Gelsenkirchen. Ist die Zeit des Komasaufens bei Kindern und Jugendlichen vorbei? Was zwei Präventions-Experten beobachtet haben – und wovor sie warnen.

Komasaufen, Rausch-, und Kampftrinken – was lange Zeit als Trend unter Jugendlichen galt, scheint sich mittlerweile abgeschwächt zu haben. Laut einer Mitteilung der Krankenkasse DAK-Gesundheit ist die Zahl der alkoholbedingten Klinikaufenthalte von Kindern und Jugendlichen in Gelsenkirchen gesunken. Diese Veränderung können auch die bestätigen, die sich in ihrem beruflichen Alltag mit Sucht und Rausch bei jungen Menschen in Gelsenkirchen beschäftigen: Gerrit Mahn und Konstanze Döring von der Fachstelle für Suchtvorbeugung der hiesigen Drogenberatung.

Komasaufen: 2022 mussten 44 Kinder und Jugendliche mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus

Im Jahr 2022 mussten, so die DAK-Gesundheit, 44 Kinder und Jugendliche mit einer Alkoholvergiftung in einem Krankenhaus behandelt werden. Ein Jahr zuvor waren es noch 54 Kinder und Jugendliche. Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes NRW sank die Zahl der Betroffenen im Vergleich zum Vorjahr um 19 Prozent.

„Viele Jugendliche überschätzen sich und glauben Alkohol gehört zum Feiern und Spaß haben dazu“, sagt Alexander Löhr von der DAK-Gesundheit in Gelsenkirchen. „Alkohol wirkt auf junge Menschen schneller, stärker und länger als auf Erwachsene. Deshalb ist das Komasaufen bei Jugendlichen eine gefährliche Tatsache. Wichtige Gesundheitsthemen wie dieses sollten im Schulalltag diskutiert werden.“

Statt Alkohol: Diese Rauschmittel konsumieren Gelsenkirchens Jugendliche

Viel zu viel zu trinken, über die eigenen Grenzen hinaus, „das ist nicht mehr unbedingt das, was hauptsächlich so in Mode ist“, berichtet Präventionsfachkraft Gerrit Mahn. Und auch seine Kollegin weiß: „Generell sind die Zahlen eher rückläufig“, so Konstanze Döring. Andere Substanzen seien da eher ein Thema, weiß die Präventionsfachkraft aus der Erfahrung. Dennoch unterscheiden die beiden zwischen Stadt und Land – „in dörflichen Regionen ist hoher Alkoholkonsum immer noch ein Thema“, sagt Gerrit Mahn.

Gerrit Mahn, Präventionsfachkraft bei der Gelsenkirchener Drogenberatung, ist mit seiner Kollegin Konstanze Döring an den hiesigen Schulen im Einsatz.
Gerrit Mahn, Präventionsfachkraft bei der Gelsenkirchener Drogenberatung, ist mit seiner Kollegin Konstanze Döring an den hiesigen Schulen im Einsatz. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Döring und Mahn sind an Gelsenkirchens Schulen unterwegs, gehen in die Klassen, haben einen direkten und ungefilterten Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern. Im November 2022 hatte Gerrit Mahn im Gespräch mit der WAZ geschildert, dass die Nachfrage nach seinem Präventionsangebot, das er zunächst alleine und nun mit seiner Kollegin Konstanze Döring ausführt, zuletzt „geballt“ zugenommen habe. Und: seinen Beobachtungen nach außerdem auch der Konsum von Rauschmitteln.

Doch was ist es, was die Gelsenkirchener Jugend nimmt? „Ein Dauerthema sind die sogenannten Proppers“, berichtet Mahn. Es ist ein Trend, der unmittelbar mit E-Zigaretten (ebenfalls sehr angesagt) verbunden ist. Gerrit Mahn nennt sie auch „Baller Liquid“, hergestellt zumeist in China, bestehend aus synthetischen Cannabinoiden. Ihre Wirkung sei sehr individuell und schwer abschätzbar. Der Konsum könne etwa zu starkem Erbrechen, Aggressionen oder auch kurzzeitigen Halluzinationen führen. Auch Lachgas, legal erhältlich, sei weiterhin sehr beliebt, wissen die Drogenberater. Es erzeugt einen nur kurzzeitigen Rausch, der höchstens etwa zwei Minuten andauert.

Als Ursachen für den Konsum von Rauschmitteln führen die beiden Fachleute gleich mehrere Punkte an. „Konsum ist für viele eine Möglichkeit, Emotionen zu verstärken oder zu verdrängen“, hat Gerrit Mahn beobachtet. Und Konstanze Döring fügt hinzu: „In einem Kontext mit vielen Krisenlagen zu leben, lässt viele Jugendliche nicht kalt.“

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Und es gibt eine weitere, besorgniserregende Entwicklung, die Konstanze Döring und Gerrit Mahn immer häufiger in der Beratung fordern: der „extrem exzessive Medienkonsum“ von Kindern und Jugendlichen. Sie berichten von Fällen, in denen Schüler bis zu acht Stunden am Tag in den Sozialen Medien unterwegs sind – beispielsweise auf TikTok, Snapchat oder Instagram. Die Nutzung der Medien sei jedoch geschlechterspezifisch, während Jungen eher zocken, würden die Mädchen häufiger Instagram & Co. konsumieren.