Ruhrgebiet. Wie kann das Asylsystem effizienter, gerechter und günstiger werden? Von Unterkunft und Verteilung bis zum Arbeitsmarkt: zehn Ideen mit Zukunft.

Das Asylsystem von morgen soll die Städte entlasten, den Geflüchteten mehr Chancen bieten und dazu noch Kosten sparen. Hinter den Kulissen wird bereits daran gearbeitet. Zehn Ideen und Projekte mit Zukunft.

Passgenauer Wohnort

„Permanent werden Menschen in Deutschland verteilt“, erklärt die Migrationsforscherin Danielle Kasparick von der Uni Hildesheim. Aber man könnte sie besser verteilen. So, dass die Menschen gleich dort ankommen, wo sie „gut leben können“. Denn wenn Geflüchtete nicht so oft umziehen, dann zahlen sich die lokalen Investitionen in Integration auch vor Ort aus.

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Das Projekt „Match’In“ der Unis Hildesheim und Erlangen-Nürnberg will die Bedürfnisse der Geflüchteten mit dem Angebot der Städte übereinbringen, gefördert wird es von der Essener Stiftung Mercator. Die vier Bundesländer NRW, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Hessen sind mit an Bord. Aber natürlich ist es mit einer Software nicht getan. Städte wie Geflüchtete müssen eine Menge Daten zur Verfügung stellen.

Darum fängt man klein an, mit fünf Städten in NRW, darunter Düsseldorf, Krefeld und Wuppertal, und in der Zentralen Unterbringungseinrichtung Herford. In deren Beratungsstelle können Geflüchtete bald entsprechende Fragebögen ausfüllen: Welche Qualifikation bringen sie mit, für welche Ausbildung, welches Studium interessieren sie sich, gibt es gesundheitliche Einschränkungen, gibt es Verwandte in Deutschland?

Zunächst sollen die Geflüchteten nur innerhalb der Bundesländer „besser“ verteilt werden, ein Fernziel ist es aber, länderübergreifend zu arbeiten. Das würde freilich das ganze System auf den Prüfstand stellen. Ob es so kommen wird? Die Forscher hoffen jedenfalls, dass der Mehrwert überzeugend ausfällt.

Vorhaltepauschale

Planungssicherheit“ fordern die Städte schon lange von Land und Bund. In der Flüchtlingskrise von 2015 mussten sie kurzfristig reagieren, bauten Unterkünfte auf – die später leer standen und schließlich zum Teil abgebaut wurden. Bis der Angriff auf die Ukraine kam. Der war freilich kaum vorherzusehen. dass die Zahl der Flüchtlinge aus dem Rest der Welt wieder steigt allerdings schon, sagen Experten. Aus Sicht des Deutschen Städtetages bleiben „wichtige Fragen der Finanzierung für die Aufnahme, Versorgung und Integration von Geflüchteten“ jedoch weiterhin ungeklärt.

Es ist klar: Wenn Bund und Länder vorgeben, wie viele Reserven – auch für Sprachkurse, Kita- und Schulplätze – die Städte vorhalten sollen, dann werden sie sich auch an den Kosten beteiligen müssen. Zumindest in der Theorie sollte eine längerfristige übergeordnete Planung Kosten sparen, zum Beispiel weil Immobilien, Zelte und Container nicht in Notsituationen für hohe Preise angemietet werden müssen. Stattdessen könnten zum Beispiel Zelte zentral vorgehalten werden. „Raus aus dem Notfallmodus“ will man – mit einer „langfristigen, dynamischen Finanzierungsregelung“. Sprich: mit Vorhaltepauschalen.

Statistik in Echtzeit

Eine Grundlage für bessere Planung ist das „Migrations-Dashboard“, das das Bundesinnenministerium seit März für das Fachpersonal in Bund, Ländern und Städten anbietet. Die Software stellt zum Beispiel die aktuelle Verteilung von Geflüchteten innerhalb der Länder dar, weitere Schwerpunkte sind anonymisierte Daten zu ukrainischen Flüchtlingen sowie Statistiken zum Asyl- und Fluchtgeschehen, zum Beispiel zu unerlaubten Einreisen. Hier bekommen die Menschen, die die Ressourcen verwalten, mehr oder weniger in Echtzeit einen Überblick über die Lage. Man kann das Dashboard auch als eine Art Frühwarnsystem begreifen, schließlich zeigt es an, wo Kapazitäten sich zu erschöpfen drohen. Und natürlich ist es ausbaufähig.

Mehr Unterkünfte von Land und Bund

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Asylbewerber ohne Bleibeperspektive, die Deutschland also absehbar wieder verlassen müssten, sollten gar nicht erst auf die Kommunen verteilt werden, fordert der Deutsche Städtetag. Heißt: Die Länder, aber auch der Bund sollen ihre Unterkünfte ausbauen. Was auch bereits passiert, aber nicht in ausreichendem Maße, warnt der Städtetag: Allein mit Geld sei den Kommunen nicht geholfen. Vielerorts gebe es kaum noch kommunale Gebäude oder Flächen, um sie zu Unterkünften umzurüsten oder dort Wohncontainer aufzustellen.

Serielles Bauen

Der Bau von Flüchtlingsunterkünften (aber auch von normalen Wohnungen) soll aber günstiger und schneller werden. Die Lösung: Fertigteile – die nur einmal zentral genehmigt werden müssen. Grundlage ist die sperrig klingende „Rahmenvereinbarung für serielles und modulares Bauen 2.0“ des Bundesbauministeriums. Per Ausschreibung können Bauunternehmen ihre zukunftsweisenden Wohnungsbaukonzepte einreichen – also solche, bei denen industriell vorgefertigte Teile zum Einsatz kommen. Dies ist auch eine Reaktion auf den Fachkräftemangel.

Eine erste Rahmenvereinbarung von 2018 läuft nun aus, zudem haben Branche und Technik sich weiterentwickelt. Bis zum Herbst soll also ein modernisierter Katalog mit anpassbaren Fertigbauten entstehen, aus dem die circa 3.000 abrufberechtigten Wohnungsunternehmen unkompliziert auswählen können – zum Beispiel für den Sozialen Wohnungsbau oder eben Flüchtlingsunterkünfte. Die Ausschreibungen entfallen außerdem, weil feste Preise vereinbart werden. Die Vorlaufzeiten verkürzen sich dadurch erheblich, die eigentlichen Bauzeiten ebenfalls um durchschnittlich sechs Monate – was auch die Nachbarn entlastet.

Wohnsitzzuweisung abschaffen

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Viele Städte und das Land finden kaum noch geeignete Immobilien für kleinere oder mittlere Erstaufnahmeeinrichtungen. Der Ausweg sind Großunterkünfte oder Container-Behelfe (hier: Köln-Zollstock).
Von Thomas Mader und Christopher Onkelbach

„Sehr viele Geflüchtete sitzen zu lange in Gemeinschaftsunterkünften, obwohl sie woanders günstiger Wohnraum finden könnten“, sagt Birgit Naujoks, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW. Die Streichung der Wohnsitzregelung zumindest für anerkannte Flüchtlinge könnte das ändern. Momentan müssen sie drei Jahre nach der Anerkennung im Bundesland wohnen bleiben, in dem sie das Asylverfahren durchlaufen haben – in NRW sogar in der zugewiesenen Stadt. Es gibt einige Ausnahmen von dieser Regelung, für Familie, Studium und Ausbildung oder wenn der Flüchtling mindestens knapp 800 Euro verdient. Aber mit dem Wohnungs- und Arbeitsangebot bringt man die Nachfrage so nicht überein.

Zugang zum Arbeitsmarkt

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„Was können wir von den Erfahrungen mit der Integration ukrainischer Flüchtlinge lernen?“, fragt Stefanie Horstmann. Sie leitet mehrere Flüchtlingsunterkünfte für die CSE Essen (Caritas und SkF). „Der unbürokratische Zugang zu Sprachkursen, dem Arbeitsmarkt und Hilfssystemen führt dazu, dass sie motivierter sind und schneller einen Job bekommen. Und das ist ja das Ziel für alle.“

Zum Beispiel: Wer aus dem Bürgerkriegsland Syrien kommt und arbeiten will, braucht dazu anfangs eine Erlaubnis der Ausländerbehörde: solange sie oder er noch nicht anerkannt ist und ab dem 3. bis zum 15. Monat des Aufenthaltes. „Das müsste man vereinfachen oder vielleicht auch abschaffen“, sagt Stefanie Horstmann. Das würde die Behörden entlasten, zu einer schnelleren Bearbeitung anderer Anträge beitragen, den Fachkräftemangel lindern und die Integration der Geflüchteten beschleunigen. „Hat man im Fall der Ukraine getan“, sagt Horstmann, „warum soll das nicht auch für andere Länder, in denen offensichtlich Krieg herrscht, möglich sein?“

Einen Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete in den Städten, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, fordert auch der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, zugleich Oberbürgermeister von Leipzig: „Wir sollten denjenigen eine Chance geben, die schon hier sind“, erklärt Burkhard Jung. „Sie sollten leichter eine Arbeitserlaubnis erlangen können, und ihre Qualifikationen müssen einfacher anerkannt werden.“

Vereinfachung des Aufenthaltsrechts

Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags.
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Britta Pedersen

Wenn Aufenthaltstitel und Visa länger gültig wären, wenn Bescheinigungen nicht immer persönlich übergeben werden müssten, würde das die Ausländerbehörden entlasten. Diese Vorschläge sind im Zuge des Migrationsgipfels von Bund, Ländern und Kommunen erarbeitet worden. Insbesondere der Deutsche Städtetag dringt auf schnelle Umsetzung. Denn die Behörden sind vielerorts überlastet, die Wartezeiten auf Termine monatelang. „Wir brauchen Gesetze, die einfach zu vollziehen und digital umzusetzen sind“, sagt Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. „Nur dann ist Verwaltung zukunftsfähig … Zumindest sollten die Ämter in der Lage sein, Termine zu vergeben und einzuhalten.“

Bessere, digitalere Ämter

Mitunter wartet man Monate auf einfache Termine in Ausländerbehörden. Die Städte tun sich schwer, dieses Problem zu beheben, denn es ist Folge vieler größerer Trends. Der Deutsche Städtetag benennt die Wichtigsten und fordert: Einheitliche Standards für digitale und entbürokratisierte Verfahren. Mehr Ausbildungs- und Studienkapazitäten, auch über den unmittelbaren Bedarf hinaus. Moderne und flexible Arbeitsbedingungen, inklusive mobiler Arbeit. Flexiblere Regelungen bei Renten und Pensionseintritt. Einfachere Quereinstiege und einhergehende Qualifizierungsangebote. „Für zentrale Verwaltungsverfahren, wie das Beantragen von Pässen, für Führerscheine oder Führungszeugnisse sollte der Bund auch zentrale IT-Lösungen bereitstellen“, erklärte Vizepräsident Burkhard Jung. „Dann muss sich nicht jede Stadt um individuelle Lösungen kümmern.“

Private Netzwerke einbeziehen

„Helfende Wände“ heißt ein Projekt, das Geflüchtete mit privaten Vermietern vernetzt. Solche digitalen Kontaktbörsen gibt es natürlich von vielen Organisationen. Durch die Partnerschaft mit den Bundesministerien für Inneres und Migration wird dieses jedoch zu einer quasi-offiziellen Ergänzung des Asylprozesses. Je schneller Geflüchtete in eigenen Wohnungen ankommen, desto geringer die Belastung der Sammelunterkünfte und umso schneller beginnt die Integration. Der Staat hat das offenbar erkannt und schaut sich die Methoden bei anderen Hilfsorganisationen ab.