Gelsenkirchen. Während die FDP im Bund beim Thema Kindergrundsicherung blockiert, starten die Liberalen in Gelsenkirchen eine kleine Offensive zur Kinderarmut.
Kurz nachdem sich die Ampelkoalition Ende März bei wesentlichen verkehrs- und klimapolitischen Fragen einigen konnte, folgte der nächste große Streit: Die Kindergrundsicherung, die die Grünen als ein zentrales Wahlkampfthema in den Koalitionsvertrag verankern konnten und ein Instrument gegen – die in Gelsenkirchen erschreckend hohe – Kinderarmut werden sollte, droht zu scheitern. 12 Milliarden Euro soll das Projekt laut Familienministerin Lisa Paus (Grüne) kosten, Finanzminister Christian Lindner (FDP) aber mahnt zum Sparen. Wie kommt diese Blockade bei der liberalen Basis in Gelsenkirchen an? Schließlich würden hier besonders viele Menschen von dem Gesetz profitieren.
Debatte um Kindergrundsicherung: FDP Gelsenkirchen warnt vor Schwarz-Weiß-Malerei
Während Kritiker der Grünen von einem „Ausgaben-Wahn“ sprechen, wird Lindner vorgeworfen, „kein Herz für Kinder“ zu haben. Markus Töns, direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter aus Gelsenkirchen, hält Lindners Zurückhaltung gar für „perfide, menschenverachtend und arrogant“, wie er gegenüber der WAZ Anfang April erzürnt mitteilte. In Augen von Susanne Cichos, FDP-Fraktionschefin in Gelsenkirchen, ist das aber eine „überflüssige Schwarz-Weiß-Malerei“.
„Die Diskussion um die Kindergrundsicherung spielt Herz gegen Verstand aus“, sagt die Vertraute von Bundesjustizminister und FDP-Kreisverbandschef Marco Buschmann. Nicht der, der 12 Milliarden Euro fordert, rette gleich Kinder aus der Armut. Und derjenige, der das Geld verweigere, dem seien arme Kinder nicht egal. Klar sei lediglich die „traurige Realität“ der weit verbreiteten Kinderarmut in Gelsenkirchen, diese zu bekämpfen allerdings „eine Herzensangelegenheit“ für die örtliche FDP, behauptet Cichos – und kündigt, während die Bundestagsfraktion ausbremst, eine kleine Offensive zum Thema an.
So habe man vor einigen Monaten einen liberalen Arbeitskreis gebildet. Ergebnisse daraus wolle man nun mit mehreren Anfragen in die politischen Gremien in Gelsenkirchen spielen, um dann Vorschläge zur Bekämpfung der Kinderarmut für die nächsten Haushaltsberatungen zu erarbeiten.
FDP Gelsenkirchen will wissen: Welche Familienleistungen werden in Gelsenkirchen überhaupt abgerufen?
Die Kindergrundsicherung sieht vor, dass es eine Art nach Einkommen gestaffeltes Kindergeld geben soll. Auch soll das Kindergeld mit anderen Leistungen für Familien zusammengefasst werden und dann in einem Zuge vereinfacht ausgezahlt werden. Solche Leistungen sind beispielsweise jene aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, über das bedürftige Familien Vereinsmitgliedschaften, Klassenfahrten, Nachhilfe und vieles mehr finanziert bekommen können. Weil die Antragstellung für diese Leistungen aber oft kompliziert ist, werden viele Gelder überhaupt nicht abgerufen. Die Kindergrundsicherung soll das ändern.
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„Die Sozialverbände in ganz Deutschland machen seit Jahren Druck, dass die rund 150 verschiedenen ehe- und familienpolitischen Einzelleistungen vom Kindergeld bis zum Unterhaltsvorschuss gebündelt werden“, sagt Susanne Cichos. Daher wolle die FDP-Ratsfraktion zunächst einmal wissen: „Wie viel Prozent der Mittel im Bereich dieser Einzelleistungen sind in den letzten drei Jahren in Gelsenkirchen nicht abgerufen worden?“ Man wolle also erst Fakten schaffen. Liefern soll die Stadt die Infos zum nächsten Jugendausschuss.
Forderung nach „Scheckkarte“ für arme Familien in Gelsenkirchen
Eine Kindergrundsicherung ergebe dann Sinn, wenn sie diejenigen erreicht, die sie brauchen. Daher befürwortet auch die Gelsenkirchener Fraktion einen Bürokratieabbau bei der Antragstellung und unterstützt die Einführung eines Kinderchancen-Portals, in dem alle Angebote gebündelt werden. „Wir wollen eine Vereinfachung, Digitalisierung und Bündelung der kindesbezogenen Familienleistungen erreichen“, erläutert Susanne Cichos und kündigt eine Anfrage zu dem Thema im nächsten Haupt- und Digitalisierungsausschuss an.
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Cichos verweist in diesem Zuge auf die sogenannte „YouCard“, mit der man in Hamm gute Erfolge erzielt habe. Sie stellt eine Art „Scheckkarte“ dar, über die ärmere Familien all jene Leistungen abrechnen lassen können, die ihnen zustehen. Einem solchen System erteilte die Stadt allerdings schon Mitte 2021 eine Absage, als eine entsprechende Anfrage von den Grünen kam. Städte mit einer Bildungskarte wie Hamm erreichten es zwar, dass fast jeder Berechtigte die Fördermittel in Form der Karte praktisch automatisch erhält, argumentiere die Gelsenkirchener Verwaltung damals. Ob diese auch verwendet werden, sei aber eine andere Frage. Zudem sei eine solche „Scheckkarte“ zu teuer, die Einführung zu aufwendig.
Junge Liberale in Gelsenkirchen fordern digitalen Schülerausweis
Hinter den Anfragen und Anliegen der FDP in Gelsenkirchen stehen auch die hiesigen Jungliberalen. Die Kindergrundsicherung sei nur eine Stellschraube, um gegen Kinderarmut vorzugehen, so Jonas Holdkamp, Vorsitzender der Julis in Gelsenkirchen. „Wir fordern zum Beispiel einen digitalen Schülerausweis“, erläutert Indra Garbe, die stellvertretende Vorsitzende der Julis. „Wenn sich Schüler:innen an ihrer Schule damit einpatchen, sparen Lehrer kostbare Zeit, in der sie – hallo, digitale Stadt Gelsenkirchen – normalerweise per Hand Anwesenheitslisten erstellen und vom Unterrichten abgehalten werden.“ Und noch wichtiger: Auf dem Ausweis könnten Leistungen wie das Mensa-Essen, Nachhilfe, Musikunterricht usw. gespeichert werden.
Daneben ist den Julis ein weiterer Aspekt sehr wichtig: „Wir müssen in ein Chancenpaket auch eine Basisausstattung an Schulmaterialien aufnehmen“, fordert Garbe. „Es darf nicht passieren, dass arme Kinder ohne Stift und Block zur Schule kommen.“