Gelsenkirchen. Desillusioniert, handysüchtig, egoistisch: Wie fühlen sich Gelsenkirchens Jugendliche? Die erste Jugendbefragung lieferte spannende Ergebnisse.

Was treibt Gelsenkirchens Jugendliche um, welche Interessen haben sie, was machen sie gerne in ihrer Freizeit – und was wünschen sich die jungen Menschen von ihrer Stadt? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat die Verwaltung ein neues Format aufgelegt: die erste Jugendbefragung, gestartet bereits im Herbst 2022, soll als wichtiger Baustein der im Behördendeutsch sogenannten kommunalen Beteiligungsstrategie dienen. 1514 Jugendliche hatten an der Befragung teilgenommen, das macht rund sieben Prozent aller jungen Menschen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren. Hinzu kamen Jugendkonferenzen, bei denen sich die Jugendlichen ebenfalls beteiligen und einbringen konnten. Herausgekommen ist nun ein ziemlich klares Bild über die Jugend in der Stadt.

Schlechte Noten, Gewalt und Krieg sind die drei Hauptsorgen von Gelsenkirchens Jugendlichen

„Die drei Hauptsorgen Gelsenkirchener Jugendlicher sind demnach eine Mischung aus individuellen und gesellschaftlichen Themen: schlechte Noten (40 Prozent), Gewalt (36 Prozent) und Krieg (34 Prozent)“, heißt es in dem Ergebnis-Bericht. Die drei häufigsten Themenbereiche, bei denen sich die jungen Menschen mehr Beratung und Unterstützung wünschen, sind: Ausbildungs-, Studiums- und Praktikumsplatzsuche (36 Prozent), Recht, Verträge und Anträge (33 Prozent) sowie Geld und Schulden (29 Prozent). Es geht den Jugendlichen also vor allem um ihre Zukunft, sowohl in beruflicher, als auch in finanzieller Hinsicht. Ein Punkt, der allerdings für Verunsicherung sorgt: dass gerade die Jungen zum Ende ihrer Schulzeit vor gefühlt unendlich vielen Optionen stehen.

Fester Bestandteil ihres Alltags: Mediennutzung bei Jugendlichen

Grundsätzlich sind laut den Ergebnissen von Jugendbefragung und Jugendkonferenz Medien und daraus resultierend der Umgang mit ihnen fester Bestandteil des Alltags der Jugendlichen – um sich zu informieren, zu kommunizieren, zu spielen und zu lernen. Einer aktuellen Studie zufolge wachsen Jugendliche in Haushalten mit einer breiten Ausstattung von Medien auf, heißt es in dem Ergebnisbericht. Konkrete Zahlen gibt es demnach ebenfalls: „Gelsenkirchener Jugendliche verbringen ihre freie Zeit gerne mit sowohl nicht medialen Aktivitäten als auch mit sozialen Medien (85 Prozent) oder generell medial, mit Musik (88 Prozent) oder Fernsehen, Videos, Filmen oder Serien (88 Prozent)“, so der Bericht.

Häufig nutzen Jugendliche das Internet, um sich generell zu informieren (etwa bei Wikipedia, sagen 49 Prozent), für Hausaufgaben und Referate oder andere schulische Aufgaben (45 Prozent), aber auch zur Fortbewegung, das heißt beispielsweise zur Navigation und für Fahrpläne (44 Prozent). Neben der breiten Ausstattung seien zudem im Großteil der Haushalte, in denen Jugendliche aufwachsen, Streaming-Dienste, wie Videostreaming oder Musikstreaming, weit verbreitet. Nicht verwunderlich ist daher ein weiterer Punkt: Dass freies WLAN (38 Prozent) auf Platz zwei der Liste an Dingen steht, die jungen Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchenern in ihrem Quartier am meisten fehlen.

Kaum eine Bedeutung für die Jugendlichen haben übrigens das Schreiben/Lesen von E-Mails oder das Online-Shopping. Ein Großteil gibt an, dass sie dafür „selten oder nie das Internet und digitale Medien oder Daten nutzen“ (57 Prozent bzw. 61 Prozent).

Auffallend: Ein Großteil (73 Prozent) der befragten Jugendlichen sei sich sicher, über die Risiken sozialer Medien gut Bescheid zu wissen und achte darauf, mit wem er schreibt und welche Informationen er ins Netz stellt. Rund 62 Prozent sollen sogar der Meinung sein, dass sie sich im Internet besser auskennen als die meisten Erwachsenen.

Jede beziehungsweise jeder Fünfte gab an, zumindest teilweise schon Erfahrungen mit Cyber-Mobbing (21 Prozent) gemacht zu haben – 21 Prozent der Befragten gaben demnach an, im Internet über einen längeren Zeitraum gezielt belästigt, schikaniert oder bedroht worden zu sein. „Je jünger, desto häufiger geben junge Menschen in der Regel an, bereits Cyber-Mobbing erlebt zu haben“, heißt es in dem Ergebnisbericht.

Der Krieg in der Ukraine war nach der Coronapandemie eine weitere Krise, die Einfluss genommen hat auf das Leben junger Menschen, die Ängste und Verunsicherung bei ihnen ausgelöst hat. Sorgen über und um den Klimawandel machen sich fast ein Viertel der Befragten (23 Prozent).

Ein Drittel der Jugendlichen in Gelsenkirchen fühlt sich belastet durch Geldsorgen

Doch es gibt noch einen weiteren Punkt, der die jungen Gelsenkirchener – nicht überraschend – mitunter mehr beschäftigt als Jugendliche aus anderen Städten: Es sind die Geldsorgen, die etwa ein Drittel der jungen Menschen in dieser Stadt belasten. Laut der Bertelsmann Stiftung leben in der Emscherstadt 42 Prozent der unter 18-Jährigen und 22 Prozent der Menschen im Alter von 18 bis unter 25 Jahren in Familien, die Bürgergeld beziehen. Junge Volljährige im Alter von 18 bis 21 Jahren (44 Prozent) geben diese Sorge doppelt so häufig an, als Jugendliche im Alter von 14 bis unter 18 Jahren (23 Prozent).

Daraus folgt, dass „eher kommerzielle Aktivitäten und Treffpunkte, wie beispielsweise ins Kino gehen oder Essen oder trinken gehen und Shoppen, für junge Menschen in Gelsenkirchen vergleichsweise nachrangig bei der Gestaltung der freien Zeit sind“, so die Auswertung. Eine weitere Erkenntnis der Umfrage, bei dem sich nahezu alle Teilnehmer, egal in welchem Stadtbezirk oder Quartier sie wohnen, einig sind: Junge Gelsenkirchener wünschen sich mehr Treffpunkte, es fehlt ihnen an Orten, wo sie sich treffen und miteinander Zeit verbringen können.

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Bei vielen anderen Aspekten gehen die Meinungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auseinander– dabei kommt es darauf an, in welchen Stadtbezirken sie leben. So fehlt es den Teilnehmenden aus dem Bezirk Mitte und Süd im Schnitt weniger an Geschäften, Einkaufszentren und Shops oder auch Clubs, Bars und Diskotheken, den Teilnehmern im Norden hingegen schon. Ein weiterer Kritikpunkt der Jugendlichen aus dem Bezirk Mitte: Sie gaben häufiger an, dass ihnen Orte wie ein Schwimmbad (25 Prozent), Sporthallen und Sportplätze (22 Prozent) oder Parks und Grünflächen (18 Prozent) fehlen. Interessant: Von allen fünf Stadtbezirken geben Teilnehmende aus dem Stadtbezirk West am häufigsten an, dass ihnen sichere Radwege (22 Prozent) fehlen.

Während der Jugendkonferenzen äußerten die Teilnehmer auch ihren Unmut, dass die Stimmen und Wünsche junger Menschen in der Stadt nicht gesehen werden. Das hatten einige Jugendliche, die Teil des Jugendrates waren oder sind, auch im Gespräch mit der Redaktion geäußert. Sie sagten: „Die Erwachsenen entscheiden viel zu viel.“ Während der Jugendkonferenzen war ein Kritikpunkt, dass „viele Firmen und Lagerhallen gebaut“ werden und die Stadt „genug Geld hat, um überall Baustellen anzufangen“ – es werde aber nichts gebaut, was die Stadt für Jugendliche attraktiv mache.

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Das große Thema Innenstadt und deren Entwicklung beschäftigt auch die jungen Menschen: Die City wird als „tot“ und „nicht belebt“ beschrieben, die Jugendlichen steuern zum Einkaufen oder für Unternehmungen lieber die Nachbarstädte an. Darüber hinaus nehmen sie die Innenstadt als kulturell sehr einseitig wahr und wünschen sich mehr jugendgerechte Shoppingmöglichkeiten. Darüber hinaus können sich die Teilnehmenden vorstellen, dass sie wieder gerne in die Stadt gehen würden, wenn es denn einen Bezugspunkt geben würde – also beispielsweise einen offenen Raum, der als Treffpunkt zum Austausch einlädt.

Ähnliches gilt übrigens auch für Buer, auch hier gebe es immer weniger Einkaufsmöglichkeiten für Jugendliche, es fehle beispielsweise an Elektronikgeschäften. In dem Bericht heißt es: „Obwohl es in Buer ein Angebot an Textilgeschäften und Cafés gebe, haben die betreffenden Jugendlichen das Gefühl, dass diese Geschäfte immer mehr abgebaut würden. Teilweise finde man in Buer auch Geschäfte, die nicht für den Alltag ausgelegt seien, wie zum Beispiel teure Uhrengeschäfte.“

Das waren die Teilnehmer der Jugendbefragung

Der Großteil der jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendbefragung waren im Alter von 14 bis unter 18 Jahren (64 Prozent), die Mehrheit der Teilnehmer ist 14 Jahre alt, das Durchschnittsalter beträgt 17 Jahre. Die Geschlechterverteilung ist mit 48 Prozent männlichen und 47 Prozent weiblichen Teilnehmern fast gleich. Insgesamt wohnen 89 Prozent der Teilnehmer in Gelsenkirchen, andere besuchen beispielsweise ein Berufskolleg in der Stadt und haben aus diesem Grund an der Befragung teilgenommen.

Insgesamt 85 Prozent der Jugendlichen besuchen eine (Hoch-) Schule. Dabei sind grundsätzlich alle Schulformen vertreten. Am häufigsten wird eine Gesamtschule (28 Prozent) oder ein Gymnasium (27 Prozent) besucht. Die, die derzeit keine (Hoch-) Schule besuchen, befinden sich laut dem Ergebnisbericht zum Großteil in einer Ausbildung (41 Prozent). Der Großteil der jungen Menschen wohnt in Buer (16 Prozent), aus den Stadtteilen Resser Mark und Schalke-Nord haben sich mit einem Prozent die wenigsten Jugendlichen beteiligt.

Die Ergebnisse der Jugendbeteiligung sollen in künftige Planungen und Konzepte einbezogen werden und Teil des kommunalen Kinder- und Jugendförderplans ab 2026 sein. Außerdem soll der Bericht auch allen Beteiligten der Jugendarbeit zur Verfügung gestellt werden.

Ein Themenkomplex beschäftigt die Jugendlichen dabei sehr: Verschmutzte Toiletten und defekte Sanitäranlagen, renovierungsbedürftige und nicht geheizte Klassenräume, kahle Flure und Vandalismus, vermüllte Außengelände und fehlende Aufenthaltsmöglichkeiten – die Liste an Kritikpunkten zum selbstgewählten Thema Schule bei den Jugendkonferenzen wiederum ist lang. Die Jungen äußerten den Wunsch, dass die Schulen renoviert und mehr Grün, mehr Blumen sowie Sitz- und Rückzugs- bzw. Aufenthaltsmöglichkeiten geschaffen werden.