Gelsenkirchen. „Radikalisierung ist auf Hochtouren“: Der Gelsenkirchener Theologe und Lehrer Joshua Milk erzählt, wie islamistische Postings auf Schüler wirken.

  • Der Gelsenkirchener Theologe, Lehrer und Sozialarbeiter Joshua Milk beobachtet, wie die Radikalisierung jugendlicher Muslime voranschreitet.
  • Er hält vor allem radikale Inhalte auf Social Media für ein großes Problem und erlebt den Krieg in Gaza als Brandbeschleuniger.
  • „Man fühlt sich in der deutschen Gesellschaft nur noch von Feinden umgeben“, sagt er - und fordert mehr Angebote, um ausländisch gelesene Menschen abzuholen.

„Die Radikalisierung ist auf Hochtouren“: Wenn Joshua O. Milk so etwas sagt, schöpft er von Erfahrungen aus den Klassenzimmern, den Straßenvierteln, dem religiösen Austausch. Als studierter Theologe, ehemaliger evangelischer Pastor und Mensch, der sich viel mit dem Glauben beschäftigt, als langjähriger ehrenamtlicher Sozialarbeiter beim Verein „Kerem Ke“ und jetzt auch als Lehrer im Quereinstieg an einer weiterführenden Schule in Gelsenkirchen beobachtet der Horster täglich, dass sich immer mehr Jugendliche für radikale Formen des Islam begeistern lassen. Und nicht zuletzt die verheerende Lage im Gazastreifen würde aktuell viel dazu beitragen, dass diese Radikalisierung schneller vonstattengeht. „Es wird nur noch in Freund und Feind gedacht“, sagt er.

Deutschland ist außenpolitisch bekanntlich in einer verzwickten Lage, seitdem Israel auf das Massaker der radikal-islamischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 mit seiner Militäroperation im Gazastreifen reagierte. Während der politische Druck auf Israel über das selbst in den Augen vieler westlicher Partner unverhältnismäßige Vorgehen täglich wächst, gilt es in Deutschland weiterhin glaubhaft die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson zu vertreten.

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Einen „Teufelskreis“ nennt Joshua O. Milk die Lage. „Viele muslimische Jugendliche sagen da: Deutschland wird in dem Konflikt kein Recht verschaffen, kein gerechtes Urteil sprechen.“ Denn oft werde der Militäreinsatz in Gaza verstanden als Attacke gegen die komplette muslimische Gemeinschaft. Die Konsequenz: „Man fühlt sich in der deutschen Gesellschaft nur noch von Feinden umgeben.“

„Erschreckend, wie gegenüber Andersgläubigen gehetzt wird“

So sei die aktuelle Lage in Gaza nur ein weiterer Antrieb für die seit dem Messerangriff in Mannheim wieder intensiv debattierte Radikalisierungsmaschinerie, die vor allem im Internet laufe – auf Tiktok und Youtube, aber auch auf Whatsapp, Signal oder Telegram, „wo ja gar nichts mehr gefiltert wird, wo alles einfach weitergeleitet wird“, wie Milk weiß. Zahlreiche missionierende Videos radikalislamischer Prediger im Netz habe er sich schon angesehen. „Es ist erschreckend, wie dort gegenüber Andersgläubigen gehetzt wird.“

Joshua Oktay Milk: „Es wird nur noch in Freund und Feind gedacht.“
Joshua Oktay Milk: „Es wird nur noch in Freund und Feind gedacht.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Was den konvertierten Christen mit kurdischen Wurzeln dabei ärgert: Dem aufhetzenden Material im Netz werde zu wenig entgegensetzt, sowohl innerhalb der muslimischen Gemeinschaft als auch außerhalb. „Es gibt ja keine Demos, in denen gesagt wird: Gegen das Radikale, gegen das Fundamentalistische, gegen die Ideologie der Hamas zum Beispiel, gehen wir vor, das ist nicht unser Islam.“ Die radikalisierten Formen des Islams würden dem Gesamtbild der demokratisch lebenden Muslimen in Deutschland schaden, meint er.

Gelsenkirchener Theologe rechnet mit mehr radikal-islamistischen Demos

Milk selbst kündigte damals seinen Job als Pastor, weil er zu viele Diskriminierungserfahrungen gemacht hat. „Bis zur höchsten Leitungsebene“ habe er sich rassistische Sprüche anhören müssen. „Fremd im eigenen Land“ habe er sich oft gefühlt, nur aufgrund seiner kurdischen Wurzeln. Als Experiment gründete er damals die „Curry Church“, eine auf Diversität ausgerichtete evangelische Gemeinde. Derartige Angebote gebe es im Christentum zu selten, meint Milk.

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Als Mensch, der ausländisch gelesen wird, auf der Suche nach Gott zu sein, bedeute deshalb häufig, im Islam anzukommen. „Es gibt viele Menschen, die gläubig sind, aber keinen Anschluss an eine Kirche finden können“, meint er. Im Islam sei das für Menschen mit Migrationshintergrund wesentlich einfacher. Hier würden Leute mehr akzeptiert, die anderswo häufiger Diskriminierungserfahrungen machen.

„Wir haben bei ,Kerem Ke‘ auch sehr viele Muslime, die das Demokratische schätzen, die dankbar sind, in Deutschland zu leben“, sagt Joshua O. Milk. Nur dürfe man eben nicht vergessen, dass heute überall im Netz Radikalisierungsangebote islamistischer Prediger lauern. Demos für ein Kalifat, wie sie vor einigen Monaten zum Beispiel in Essen stattfanden, sieht Milk deshalb in den nächsten Monaten und Jahren noch mehr auf Deutschland zukommen. „Das“, sagt er, „ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Die Radikalisierung passiert vorher, im Kinderzimmer, im Untergrund. Und sie dehnt sich immer weiter aus.“