Gelsenkirchen. Das Land NRW leitet geflüchtete Menschen direkt an Kommunen wie Gelsenkirchen weiter. Das sorgt für steigende Zahlen – und scharfe Kritik.
- Weil das Land NRW keinen Platz mehr in den Landeseinrichtungen hat, werden geflüchtete Menschen mittlerweile wesentlich schneller an die Städte „weitergereicht“.
- Erste Folgen sind in Gelsenkirchen erkennbar: Die Zahl der zugewiesenen Neuankömmlinge steigt wieder moderat. Dennoch müsste die Stadt weiterhin über 300 Menschen aufnehmen, um die Pflichten zu erfüllen.
- Die FDP Gelsenkirchen kritisiert die Praxis des Landes scharf und sieht den sozialen Frieden in Gefahr.
Etwa einen Monat, nachdem das Land NRW angekündigt hat, Geflüchtete aufgrund geringer Kapazitäten in den Landeseinrichtungen direkt an die Kommunen weiterzuleiten, steigen die Zahlen der aufgenommenen Menschen in Gelsenkirchen wieder etwas deutlicher als zuvor: Während der Stadt im August jede Woche weniger als zehn Asylbewerber zugewiesen wurden, sind es seit Anfang September wieder mehr als zehn Menschen.
Konkret zeigen die Daten der Stadt: In der ersten und zweiten Septemberwoche wurden der Emscherstadt jeweils 14 Menschen zugewiesen, für die kommende Woche (Beginn 18. September) wurden Gelsenkirchen 16 Menschen angekündigt. Im August waren es wöchentlich nur zwischen null und neun Asylbewerber.
Unter den seit Anfang August zugewiesenen 67 Menschen sind nach Angaben der Stadt lediglich neun Ukrainer. Die meisten Neuankömmlinge kommen also mittlerweile wieder aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan.
Gelsenkirchen müsste aktuell noch über 300 Geflüchtete aufnehmen
„Die moderate Steigerung der Flüchtlingszahlen hat aus meiner Sicht damit zu tun, dass die Menschen nach kürzerer Verweildauer in den Landesunterkünften nun den Städten zugewiesen werden und nicht erst nach sechs oder acht Monaten“, analysiert Sozialdezernentin Andrea Henze die aktuelle Situation auf Nachfrage. Auch aus Ihrer Sicht ist die Veränderung bei den Zahlen also mit der veränderten, notgedrungenen Praxis des Landes zu erklären: Weil das Land Probleme damit hat, die Kapazitäten in den Landesaufnahmeeinrichtungen aufzubauen, müssen die Menschen nun schneller „durchgereicht“ werden. In den Landeseinrichtungen werden die Menschen registriert und untergebracht bis der Transfer in die Städte erfolgt.
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Verteilt werden die Asylbewerber dann nach einem festen Schlüssel auf die Kommunen. Oberbürgermeisterin Karin Welge kritisiert immer wieder, dass die tatsächlichen Integrationsherausforderungen der Stadt, etwa durch die zusätzlich in die Stadt kommenden Migranten aus Südosteuropa, dabei nicht hinreichend berücksichtigt werden.
Zugeteilt wurden der Stadt insgesamt bereits 3292 Flüchtlinge. Damit erfüllt Gelsenkirchen die sogenannte Quote nach dem Flüchtlingsaufnahmegesetz (FlüAG-Quote) um 90,9 Prozent. Nach aktuellem Stand müsste Gelsenkirchen also noch 328 weitere Menschen aufnehmen, um die Quote zu erfüllen. Vor zwei Monaten waren es nur 209 verbliebene Menschen bis zur Quotenerfüllung.
Verpflichtungen zur Flüchtlingsaufnahme: Teils Chaos bei den Zahlen der Kommunen
Es handelt sich also um eine sehr volatile Zahl. Das hat zum einen mit der Gesamtzahl der nach NRW kommenden Menschen zu tun. Selbst wenn Gelsenkirchen in wenigen Wochen also 328 Menschen aufnehmen würde, könnte es sein, dass die Stadt danach wieder neue Menschen versorgen müsste, weil wieder zahlreiche in den Landesaufnahmeeinrichtungen nachgekommen sind. Zum zweiten gibt es aber auch immer wieder Fehler bei den Daten, welche die 396 Kommunen an die Bezirksregierung Arnsberg übermitteln. Dort wird die Zuweisung der Asylbewerber gesteuert.
Ein besonders krasses Beispiel gab es es bei den Zahlen vom 23. Juni 2023. Der Statistik zufolge hatte Düsseldorf seine Quote plötzlich nur noch zu 5,85 Prozent erfüllt, hätte also plötzlich 7970 neue Menschen aufnehmen müssen. Tatsächlich aber hatte die Stadt ihre Quote zu weit über 100 Prozent erfüllt. Derartige Fehler sorgen folgend auch zeitweise für Chaos bei anderen Städten, weil sich dadurch kurzerhand ihre Aufnahmeverpflichtungen verändern.
FDP Gelsenkirchen: „Das ist schädlich für unsere Stadtgesellschaft und gefährdet den sozialen Frieden“
Während die Stadt damit beschäftigt ist, die wieder steigende Zahl der Geflüchteten unterzubringen, kommt aus der Politik Kritik an dem „Weiterreichen“ des Landes: „Die Landesregierung aus CDU und Grünen macht es sich erschreckend einfach“, kritisierte jüngst der integrationspolitische Sprecher der Gelsenkirchener FDP-Ratsfraktion, Fabian Urbeinczyk. Die örtlichen Liberalen sprechen von einer „Einfallslosigkeit“ des Landes und sind „erschüttert“.
„Für mich ist das Vorgehen des Landes nicht nur unsolidarisch den Kommunen gegenüber, es ist auch unehrlich“, ergänzt Urbeinczyk. Der Stadtverordnete kritisiert, dass im Land eine Willkommenskultur propagiert werde, die kaum umzusetzen sei. „Das ist schädlich für unsere Stadtgesellschaft und gefährdet den sozialen Frieden. Es ist nicht einzusehen und zu vermitteln, dass wir vor Ort alle Probleme lösen müssen, auf deren Entstehung wir keinen Einfluss haben“. Alles, was möglich sei, müsse aktiviert werden, um Druck von den Kommunen zu nehmen.