Bochum/Dortmund. Polizisten wissen Gefahren abzuschätzen und gehen trotzdem jeden Tag Risiken ein. Von Wut, Trauer und Frust nach dem Tod eines Kollegen

  • In Mannheim hat ein offenbar islamistisch motivierter Mann sechs Menschen mit dem Messer angegriffen. Ein 29 Jahre alter Polizist ist kurz darauf an seinen Verletzungen gestorben.
  • Polizistinnen und Polizisten in NRW macht der Tod ihres Kollegen betroffen, er sei in allen Gesprächen in den Präsidien präsent, heißt es.
  • Gewalt und Anfeindungen erleben die Einsatzkräfte auch hier, Verbitterung und Frust sind zu spüren.

Mannheim ist sofort da, sagt Stefanie Alkier-Karweick, die Trauer, der Schmerz. In jedem Gespräch auf den Fluren der Polizeipräsidien, in jedem Telefonat, das die Seelsorgerin mit Polizistinnen und Polizisten führt, sei die tödliche Messerattacke auf einen Polizisten in Mannheim präsent. „Polizei ist eine Organisation, die sehr von Stärke geprägt ist“, sagt die evangelische Theologin. „Es ist ein besonderer Einschnitt, wenn jemand aus den eigenen Reihen im Einsatz verletzt und getötet wird. Das betrifft alle bei der Polizei.“

Der Raum von Stefanie Alkier-Karweick ist ein schmuckloses Büro im Erdgeschoss der Bochumer Polizei. Und doch ist dies ein besonderer Ort. „Schutzraum für Schutzleute“, nennt die Theologin ihre Arbeit. Seit zehn Jahren ist Alkier-Karweick für die westfälische Landeskirche als hauptamtliche Polizeiseelsorgerin tätig. Sie wird in Notfällen gerufen, wenn sich Polizeikräfte aus Bochum, Dortmund oder Hagen nach schweren Einsätzen oder dem tagelangen Sichten von beschlagnahmter Kinderpornografie etwas von der Seele reden wollen. Und sie ist da, wenn die Staatsdienerinnen und Staatsdiener selbst Ziel von Anfeindungen werden oder Angehörige Beistand benötigen. Die Seelsorgerin unterliegt dabei der Schweigepflicht und gibt deshalb nur einen vorsichtigen Einblick in ihre Arbeit.

Polizisten im Einsatz: Plötzlich fliegen Gläser

Seit Jahren wird über zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte von Polizei und Rettungsdiensten debattiert. Doch wie sehr wächst seit Mannheim die Angst der Polizisten, im Einsatz verletzt zu werden? Die Theologin wägt ihre Antwort ab. Ängste seien oft ein nur unterschwelliges, ja sensibles Thema. Es gehe eher um die Anspannung und die Sorgfalt, mit der Einsätze geplant würden. „Angst kann ja auch lähmen und Polizisten müssen agieren können und sich dabei aufeinander verlassen können.“ Zugleich sei auch ihre Aufgabe, einen Schutzraum dafür zu bieten, um Ungeliebtes zur Sprache bringen zu können: Gefühle von Ohnmacht, Angst, Trauer, Wut oder auch Irritationen.

Seit zehn Jahren arbeitet die Theologin Stefanie Alkier-Karweick als Polizeiseelsorgerin unter anderem in Bochum und Dortmund.
Seit zehn Jahren arbeitet die Theologin Stefanie Alkier-Karweick als Polizeiseelsorgerin unter anderem in Bochum und Dortmund. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Zu ihr kämen immer wieder Polizisten, die trotz aller Ausbildung und Erfahrung in Einsätzen von Angreifern überrascht wurden und dadurch aus dem Gleichgewicht gerieten. Gläser würden aus dem Nichts den Helfern an die Köpfe geworfen, Messer plötzlich gezückt und die Einsatzkräfte blitzschnell attackiert. So wie in Mannheim, wo ein mutmaßlich islamistisch motivierter Mann auf einen Polizisten eingestochen hat, der einem anderen Opfer helfen wollte.

Überhaupt Messer, die seien seit fünf, sechs Jahren immer wieder ein Thema. Einsätze würden weniger kalkulierbarer für die Beamten, das beschäftige viele. „Oft hilft es, mit den Polizistinnen und Polizisten darauf zu schauen, welche Gefahren sie bereits bewältigt haben, um sie zu stärken“, sagt Alkier-Karweick.

Spuckattacken und Beschimpfungen

Auch vermeintlich lapidare Anfeindungen beschäftigten die Beamten, sagt Alkier-Karweick. Der Ekel nach einer Spuckattackeetwa, den man nicht abstreifen könne, oder die Tatsache, dass selbst die Uniform nicht vor Pöbeleien schütze. „Polizisten und Polizistinnen wissen, dass da gesamtgesellschaftlich etwas ins Rutschen geraten ist. Und trotzdem müssen sie damit umgehen, dass sie sich jeden Tag Gefahren aussetzen und auch ihre Familien Anfeindungen erleben können.“

Sie erzählt auch von der Dortmunder Polizei in den Tagen nach dem Tod des 16 Jahre alten Asylbewerbers Mouhamed Dramé 2022. Das gesamte Präsidium sei mit Hass und Anfeindungen überzogen worden, nachdem bekannt geworden war, dass ein Polizist den offenbar suizidalen Flüchtling bei einem Einsatz mit Schüssen aus einer Maschinenpistole getötet hatte. Derzeit klärt ein Gericht die Anklage auf Totschlag und Körperverletzung im Amt. Zum Fall selbst äußert sich die Seelsorgerin nicht, sagt aber: „Der tragische Ausgang des Einsatzes, die Wucht der Reaktionen, die Fragen, die Anfeindungen, das alles wird auch innerpolizeilich nicht einfach abgehakt.“

Polizeiseelsorge

Polizeiseelsorge gibt es in NRW bereits seit über 60 Jahren. Allein die evangelischen Landeskirchen beschäftigten derzeit neun hauptamtliche und 20 nebenamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger für die Einsatzkräfte und ihre Angehörigen in NRW. Hinzukommen Angebote der fünf katholischen Bistümer. Erst zum Jahresanfang hat der Landtag über mehr Geld für diese Hilfe in Alltags- und Krisensituationen gesprochen.

Doch die wenigsten kämen zu ihr, weil sie ein einzelnes einschneidendes Erlebnis hatten. Vielfach seien es seelische Päckchen, die sich im Laufe einer Dienstzeit zu einem hohen Turm aufstapelten. Alkier-Karweick spricht von hoher Frustration und auch Verbitterung bei den Schutzleuten, wenn sie zum x-ten Mal wegen häuslicher Gewalt in denselben Haushalt gerufen werden. Man sei Teil des Rechtsstaats und müsse doch erleben, wie lange verfolgte Verdächtige aus Personalmangel an den Gerichten auf freiem Fuß blieben. Und auch in NRW müssten Polizistinnen und Polizisten sich anfeinden lassen, weil es nun mal ihr Job ist, auch demokratiefeindliche Demonstrierende zu schützen.

„Habe ich den Verdächtigten zu hart angefasst?“

Sich immer wieder zu verdeutlichen, dass das alles einen Sinn habe, sei eine Herausforderung, das sehe sie jeden Tag, sagt die Theologin. „Ich erlebe oft sehr nachdenkliche Menschen. Polizei wird gerufen, wenn Dinge nicht in Ordnung sind, sie sehen oft schlimme, ja abstoßende Dinge und geraten in belastende Situationen, die an der eigenen Moralgrenze kratzen oder sie überschreiten.“ Letztens habe wieder jemand bei ihr gesessen, der mit all dem im Hinterkopf unsicher gewesen sei, ob er einen Verdächtigen zu hart angefasst habe. Und doch gibt es genauso auch rechte Chatgruppen bei der Polizei: Alkier-Karweick berichtet von Gesprächen mit Polizisten, die es wütend mache, welches Bild die Chats von Polizei als Ganzem zeichneten.

„Man sagt oft anerkennend gemeint zu Polizisten, was sie tun, könne man selbst ja nicht“, sagt die Theologin abschließend. Sie sage das nach all den Jahren als Polizeiseelsorgerin nicht mehr. „Man unterstellt den Polizisten und Polizistinnen dann immer auch ein Stück weit, dass irgendwas anders mit ihnen ist, weil sie so viele belastende Dinge ertragen können. Das grenzt ab, wo wir eigentlich Verständnis haben müssten.“