Gelsenkirchen. Weil der Bund „Geldnot“ hat, sei ein Altschuldenschnitt immer unrealistischer, glaubt Welge. Aber in der Not könne Gelsenkirchen Vorbild sein.

Obwohl eine Lösung für besonders von Altschulden belastete Kommunen wie Gelsenkirchen sowohl im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition im Bund wie auch der schwarz-grünen Landesregierung in NRW steht: Aus Sicht von Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) wird es immer unrealistischer, dass die überschuldeten Kommunen tatsächlich von ihren Altlasten befreit werden. „Das Fenster schließt sich so langsam“, sagte Welge im Gespräch mit der WAZ.

Während Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) noch im Mai 2022 eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen hatte, um hoch verschuldete Städte und Gemeinden zu entlasten, sind aus dem Finanzministerium jüngst vornehmlich Sparappelle zu hören. Für weiteres Geld an die Kommunen, etwa für die Flüchtlingsunterbringung, gebe es derzeit keinen Spielraum, so Lindner.

Zukünftige Zinsbelastung in Gelsenkirchen: „Das kann schmerzlich werden“

Unterdessen werden die steigenden Zinsen für die verschuldeten Kommunen eine immer größere Belastung. Wie Welge betonte, wirkt sich die durch die Europäische Zentralbank eingeleitete Zinswende zwar aktuell noch kaum auf den Gelsenkirchener Haushalt aus. Allerdings laufe die Zinsbindung für einen erheblichen Teil der Kredite bald aus. „Das kann durchaus schmerzlich werden“, sagt Welge.

Aktuell ist die Stadt noch mit Kassenkrediten in Höhe von rund 520 Millionen Euro belastet, der Durchschnittszins dafür beträgt aktuell noch 1,18 Prozent. Allerdings läuft ein großer Teil jener Kreditverträge in den nächsten fünf Jahren aus. Um ihre Liquidität zu sichern, wird die Stadt dann neue Kredite mit Zinsen in ganz anderen Dimensionen abschließen müssen. Als realistisch gelten Zinssätze von rund vier Prozent – für die Stadt eine Millionen-Belastung.

Bislang gibt es bei der Altschuldenübernahme vor allem Widerstand aus Ländern wie Bayern, wo man nicht auch noch zusätzlich für die Schulen von Kommunen anderer Länder aufkommen möchte. Begründet wird die Blockade mit dem bundesstaatlichen Finanzkraftausgleich. Um unter den Bundesländern möglichst einheitliche Lebensverhältnisse herzustellen, sind im Rahmen des Finanzkraftausgleichs 2022 rund 18,5 Milliarden Euro umverteilt worden.

Zu den zahlenden Ländern gehört neben Bayern auch Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg. Oberbürgermeisterin Karin Welge, die zuletzt in ihrer Funktion als Präsidentin der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) im Rahmen des Tarifstreits im öffentlichen Dienst eine bundesweit beachtete Rolle einnahm, sagt aber, sie habe ihre Funktion auch genutzt, um die strukturpolitischen Herausforderungen Gelsenkirchens anderen Kommunen und vor allem den Ansprechpartnern im Bund gegenüber zu verdeutlichen.

OB Welge: „Vielerorts spürt man jetzt, was wir in Gelsenkirchen seit 40 Jahren spüren“

„Es ist immer ein Gewinn, Ansprechpartner in anderen Kommunen zu haben, zwischen denen nun mal extreme Unterschiede herrschen“, betonte Welge. „Welcher Landrat aus Niedersachsen oder Bayern beschäftigt sich sonst mit der Situation in Gelsenkirchen? In solchen Verhandlungsrunden hat man aber die Möglichkeit, ihnen zu zeigen, mit was für einer herausfordernden Situation wir hier seit Jahren umgehen müssen.“ So könne man in Bereichen wie einer Altschuldenlösung doch noch weiterkommen.

Dass sich das Fenster für einen Schuldenschnitt politisch dennoch zu schließen scheint, habe mit den zunehmenden „Geldsorgen“ beim Bund zu tun – etwa bedingt durch die Energiekrise oder die konstant hohe Flüchtlingszuwanderung, die jetzt auch andere Städte vor große Herausforderungen stellt.

„Vielerorts spürt man jetzt, was wir in Gelsenkirchen seit 40 Jahren spüren“, sagte Welge. „Da können wir aber ein Vorbild sein, weil wir gezeigt haben, wie man auf kreative Weise das Überleben sichern kann – ohne dabei auf irgendeiner Weise überheblich zu sein.“ Nur ein Beispiel sei der soziale Arbeitsmarkt, dessen bundesweite Ausdehnung maßgeblich auf den Gelsenkirchener Appell zurückzuführen ist. „Da können wir auch stolz auf uns sein.“