Gelsenkirchen. Die Stadt bekommt immer mehr Mails von wütenden Bürgern – und zieht Konsequenzen. Ist dieses Projekt der große Wurf, um den Frieden zu wahren?
Es sei nicht nur die schiere Zahl an Zuschriften von wütenden Bürgerinnen und Bürgern, die sich immer häufiger über Vermüllung, Gruppenansammlungen, das teils schwierige Zusammenleben zwischen Zugezogenen und Alt-Gelsenkirchenern beschwerten. Auch die Qualität der Zusendungen habe zugenommen, sagt Integrationsdezernentin Anne Heselhaus. So sehr, dass sogar sie – eine Frau, die nicht für drastische Wortwahl bekannt ist – sagen muss: „Der soziale Frieden in Gelsenkirchen ist durchaus gefährdet.“ Erreicht sieht die Stadträtin den gesellschaftlichen Kippunkt aber noch nicht - die neue Gesamtstrategie trägt deshalb passenderweise die Bezeichnung „Integerierter Ansatz zur Wahrung des sozialen Friedens und Stärkung des Zusammenhalts in Gelsenkirchener Quartieren“.
30 neue Stellen für neues Integrationsprojekt in Gelsenkirchen
Vorgestellt wurde sie jetzt, unter Beteiligung von Wohlfahrtsverbänden, Bezirksbürgermeistern und zahlreichen städtischen Referaten, in Horst. Dort, und auch in Rotthausen, ist das Programm jetzt bereits in Teilen angelaufen - unter der Überschrift „GEmeinsam in Rotthausen“ bzw. „GEmeinsam in Horst“. Dahinter stecken alleine 29 neue Stellen – darunter jeweils fünf Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD), die schwerpunktmäßig in beiden Stadtteilen unterwegs sind, und zusätzliche Mitarbeiter für das Sozialreferat der Stadt sowie eine neue Stelle fürs Quartiersmanagement in Horst.
Außerdem sollen in den beiden Stadtteilen jeweils fünf Streetworker für die aufsuchende Sozialarbeit eingesetzt werden. In Horst bei der Diakonie, in Rotthausen bei der Awo. Geschulte „Konfliktmediatoren“ sollen zudem „die Vielzahl an Konflikten zwischen Stadtbewohnern der aufnehmenden und zugewanderten Gesellschaft“ bearbeiten, formulierte es Heselhaus. „Wir wollen stärker in den Quartieren präsent sein, stärker sichtbar sein. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich immer an das Personal wenden können“, so die Dezernentin. Besetzt sein sollen alle Stellen bis zu Beginn des kommenden Jahres.
Neues Integrationsprojekt in Gelsenkirchen soll Repression und Prävention verbinden
Die Zusammensetzung des Personals deutet es bereits an: Es geht bei der Gesamtstrategie um einen Mix aus Repression und Prävention. Vorbild ist demnach, wie die Stadt die Situation am Heinrich-König-Platz im Sommer 2021 händelte, nachdem sich dort Händler über das unverschämte Verhalten herumziehender Jugendgruppen empört hatten. Dort gingen KOD und Polizei nicht nur im Rahmen ihrer Ordnungspartnerschaft gezielt zusammen auf Streife, auch versuchten Sozialarbeiter die Störenfriede mit aufblasbaren Fußballfeldern von ihrer in Belästigung mündenden Langeweile abzubringen. Das Resultat: Die Stadt konnte die Beschwerden verringern.
Ähnlich sei man auch nach wiederholten Beschwerden über herumziehende Jugendgruppen rund um den Busbahnhof in Buer vorgegangen, berichtet Heselhaus. Jetzt soll der Ansatz auch in Horst und Rotthausen gezielter gefahren werden. „Denn was wir und die Polizei können, das ist eine Flamme zu löschen und vielleicht noch die Glut zu bekämpfen“, stellte Ordnungsreferatsleiter Hans-Joachim Olbering die Herausforderung bildlich da. Um das Verhalten von jungen Migranten, die sich nicht an Regeln halten, jedoch langfristig zu verbessern, bedürfe es eben auch die konzentrierte Arbeit sozialer Träger.
Wenn das Konzept in Rotthausen und Horst aufgeht und sich die Beschwerden in den beiden besonders betroffenen Stadtteilen merklich reduzieren (beobachtet werden soll das über eine stetige Evaluation), dann soll das Projekt nach einer zweijährigen Testphase auf andere Stadtteile ausgerollt werden.
Bezirksbürgermeister im Gelsenkirchener Süden: „Es musste etwas passieren“
Für Joachim Gill, Bezirksbürgermeister in Gelsenkirchen-West, ist mit der Vorstellung des Projektes ein lang erwarteter Auftakt gelungen. Er und die anderen Bezirksbürgermeister hatten im Sommer 2021 für mächtig Wirbel gesorgt, als sie in einem WAZ-Interview gemeinsam davor warnten, dass die Zukunft der Stadt insbesondere angesichts der Integrationsprobleme bei Zuwanderern aus den EU-Südoststaaten in Gefahr sei. „Wir Bezirksbürgermeister haben schon vor langer Zeit auf die Probleme aufmerksam gemacht und versucht, etwas was zu erreichen“, sagt Gill. „Das hat nicht immer geklappt, wie wir das wollten.“ Nun aber sei ein „Befreiungsschlag“ möglich.
Was man im Sommer 2021 zur Lösung vorgeschlagen habe, trete nun ein, sagte auch Thomas Fath, Bezirksbürgermeister im Süden. „Es ist ganz wichtig, dass etwas passiert. Denn dass etwas passieren muss, das war klar.“ Gelsenkirchen sei nun einmal in einer speziellen Situation, weil hier nicht nur so viele Menschen aus Südosteuropa lebten, sondern die Stadt auch genauso viele Geflüchtete aufnehmen müsse wie andere Städte. Dem sei Rechnung zu tragen, um den Rechtspopulismus in Gelsenkirchen nicht weiter auf fruchtbaren Boden fallenzulassen.
„Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass hier in dem Projekt die referatsübergreifende Arbeit, eine Koordination stattfindet, dass eine Lenkungsgruppe eingerichtet wird und pro Stadtteil gleich fünf Sozialarbeiter und fünf KOD-Mitarbeiter eingestellt werden“, so Fath. Geradezu ein „Traum“ sei eine solche Aufstockung in der heutigen Zeit. „Wir erwarten, dass das Projekt jetzt auch von Erfolg gekrönt ist. Denn das haben sich die Menschen in den Stadtteilen verdient: Dass sie in Frieden leben können und ohne große Konflikte über den Tag kommen.“
Mehr über Gelsenkirchens neues Projekt lesen Sie hier: Gelsenkirchens Sonderstellung in Sachen Schrotthäuser und Integration wird endlich honoriert. Warum das aus Sicht der Stadt aber nicht ausreicht.