Welche Gelsenkirchener als Schöffe im Gericht tätig sind, bestimmt die Politik mit. Nun wurde überraschend ein AfD-Politiker gewählt.
Wenn es um inhaltliche Anträge geht, dann ist die AfD in Gelsenkirchen isoliert und kann fest mit einer Ablehnung ihrer Forderungen rechnen. Aber jetzt wirft die Wahl der hiesigen Schöffen, also der ehrenamtlichen Laienrichter, die Frage auf, wie stabil die viel beschworene Brandmauer gegen die Rechtsaußen-Fraktion in Gelsenkirchen tatsächlich ist. Wie die WAZ über eine Anfrage beim Landgericht Essen erfuhr, wurde mindestens ein AfD-Ratsherr aus Gelsenkirchen zum Schöffen gewählt. SPD, CDU und Grüne haben keinen Widerspruch eingelegt. Wie kam es dazu?
Bei dem AfD-Mann geht es um Friedhelm Rikowski – Jahrgang 1956, pensionierter Verwaltungsbeamter, kein Hardliner, eher gemäßigt im Ton. Das ehemalige CDU-Mitglied sitzt nicht nur für die AfD im Gelsenkirchener Stadtrat und war zweimal Landtagskandidat für seine Partei, auch wurde Rikoswki für die AfD ins Ruhrparlament gewählt. Als es dort (mittlerweile eingestellte) Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Fraktionsspitze wegen angeblich veruntreuter Gelder gab, spaltete sich die siebenköpfige AfD-Fraktion auf, Rikowski und drei weitere verließen sie. „Aber wir werden bald wieder in die alte Fraktion zurückkehren, wir haben unseren Frieden gefunden“, sagt er. Schließlich habe „parteipolitisch nie ein Blatt“ zwischen diejenigen gepasst, die in der Fraktion geblieben sind und die ausgetreten sind. Rikowski steht also voll und ganz hinter dem Programm der AfD.
Gelsenkirchener AfD-Ratsherr zum Hauptschöffen am Landgericht Essen gewählt
Vor fünf Jahren scheint das noch Abschreckung genug gewesen zu sein. „Da wurde ich nicht zum Schöffen gewählt“, erzählt Rikowski. Was nicht heißt, dass er das Amt nicht schon vorher kannte: Mit 28 Jahren sei er zum ersten Mal Schöffe gewesen, 16 Jahre habe er bereits Erfahrung in einem solchen Ehrenamt. Jetzt darf er es wieder ausüben, als Hauptschöffe im Erwachsenenbereich für das Landgericht Essen, und erstmals mit dem Hintergrund eines AfD-Funktionärs. Das aber, meint Rikowski, spiele für einen Schöffen ja ohnehin keine Rolle. „Parteizugehörigkeit hat im Gerichtssaal nicht zu suchen, man schwört, alleine der Gerechtigkeit zu dienen.“
Rikowski wurde übrigens nicht nur selbst zum Schöffen gewählt, auch war er der einzige AfD-Vertreter, der die Ehrenamtler im Wahlausschuss beim Amtsgericht Gelsenkirchen mitwählen durfte. Dieser Ausschuss besteht aus einem Richter, einem Verwaltungsbeamten und sieben Vertrauenspersonen als Beisitzern, die in Gelsenkirchen aus der Politik kommen – drei Vertreter hat die SPD, die CDU zwei, die Grünen und die AfD je einen. Der Schlüssel ergibt sich aus der Stärke der Fraktionen im Rat. Dort wird auch eine Liste mit den potenziellen Schöffen abgestimmt, auf der auch Vorschläge aus der Politik stehen.
Dabei stellten sich auch andere AfD-Ratsherren wie der verkehrs- und kulturpolitische Sprecher Mathias Pasdziorek zur Wahl, der mit wesentlich drastischeren Wortbeiträgen in der Lokalpolitik auffällt. Durchgekommen ist er allerdings nicht, im Gegensatz zu seinem Parteikollegen Friedhelm Rikowski. Ein Versehen? Oder nimmt man es angesichts Rikowskis unauffälliger Art doch nicht so ernst mit der Ablehnung der AfD, die nach Einschätzung von Verfassungsschutzbehörden in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt und in Gelsenkirchen immer wieder mit polternden Aktionen im Stadtrat heftig polarisiert?
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Der WAZ wurde von mehreren Seiten geschildert, dass die nicht öffentliche Schöffenwahl relativ langatmig abläuft: Es geht schließlich um rund 450 Personen, die auf der Bewerber- bzw. Vorschlagliste stehen, darunter Direktbewerber wie auch 97 Vorschläge aus der Politik. Bei den Vorschlägen ist nicht direkt erkennbar, welcher von der SPD oder welcher von der AfD gemacht wird. Und die Liste wird offenbar so schnell abgearbeitet, dass man aufmerksam sein muss, wenn eine Person aufgerufen wird, die man definitiv nicht im Schöffen-Amt sehen möchte. Diese Umstände allerdings bedeuten nicht, dass man keinen AfD-Politiker im Amt verhindern könnte, sofern man Wert darauf legt.
Das sagen SPD, CDU und Grüne zum gewählten AfD-Schöffen in Gelsenkirchen
In Ihren Stellungnahmen zu der Sache halten sich die Vertreter aller drei Parteien zurück. Man verweist auf die Nichtöffentlichkeit der Sitzung im Wahlausschuss. SPD-Fraktionschef Axel Barton zum Beispiel, der auch als einer von drei Vertretern seiner Fraktion im Ausschuss saß, betont auf Nachfrage, dass es den Mitgliedern natürlich frei stehe, vorgeschlagene Personen nicht auszuwählen. Dies, so Barton, sei auch mehrfach so geschehen.
Aber: „Die AfD hat bei der letzten Kommunalwahl ein Stimmergebnis erzielt, welches sie in die Position gebracht hat, sowohl im Wahlausschuss vertreten zu sein, als auch Vorschläge für die Listen zu mache. Es gehört zur Demokratie, diesen Umstand zu akzeptieren.“ Zudem dürfe für einen Bürger, der für das Schöffen-Amt geeignet erscheint und es gegebenenfalls bereits ausgeführt hat, kein Nachteil entstehen, nur weil dieser von der AfD vorgeschlagen werde. Nur wie sieht es mit Menschen wie Rikowski aus, die nicht nur von der AfD vorgeschlagen werden, sondern gut bekannt sind aufgrund ihres sichtbaren Einsatzes für die Partei?
„Wir haben in einer nichtöffentlichen Sitzung die Schöff*innen benannt, mit einer Bewerber*innen-Liste, welche vorher durch den Rat abgestimmt wurde. Dort haben wir nicht alle AfD-Bewerber*innen der AfD-Liste zu Schöff*innen benannt. Bewusst ist mir nur eine Person von der AfD-Liste“, sagt Stephan Tondorf, der für die Grünen im Ausschuss saß. Einen Namen nennt Tondorf nicht, naheliegt aber, dass er sich auf Rikowski bezieht. Die gewählte Person jedenfalls fand nach Tondorfs Erinnerung „durch Ihre Erfahrung in diesem Ehrenamt auch den Zuspruch des vorsitzenden Richters.“ Zugleich habe dieser betont, dass eine rechte Gesinnung, sollte sie zu offen zutage treten, im Schöffenamt nicht toleriert werde.
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Auch aus der Stellungnahme von Monika Kutzborski, Ausschussmitglied für die CDU, geht hervor, dass es bei Rikowski keine Widersprüche gegeben hat. Es hätten Vorbehalte gegen die vom Rat verabschiedete Vorschlagsliste geltend gemacht werden können. Aber: „Bei keinem der gewählten Kandidaten war das im Wahlausschuss der Fall. Insbesondere wurden keine Vorbehalte geltend gemacht oder waren Sachverhalte bekannt, dass gegen Rechtsstaatlichkeit oder Grundgesetz verstoßen wird“, sagt Kutzborski, und betont: „Somit wird der Aufgabe des Wahlausschusses entsprochen.“
Und Rikowski selbst? Er spricht von einem „Sinneswandel“ bei den anderen Fraktionen. „Da sind menschliche Kontakte gewachsen in den vergangenen Jahren.“