Gelsenkirchen. Fast nirgendwo leben so wenig Menschen im Eigenheim wie in Gelsenkirchen. CDU und FDP wollen das unter anderem mit mehr Tiny Houses ändern.
Dass in Gelsenkirchen im Städtevergleich ein besonderes kleiner Anteil der Bevölkerung in einer eigenen Immobilie wohnt, ist keine neue Nachricht – je nach Statistik liegt die Eigenheimquote zwischen 19,1 und 20,6 Prozent, NRW-weit bei 41,2 Prozent. Aber wenn es um die Frage geht, wie das geändert werden kann, hat eine Äußerung der Stadtverwaltung jetzt für großen Widerspruch in Teilen der Politik gesorgt. „Es ist kaum möglich, die Eigentumsquote signifikant zu erhöhen“, betonte die Stadt auf eine Anfrage der WIN-Fraktion. Für die CDU zeugt das „von fehlendem Problembewusstsein und notwendigem positiven Veränderungswillen“, die FDP spricht gar von einer „Bankrotterklärung“.
Bei der Stadt rechnet man vor: Um die Eigentumsquote beispielsweise um einen Prozentpunkt zu steigern, würden zwischen 113 Hektar Ein- oder Zweifamilienhäuser und 50 Hektar dichte Reihenhaussiedlungen benötigt werden – das sind etwa 228 Fußballfelder.
Neuer Wohnbau in Gelsenkirchen vor allem auf ehemaligen Industrieflächen
Von einem Gutachter seien Familien und ihre Wohnbedürfnisse 2019 im sogenannten „Handlungskonzept Wohnen“ zwar als eine wichtige Zielgruppe auf dem Wohnungsmarkt anerkannt worden – allerdings lautete die Empfehlung zugleich, vor allem „familiengerechte Wohnqualitäten im Geschosswohnungsbau“ zu schaffen, um der Nachfrage dieser Gruppe gerecht zu werden. Schließlich, so die Verwaltung, habe die Stadt nur sehr geringe Möglichkeiten, noch nicht baulich genutzte Fläche in Land für Wohnbau umzuwandeln. So werden vor allem ehemalige Industrie- und Gewerbeflächen zu neuen Wohngebieten – das Hafenquartier Graf Bismarck, die ehemalige Kokerei Hassel oder das ehemalige Amtsgericht Buer.
Ende des Jahres soll dann noch ein neues Gutachten kommen, in dem „verschiedene Potenzialflächen für eine wohnbauliche Entwicklung“ betrachtet werden sollen. Hintergedanke ist unter anderem, den Erfolg vom Buerschen Waldbogen zu wiederholen. Die Untersuchung hatten SPD und CDU forciert. Die Union wünscht sich aber noch mehr Engagement.
CDU plädiert für 30-Prozent-Ziel bei der Eigentumsquote in Gelsenkirchen
„Es ist offensichtlich, dass eine geringe Eigentumsquote ungesund für die Entwicklung in den Quartieren ist“, sagt Sascha Kurth, Fraktions- und Parteichef der CDU, und wünscht sich ein „entschlossenes“ und „vom Umsetzungswillen getragenes Handeln“ der Verwaltung. Auch um „gesellschaftszersetzenden Tendenzen“ entgegenzuwirken, sei mindestens eine Eigentumsquote von 30 Prozent notwendig. „Sie muss flächendeckend das Ziel sein, auch für die Verwaltung“, meint Kurth. Das 30-Prozent-Ziel wurde auch im Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU in Gelsenkirchen als Perspektive festgehalten.
Die Landesregierung unterstütze die Kommunen bei der Privatisierung zwar bereits, merkt der Parteichef an und bezieht sich damit unter anderem auf die „Zukunftspartnerschaft“ zwischen Land und Stadt, mit der Wohnraum in Problemimmobilien im großen Stil aufgekauft, rückgebaut und saniert werden soll. Doch die Entscheidungsträger säßen nun mal vor allem in der städtischen Bauverwaltung, sagt Kurth.
Ihm sei zwar durchaus bewusst, dass 50 oder 100 neue Wohneinheiten für das Gesamtbild keinen großen Unterschied machen würden, man müsse jedoch auch erfinderisch an das Thema herangehen. „Zur Steigerung der Attraktivität des Wohnstandortes gehört neben dem Rückbau von Problemimmobilien auch der Neubau, gerne auch innovativerer Wohnformen wie Tiny Houses oder Blockhäuser“, sagt Kurth. „Und wer meint, dass die Steigerung der Eigentumsquote ausschließlich über den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern funktioniert, der irrt.“ Auch die Schaffung von selbst genutztem Wohnraum, etwa in Mehrfamilienhäusern, zähle dazu – neu, aber auch im Bestandsumbau.
Eigentumsquote in Gelsenkirchen: FDP plädiert für „Umdenken auf breiter Front“
Noch deutlicher wird die FDP-Fraktion, die für ein „Umdenken auf breiter Front“ plädiert. Für Ralf Robert Hundt, dem stadtplanerischen Sprecher der Liberalen, gehören hier etwa die auch von Kurth angesprochenen Tiny Houses dazu, also Kleinsthäuser mit einer Größe von 40 bis 60 Quadratmetern. Auf Initiative der FDP ist die Verwaltung deswegen beauftragt worden, im Stadtnorden ein Baugebiet zu finden, auf dem 20 solcher Häuser entstehen könnten.
Raumsparend ließe sich auch mit einer Kombi-Nutzung planen – „durch gemeinschaftlich genutzte Gäste- und Arbeitszimmer, flexible Wohnungsgrundrisse“, wie es Hundt vorschwebt. Ein erstes gutes Beispiel für Gelsenkirchen sei die „HeidelbÜrger Wohnkumpane“ in Ückendorf, die keine klassische Privatisierung, sondern ein genossenschaftliches Projekt mit Gemeinschaftsbereichen, Wohnungen und Werkräumen darstellt. An dem Beispiel zeige sich ganz deutlich, dass Verwaltung diese urbanen Ansätze unterstützen muss und nicht boykottieren dürfe, meint Hundt und bezieht sich auf die jahrelange Verzögerung des Projekts. „Das war ein Trauerspiel und schreckt ab.“ Dies könne man sich in Gelsenkirchen nicht leisten.
„Eigentum heißt für also uns nicht nur der durchaus berechtigte Wunsch nach einem Häuschen mit Garten“, argumentiert Hundt. „Wir müssen - um die Eigentumsquote zu erhöhen und nicht weiter Schlusslicht in NRW zu bleiben - die Möglichkeit schaffen, dass auch Menschen mit einem mittleren und geringen Einkommen sich in Zukunft Eigentum leisten können.“
Dazu gehöre für die FDP-Fraktion, dass die Stadt günstiges Bauland für ihre Bürger ausweist. Außerdem fordert Ralf Robert Hundt - genau wie die Bundes-FDP - eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer für die erste selbst genutzte Wohnimmobilie. Dafür solle sich die Stadt auch beim Land einsetzen. Denn selbst genutztes Eigentum führe letztlich zu einer größeren Identifikation mit der Nachbarschaft, glaubt Hundt. „Es fördert den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den wir in Gelsenkirchen ganz dringend brauchen.“