Gelsenkirchen. . Dirk Gottschlich, Lehrer für Mathematik und Sport an der Gesamtschule Ückendorf, fährt seit 15 Jahren täglich 22 Kilometer von seinem Wohnsitz Recklinghausen mit dem Fahrrad zu seiner Arbeit in Gelsenkirchen. 150.000 Kilometer zeigt sein Tacho an.

Von seinen Kollegen wird Dirk Gottschlich gerne einmal belächelt. Wenn es regnet, stürmt oder schneit, erntet er sogar manchmal ein Kopfschütteln. Der 57-Jährige ist Lehrer an der Gesamtschule Ückendorf und kommt jeden Tag mit dem Fahrrad zur Schule. Eigentlich wäre das nichts Ungewöhnliches, wenn Dirk Gottschlich nicht in Recklinghausen wohnen würde.

22 Kilometer lang ist ein Weg. 44 Kilometer hin und zurück, 9000 Kilometer macht das im Jahr, denn der Lehrer für Mathematik und Sport tritt täglich in die Pedalen. „Zum einen mache ich das der Umwelt zuliebe, zum anderen aber auch, weil ich wirklich sehr gerne Rad fahre“, sagt er – das Auto der Familie wird jedenfalls seit Jahren deutlich weniger bewegt. Seit 15 Jahren trifft man Dirk Gottschlich nun schon in Recklinghausen, Herten, Herne und Gelsenkirchen auf seinem Drahtesel an, und wer einmal dabei war, der beneidet ihn auch um die Eindrücke, die er jeden Tag auf seiner Strecke sammelt.

„Atomkraft Nein Danke“-Aufkleber

Dienstagmorgen, 7 Uhr. Dirk Gottschlich muss erst zur zweiten Stunde an der Schule sein. Er sitzt auf seinem schwarzen Fahrrad, ein gelber „Atomkraft Nein Danke“-Aufkleber leuchtet darauf. „Tiefe Überzeugung“, sagt er. Die Schulsachen hat er in den Satteltaschen verstaut. Multifunktions-Anziehsachen, ein schwarzer Helm. Ausgestattet wie ein Profi, bekommt Dirk Gottschlich eine volle Dosis „Ruhrgebiet live“. Von seiner Heimat, dem Recklinghäuser Norden, biegt er in Herten in den Wald, radelt durch bürgerliche Wohngegenden, vorbei an der alten Zeche Ewald. „Ist doch herrlich“, sagt der Pauker und lacht. Wer nur ein bisschen für den Charme des Ruhrgebietes übrig hat, der muss ihm einfach beipflichten. Der Fahrtwind bläst einem sanft um die Nase, und an diesem Morgen ist es so früh mit einem Anorak gut auszuhalten. Gottschlich ist schnell unterwegs, aus der Puste ist er nie. Kann während der Fahrt erzählen von der Schönheit seiner Strecke, der Herzlichkeit der Menschen, die er trifft.

Vorbei am Kanal und einer restaurierten Maschinenhalle, hinein in eine alte Bergarbeiter-Siedlung. „Glück-Auf-Grill Unser Fritz“ steht über einer Tür. Vereinzelt liegen schon alte Bergarbeiter in ihren Fenstern und beobachten das frühe Treiben in ihrem Viertel. „Jetzt kommt der schönste Teil. Die Erzbahntrasse.“ Seit fünf Jahren gehört sie zu seinem Weg. Sieben Kilometer auf der alten Bahnstrecke zwischen der Jahrhunderthalle in Bochum und dem Hafen Grimberg am Rhein-Herne-Kanal. „Die Brücken finde ich besonders schön. Das Highlight ist die über 300 Meter lange Pfeilerbrücke.“ Bei einem Blick nach Osten sieht man über Herne die Sonne aufgehen und radelt 15 Meter über der Erde seinem Ziel entgegen – eine Augenweide.

Sein Tacho zeigt 150.000 gefahrene Kilometer an

„150.000“, sagt Gottschlich. Das ist die Antwort auf die Frage nach dem aktuellen Kilometerstand auf seinem Tacho. „Dreieinhalb Mal bin ich schon um die Erde gefahren. Wenn ich in Rente gehe, werden es knapp fünf Erdumrundungen sein.

„Ein Highlight habe ich noch“, grinst er. Fast täglich trifft er kurz vor der Schule Marion. Eine ältere Dame. „Zu Beginn grüßte man sich, wenn wir heute zusammen darauf warten, die Bochumer Straße zu überqueren, gibt es auch mal einen kurzen Plausch. Das ist wirklich sehr nett.“

Eine letzte Kurve noch und es ist geschafft, nach 22 harten, aber wunderschönen Kilometern lässt Dirk Gottschlich die letzten Meter bis zur Turnhalle der Gesamtschule in Ückendorf ausrollen. Zu spät ist er noch nie gekommen. „Fünf Mal hatte ich in all den Jahren einen Platten, aber ich habe immer Ersatzmaterial und Werkzeug dabei. 15 Minuten kostet mich das etwa, und den Puffer habe ich immer eingebaut.“ Einer Dusche folgt der Gang ins Lehrerzimmer zu den Kollegen. „Dann gibt’s erstmal ein kleines Müsli. Und der eine oder andere fragt schon mal, ob er auch einen Löffel haben darf. Natürlich dürfen sie. Ist ja nicht nur für Radfahrer“, sagt Dirk Gottschlich. Er lächelt dann über seine Kollegen.