Gelsenkirchen. Mehr Hilfsangebote schon ab dem Kindesalter und ein dichtes, gemeindenahes Versorgungsnetz: Gelsenkirchen möchte früher und besser helfen können.

Die Möglichkeiten der Stadt Gelsenkirchen, die psychiatrische Versorgung vor Ort zu sichern beziehungsweise zu verbessern, halten sich in Grenzen. Dennoch will Gesundheitsdezernentin Andrea Henze gemeinsam mit der Referatsleiterin Emilia Liebig und der Leiterin des sozialpsychiatrischen Dienstes, Katrin Johanna Kügler, sowie möglichst vielen beteiligten Akteuren versuchen, das Therapieangebot auszubauen, mehr Anlaufstellen vor allem für betroffene Kinder und Jugendliche in die Stadt zu holen.

Hoffen auf Verbesserungen für die Stadt im Landespsychiatrieplan

Welche psychiatrische Versorgung für eine Stadt angemessen ist, was es braucht, wird auch im Landespsychiatrieplan alle fünf Jahre überarbeitet. „2024 ist es das nächste Mal soweit. Wir hoffen, dass sich dann etwas ändert“, sagt Dezernentin Andrea Henze. „In der Berechnung der notwendigen psychiatrischen Versorgung in einer Stadt müsste die soziodemographische Situation berücksichtigt werden. Das ist bisher so gut wie nicht der Fall“, klagt sie. Neben der Unterversorgung im Bereich der Kinder und Jugendlichen in der psychiatrischen Versorgung sehen sie und ihre Ressortkolleginnen auch Erweiterungsbedarf im Bereich der Menschen mit geistiger Behinderung.

Fortbildungsangebote als Anreiz für Bewerber

Gesundheitsdezernentin Andrea Henze, die Leiterin des psychosozialen Dienstes der Stadt, Katrin Johanna Kügler und die ärztliche Leiterin des Gesundheitsreferates, Emilia Liebers, (v.l.n.r.) wollen mit Hilfe des unabhängigen Fachverbands und gemeinsam mit der Kassenärztlichen Versorgung die gemeindenahe, psychiatrische Versorgung weiter aus- und aufbauen.
Gesundheitsdezernentin Andrea Henze, die Leiterin des psychosozialen Dienstes der Stadt, Katrin Johanna Kügler und die ärztliche Leiterin des Gesundheitsreferates, Emilia Liebers, (v.l.n.r.) wollen mit Hilfe des unabhängigen Fachverbands und gemeinsam mit der Kassenärztlichen Versorgung die gemeindenahe, psychiatrische Versorgung weiter aus- und aufbauen. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Möglichst gemeinsam mit der für die Versorgung in Gelsenkirchen zuständigen kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe will Henze Verbesserungen auf den Weg bringen. Auf fachliche Unterstützung hofft die Stadt, die formal nicht in die Planung eingebunden ist, durch die Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie, einem unabhängigen Fachverband, dem man trotz Finanznot als zahlendes Mitglied angehört. Das komplette Team profitiere von den dort angebotenen Fortbildungen, „und letztlich hilft die Aussicht darauf auch bei der Mitarbeitergewinnung“, versichert Henze. Tatsächlich konnte das Gesundheitsreferat zuletzt aufgestockt werden, selbst ärztliche Mitarbeiter – deren Interesse an der Arbeit in Behörden sich traditionell in Grenzen hält – wurden gewonnen.

Sich kümmern mit „liebevoller Aufdringlichkeit“

Die Diplom-Sozialwissenschaftlerin Katrin Johanna Kügler kümmert sich mit ihrem Team seit 2021 um Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener mit psychischen oder psychiatrischen Störungen sowie Epilepsien. „Mit liebevoller Aufdringlichkeit“ geschehe das, versichert Kügler. Dabei wartet man nicht allein darauf, dass Betroffene mit Hilfebedarf zu den Beratungsangeboten kommen, sondern suche etwa nach einer stationären Unterbringung mit Zwangseinweisung die Betroffenen zu Hause auf oder noch während des Klinikaufenthaltes. Hinweise auf Hilfebedürftige kommen auch über das Ordnungsamt, welches die Zwangsmaßnahmen beantragt.

Das Team schaue nach dem Rechten, vermittele ambulante Unterstützungsangebote, helfe bei Behördenangelegenheiten und der Bewältigung des für diese Betroffenen so schwierigen Alltags. „Wir haben selbst in der Coronazeit bis zu 700 Hausbesuche pro Jahr gemacht. Jetzt werden es sicher deutlich mehr“, erklärt Kügler. Zur Klientel gehören Menschen etwa nach der Entlassung aus einer Zwangsunterbringung wegen drohender Selbst- oder Fremdgefährdung. Für Menschen mit Suchterkrankungen aller Art und deren Angehörige versteht sich der Dienst als Anlaufstelle, bei der in weiterführende Hilfen wie in Entzugs-und Entwöhnungsbehandlungen, ambulante Reha-Maßnahmen und Nachsorgen oder auch in ambulant betreutes Wohnen vermittelt werden kann.

Zahl der Methadon-Klienten steigt, Praxen steigen aus Versorgung aus

Neun Sozialarbeiter und -pädagogen, (seit 1. Juli) zwei Ärztinnen, zwei Krankenpflegekräfte plus Verwaltung gehören zum Team des sozialpsychiatrischen Dienstes. In das Ressort von Katrin Johanna Kügler gehört auch die Methadonambulanz. Die medizinische Betreuung dieses Angebots für Drogenabhängige, die hier zum Einsatz von Ersatzmedikamenten beraten werden können, und auch eine Substitution mit Polamidon/Methadon bekommen können, schien akut gefährdet. Der zuständige Mediziner erreichte die Altersgrenze, Bewerber um die Nachfolge waren nicht in Sicht.

50 Klienten werden allein in der städtischen Ambulanz mittlerweile versorgt, anfangs waren es 30. Es gibt immer weniger niedergelassene Ärzte, die in ihren Praxen die Methadonabgabe durchführen wollen. Unterdessen steigt die Zahl jener, die den Opiatersatz benötigen und wollen, weiter. Mittlerweile hat sich jedoch zumindest eine Nachfolgerin für die städtische Methadonambulanz gefunden.

Gesundheitskiosk als wichtiges Instrument zur Koordinierung der Angebote

Im Aufbau sind aktuell – mit 80 Prozent Landesunterstützung – gemeindepsychiatrische Verbünde, die bis Ende 2024 etabliert sein sollen. Ein städtischer Mitarbeiter ist mit der Koordinierung in Absprache mit den freien Trägern damit befasst. Mit im Boot ist die Bundesarbeitsgemeinschaft gemeindepsychiatrischer Verbünde. Ziel ist der Aufbau einer umfassenden, auch präventiv aktiven psychiatrischen Versorgung in der Stadt. Auch das Projekt „GEstärkt durchs Leben“, das besonders die Kinder psychisch auffälliger Eltern im Blick hat, soll an das Netzwerk gebunden werden. „Der Gesundheitskiosk, der mir besonders am Herzen lieg, kann ebenso wie die Gesundheitskonferenz als wichtiges Instrument zur Erfassung des Bedarfs und Koordinierung der Angebote dienen“, hofft Dezernentin Henze.

So früh wie möglich erkennen und eingreifen

Emilia Liebers wünscht sich für Gelsenkirchen zumindest eine Institutsambulanz für Kinder und Jugendliche mit psychiatrischem Therapiebedarf: „Das würde den Zugang zur Tagesklinik am Bergmannsheil Buer erleichtern und auch die Zugangsschwelle für viele Familien weiter senken.“

Generell, da sind sich die Akteurinnen einig, sei es kurzsichtig, nicht früh einzugreifen beziehungsweise mangels Angeboten eingreifen zu können. Je früher gerade im Kinder- und Jugendbereich Probleme erkannt würden, desto besser seien sie zu behandeln. Und desto günstiger und besser sei das für die Gesellschaft.