Gelsenkirchen. Darauf wartet man in Gelsenkirchen seit Jahren: Eine Altschulden-Lösung ist da! Warum trotzdem keine Sektkorken in der Stadt knallen.
Jahrelang hat man in Gelsenkirchen sehnsüchtig auf diese Nachricht gewartet: Es gibt nun tatsächlich einen Vorschlag, die Kommune von ihren belastenden Altschulden zu befreien. Doch während die von der schwarz-grünen Landesregierung vorgelegten Pläne von der Grünen-Landtagsabgeordneten İlayda Bostancıeri schon euphorisch als „historische Entscheidung für Gelsenkirchen“ zelebriert werden, fallen bei der Kämmerei im Hans-Sachs-Haus noch keine Steine vom Herzen.
„Historisch“ sei die Entscheidung nicht, da sie keinen tatsächlichen Altschuldenschnitt darstelle „Es handelt sich mehr um einen Umverteilungsmechanismus unter den Kommunen“, gibt Kämmerer Luidger Wolterhoff seine erste Reaktion. „Die Auswirkungen für Gelsenkirchen sind schwer abschätzbar, der Teufel wird im Detail liegen.“ So sei etwa nicht klar, ob Gelsenkirchen im Gegenzug zu den Entlastungen anderswo Geld weggenommen wird, beispielsweise bei den für die Stadt so bedeutenden Schlüsselzuweisungen.
Gelsenkirchen hat Zinslasten von 23 Millionen Euro, Altschulden in Höhe von 520 Millionen Euro
Bei den Altschulden geht es um die sogenannten Liquiditätskredite. Diese haben sich auch historisch bedingt durch die Herausforderungen beim Strukturwandel aufgetürmt und sind vergleichbar mit Dispo-Krediten, über welche die Stadt ihr laufendes Geschäft finanziert. Alleine in Gelsenkirchen betragen die Altschulden aktuell fast 520 Millionen Euro – ein Betrag, der angesichts der derzeit steigenden Zinsen eine immer größere Belastung darstellt. Laut Wolterhoff betragen die Kosten für Zinsen und Tilgung aktuell 23 Millionen Euro im Jahr. Vor allem von dieser Schuldenlast wird die Stadt wohl befreit werden.
Die Pläne des Landes sehen nämlich vor, dass ab Mitte 2024 die Hälfte dieser kommunalen Altschulden in Landesschulden „überführt“ werden. Die Stadt müsste also keine Kredite dafür mehr zahlen. Abbezahlt werden sollen diese Schulden wiederum über den Anteil aller Kommunen an der Grunderwerbsteuer – eigentlich eine wichtige Einnahme für die Städte, um Kitas, Schulbau, Straßen zu finanzieren. Es geben also alle Kommunen etwas in einen Topf, über den dann die Schulden der klammen Städte finanziert werden.
Das Land will mit diesem „Einstieg“ in die Altschuldenlösung nun Druck auf die Bundesregierung aufbauen, die andere Hälfte der Altlasten zu übernehmen. Beide Regierungen – sowohl Schwarz-Grün in NRW als auch die Ampel im Bund – haben die Entschuldung der Kommunen in ihren Koalitionsvertrag geschrieben.
„Das System dürfte für Gelsenkirchen von Vorteil sein, aber das Geld kommt von der falschen Stelle“, meint Luidger Wolterhoff. Bislang seien die Städte und Gemeinden davon ausgegangen, dass man zur Lösung der Altschuldenproblematik nicht der einen Kommune etwas wegnimmt und der anderen etwas gibt. „Nun aber wird hier ein Solidaritätsprinzip eingeführt“, analysiert der Kämmerer. Dabei seien vielmehr Bund und Länder in der Verantwortung, die Unterfinanzierung der Kommunen zu beenden.
„Das Gute an dem Vorschlag des Landes ist aber, dass nun wieder Bewegung in die politische Diskussion kommt.“ In den vergangenen Monaten sei man als Kommune kaum durchgedrungen, wenn man über den Altschuldenschnitt sprechen wollte. „Das dürfte nun vorbei sein.“
„Mogelpackung“: SPD Gelsenkirchen ist enttäuscht von NRW-Altschuldenlösung
Weniger diplomatisch urteilt die SPD. Die Gelsenkirchener Landtagsabgeordneten Sebastian Watermeier und Christin Siebel halten die Pläne für „eine Mogelpackung“. Geld, das den Kommunen ohnehin zugestanden hätte, werde lediglich umgewidmet. „Das Land selbst nimmt keinen einzigen zusätzlichen Cent in die Hand“, monieren die Abgeordneten. Von einer „historischen Entscheidung“ könne keine Rede sein. Auch Lukas Günther, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Ratsfraktion, ist von den Plänen enttäuscht. „Das Modell des Vorwegabzugs ist nichts anderes als ein profaner Griff in die kommunalen Kassen“, kommentiert er. „Statt wirksame Entlastungen und mehr Investitionsspielraum bleibt das Problem unter dem Strich bestehen. Bei diesem Vorschlag gibt es aus Gelsenkirchener Sicht nichts zu feiern.“
Nicht berücksichtigt werde bei dieser Perspektive allerdings, „dass die Kosten für den Schuldendienst nicht allein von Gelsenkirchen und den anderen Kommunen mit Altschulden übernommen werden, sondern solidarisch von der gesamten kommunalen Familie getragen werden“, begegnet die grüne Landtagsabgeordnete İlayda Bostancıeri der Kritik. Zudem macht sie darauf aufmerksam, „dass die Frage der Altschulden vor zwei bis drei Jahren viel einfacher und kostengünstiger“ hätte gelöst werden können. „Zu der Zeit waren die Zinsen günstiger und auch der Landeshaushalt hatte viel mehr Spielraum.“ Diese Chance habe die damalige schwarz-gelbe Koalition aus CDU und FDP verstreichen lassen.
Kritik an dem Altschuldenvorschlag kommt auch von der AfD. „Die Altschuldenregelung begünstigt Städte, die besonders verschwenderisch mit Steuergeld umgehen“, meint die Gelsenkirchener Landtagsabgeordnete Enxhi Seli-Zacharias. Es dürfe nur einen Schuldenerlass geben, wenn „ernstzunehmende Bemühungen“ auch in einer Stadt wie Gelsenkirchen wahrzunehmen seien und „Ersparnisse“ in „ideologischen“ Bereichen wie verfehlte Integrationsmaßnahmen oder Klimaförderung erfolgten.