Gelsenkirchen. Gelsenkirchens größte Flüchtlingsunterkunft liegt abgeschieden in der Katernberger Siedlung. War es richtig, sie vor 8 Jahren hierhin zu bauen?
Es ist der erste richtig helle Tag nach vielen Regenschauern. An der Katernberger Straße hatten sie Glück. Heute ist das Sommerfest. Und das ohnehin lebendige, aber auch abgeschiedene Viertel an der Endstation der Buslinie 382 sprüht noch mehr vor Leben als sonst. Karibische Musik drängt aus den Boxen. Kinder toben, Erwachsene trommeln, es riecht nach Grillfleisch. „Ich liebe es hier“, sagt ein Senior im Anzug, der angibt, seit 50 Jahren hier zu wohnen. „Hier hilft jeder jedem.“ Das ist der positive Blick auf die Siedlung. Es gibt aber auch einen anderen.
Denn auch ist Feldmarks urbane Insel, die in direkter Nähe der JVA liegt, eine einstige Obdachlosen-Siedlung, ein Ort der heruntergekommenen Fassaden, der wirkt, als müsste man sich, als würde man sich wenig um ihn kümmern. Auch heute wohnen hier viele bedürftige Menschen, viele Leute mit geringen Deutschkenntnissen. 596 Personen leben auf Gelsenkirchener Seite des Quartiers an der Stadtgrenze zu Essen. Davon sind 209 minderjährig, 495 haben keine deutsche Staatsangehörigkeit.
Als „sozialen Brennpunkt“ will die Stadt das überwiegend friedliche Viertel zwar nicht bezeichnen – denn dazu würde auch eine überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsrate gehören. „Gleichwohl leben in der Siedlung viele von Armut und Arbeitslosigkeit betroffene Menschen“, so Stadtsprecher Martin Schulmann.
Gelsenkirchens größte Flüchtlingsunterkunft befindet sich an der Katernberger Straße
Und die Katernberger Siedlung ist auch das: der Ort der größten Flüchtlingsunterkunft Gelsenkirchens. Zwar ist in der Emscher-Lippe-Halle noch mehr Platz, aber bei ihr handelt es sich nur um eine temporäre Not-Unterkunft. Die Katernberger dagegen ist eine feste Aufnahmestätte, eine „zentrale Gemeinschaftsunterkunft“. 204 Plätze gibt es hier in 17 durchaus modernen Wohneinheiten, die von einem Zaun abgetrennt werden. Belegt sind sie fast alle. Darüber hinaus sind auch weitere Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten in Wohnungen außerhalb des umzäunten Bereichs untergebracht. Die Katernberger ist auch die Siedlung der Geflüchteten.
Aber ist es aus heutiger Perspektive klug gewesen, sie dazu zu machen? War es aus integrationspolitischen Gesichtspunkten förderlich, die meisten Geflüchteten ausgerechnet dort unterzubringen, wo viel Armut herrscht, wo wenig Deutsch gesprochen wird, wo man abseits lebt vom Rest der Stadt?
Solche Fragen stellen sich zusehends, weil die Integrationsherausforderungen Gelsenkirchens täglich größer werden – nicht nur aufgrund des anhaltenden Zuzugs von Menschen, die einen Asylantrag in Deutschland stellen, auch aufgrund der vielen Menschen aus Südosteuropa, die weiterhin nach Gelsenkirchen kommen. Der Stadt, so müsste man meinen, müsste viel daran liegen, geflüchtete Menschen möglichst schnell in die Mitte der Gesellschaft zu holen – und sie nicht abgeschieden leben zu lassen.
Stadt Gelsenkirchen: Größte Flüchtlingsunterkunft an der Katernberger war „richtige Entscheidung“
Auf Nachfrage bei der Stadtverwaltung wird aber klar: Sie hätte die Entscheidung, die größte Regelunterkunft für Geflüchtete der Stadt hier zu bauen, heute genauso getroffen. „Am Standort der heutigen Flüchtlingsunterkünfte an der Katernberger Straße gab es schon vor 2015 seit Jahrzehnten eine große Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Form von Wohncontainern und feststehenden Häusern“, ruft Martin Schulmann in Erinnerung. „Diese Unterkunft war im Stadtteil Feldmark akzeptiert, sodass es nahe lag, dort auch zukünftig geflüchtete Menschen unterzubringen.“
Ob die Akzeptanz vor allem daher rührte, weil die Menschen nun mal nichts anderes kannten oder weil sich selten dort die Stimme erhebt, wo der soziale Stand der Menschen schwierig ist, lässt sich heute schwer rekapitulieren. Die Stadt aber hält fest. „Auch aus heutiger Sicht war es eine richtige Entscheidung, in diesem Quartier eine neue Wohnanlage für Geflüchtete zu errichten.“ Die Entscheidung sei weder für die Geflüchteten noch für die anderen Menschen im Quartier kontraproduktiv, da es in der Siedlung „ein umfangreiches und bewährtes Beratungs- und Unterstützungsangebot“ gebe.
Geflüchtete an der Katernberger: So will sie die Stadt auf „selbstständiges Leben vorbereiten“
Die Liste der Stadt ist lang – sie verweist darauf, dass schnell versucht wird, den Neuankömmlingen eine feste Tagesstruktur zu geben. Es gibt Hilfe beim Umgang mit der deutschen Bürokratie, zahlreiche Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche, aufsuchende Sozialarbeit, Deutschkurse, Sport, Freizeit und Musik. Zum Weltfrauentag bastelten die Kinder Grußkarten für die Frauen in der Siedlung; zum Gedenktag zur Befreiung von Auschwitz polierten die Kinder einen Stolperstein. Verantwortlich für die Integrationsarbeit vor Ort ist die Awo. Sie hat ein buntes Gebäude direkt vor dem Zaun der Unterkünfte. Und um die Ecke, an der Brückenstraße, befindet sich das „Awo Familienzentrum“.
- Lesen Sie auch:Flüchtlinge. Zehn Ideen für das Asylsystem der Zukunft
Durch die Arbeit dort, so formuliert es die Stadt, sollen die Menschen nicht nur auf das „selbstständige Leben in der Gelsenkirchener Stadtgesellschaft“ vorbereitet werden, auch soll die Gemeinschaft in der Siedlung gestärkt werden. Dass dies zumindest zu funktionieren scheint, daran hat man an diesem Tag keinen Zweifel „Ich habe Eigentum in der Stadt“, sagt der Mann im Anzug. „Aber wohnen, das würde ich sicher nur hier.“