele reden, nach Alternativen suchen und sich gegenseitig Mut machen, das sei Selbsthilfe. Die Gruppe hat zurzeit neun Teilnehmer, zwei Männer und sieben Frauen. In einem Raum des Evangelischen Senioren-Stifts der Diakonie an der Husemann-straße 104 finden die Gruppentreffen an jedem ersten Mittwoch im Monat um 16.30 Uhr statt. Jeder Betroffene ist eingeladen, daran teilzunehmen. Wer vorab Kontakt aufnehmen möchte, kann Anita Porwol anrufen: 02041 4 88 33.