Gelsenkirchen. Zuletzt hat Gelsenkirchen rekordverdächtige Einnahmen durch die Gewerbesteuer erzielt. Warum das noch zu einem großen Problem werden könnte.

Ob es die explodierenden Kosten für Energie oder Baumaterialien sind. Ob es um die Kosten für die Versorgung von Asylbewerbern oder Migranten aus Südost-Europa geht, um die steigenden Zinsen oder die Personalkosten nach dem „teuersten Tarifabschluss aller Zeiten“: Kommunen wie Gelsenkirchen sehen sich mit einem immer drastischer werdenden Kostendruck konfrontiert – und sollen gleichzeitig investieren, in Klimaschutz und -anpassung oder den Ausbau von Kitas und Schulen, in marode Straßen oder Innenstädte, aus denen sich immer mehr Läden zurückziehen.

Ein Altschuldenschnitt könnte da zumindest helfen – aber auch dieser ist weiterhin nicht in Sicht, obwohl er sowohl von Bundes- als auch von Landesregierung versprochen wurde. Hagens Kämmerer Christoph Gerbersmann (CDU) sprach angesichts dieser beispiellosen Gemengelage und der aus seiner Sicht dringend notwendigen Entschuldung zuletzt gegenüber der WAZ von 2023 als ein „Schicksalsjahr“ für Kommunen. Man sei inzwischen so arm, dass „das Geld für den Löffel fehlt, wenn es Brei regnet.“

Gelsenkirchens Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD), die weniger für eine so drastische Wortwahl bekannt ist, formulierte es zurückhaltender: „Die anstehenden Haushaltsberatungen werden besonders spannend werden“, sagte sie im vergangenen Hauptausschuss – machte zugleich aber auf einen bislang wenig beachteten, zusätzlichen Belastungsfaktor aufmerksam.

Überlebenswichtige Schlüsselzuweisungen könnten für die Stadt Gelsenkirchen sinken

„Wir müssen damit rechnen, dass die Mehrkostensteigerung zusammenfallen mit weniger Erträgen aus den GFG-Schlüsselzuweisungen“, sagte Welge. Mit GFG ist das Gemeindefinanzierungsgesetz gemeint, das die finanzielle Unterstützung der Kommunen durch Bund und Länder regelt. Die Stadt hat 2021 und 2022 knapp unter 400 Millionen Euro an Schlüsselzuweisungen hierüber erhalten, geplant wird 2023 und darüber hinaus eigentlich mit 450 Millionen. Damit sind die Zuweisungen überlebenswichtig für die Stadt; ihr Anteil beträgt mehr als ein Drittel des Gesamtvolumens des Haushalts (rund 1,32 Milliarden Euro im Jahr 2023).

Die Schlüsselzuweisungen hängen von der Finanzkraft einer Kommune ab und werden in einem komplexen Verfahren berechnet. Ein entscheidender Faktor dabei sind die Gewerbesteuern, die neben der Grundsteuer zu den wichtigsten Einnahmequellen einer Kommune gehören. Und genau hier liegt das Problem: Denn – eigentlich ein Grund zur Freude – Gelsenkirchen konnte seine Gewerbesteuereinnahmen zuletzt mehr als verdoppeln und schaffte 2022 ein Plus wie sonst keine andere Revier-Kommune. Hier wuchsen die Gewerbesteuereinnahmen von rund 102 Millionen Euro auf rund 219 Millionen Euro.

Gelsenkirchens Gewerbesteuer-Plus könnte nach hinten losgehen

Was Kämmerer Luidger Wolterhoff als „Einmaleffekt“ bezeichnete, könnte aber nun Folgen für die so bedeutenden Schlüsselzuweisungen haben. Denn die könnten nun deutlich schrumpfen, nur weil die Stadt einmal besonders hohe Gewerbesteuereinnahmen erzielt hat. Oberbürgermeisterin Karin Welge sprach im Hauptausschuss von einer „Rückkopplung“, die fiskalisch „in die völlig falsche Richtung“ gehen könnte. Welge sei hierzu im Gespräch mit Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU), es handele sich um ein „schwieriges Thema“, das Gelsenkirchen in „akute Schieflage“ bringen könnte.

Mehrheiten für Schuldenschnitt gesucht

Angesichts der überall zu spürenden Krisenlage schließe sich auch das Fenster für den Altschuldenschnitt, der überschuldete Kommunen wie Gelsenkirchen von Altlasten befreien soll, sagte OB Karin Welge Ende April der WAZ.

Im Hauptausschuss machte Welge darauf aufmerksam, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages zuletzt sagte, dass man derzeit „intensiv“ die nötige Mehrheit für ein solches Vorhaben suche. Die Ampel-Parteien (SPD, Grüne, FDP) alleine können den Schuldenschnitt nicht durchsetzen.

Mit Blick auf die weiteren finanziellen Herausforderung sei jedoch nun einmal klar, dass man sich in einer „Mehrfachkrise“ befinde. „Natürlich wird uns all das fiskalisch treffen, daran geht nichts vorbei“, sagte Welge. So sei es auch in anderen Städten und anderen staatlichen Behörden. „Jeder der glaubt, dass das nicht der Fall ist, hat nicht beide Füße auf dem Boden.“

Die Einbringung des Haushaltsentwurfs 2024 wird nach der politischen Sommerpause im August erwartet. Anschließend folgt die Beratung des Haushalts, bei der die politischen Fraktionen Anträge einbringen können. Beschlossen werden soll der Haushalt dann im Dezember vom Rat der Stadt.