Gelsenkirchen. Kinder früh zu fördern, ist im von dramatisch hoher Kinderarmut betroffenen Gelsenkirchen besonders wichtig. So läuft es nun an drei Grundschulen.
Vom Erstklässler, der nicht allein zur Toilette gehen und keinen Stift halten kann bis zum Schulabgänger, der selbst die Grundrechenarten nur teilweise beherrscht, wie Ausbildungsbetriebe klagen: Der Förderbedarf bei vielen Kindern und Heranwachsenden aus benachteiligten Familien ist unbestritten; nicht nur, aber besonders ausgeprägt in Gelsenkirchen, wo 41 Prozent der Kinder von Armut bedroht sind. Gelsenkirchen hat längst damit begonnen, Benachteiligung durch Fördermaßnahmen zu beseitigen. Unter anderem mit dem Modellprojekt „Zukunft früh sichern“ (Zusi), zunächst in allen Ückendorfer Kitas. Doch diese in der Kita gestartete Förderung von Kindern aus benachteiligten Familien endet nicht mit der Einschulung.
Drei Ückendorfer Grundschulen führen Zusi-Förderung fort
Das im Kita-Bereich bereits in die Endausscheidung für den Deutschen Kita-Preis gelangte Zusi-Modellprojekt wird in den drei Ückendorfer Grundschulen Glückauf-Schule, Haidekamp und Hohenfriedberger Straße fortgeführt. Gefördert werden dort gezielt jene Kinder, die schon in den Ückendorfer Kitas im Blick waren, aber auch neu zugezogene Kinder, die nicht in der Kita waren, und mit schlechten Voraussetzungen in die Schule starten mussten.
Fehlende Anregungen aufgrund von Armut in den Familien
Studien haben gezeigt: Selbst bei frühem Kita-Besuch gelang es bislang Kindern aus armen Familien erheblich seltener, die für das Grundschulalter gefragten Kompetenzen zu erlangen. Armut und dadurch bedingte fehlende Anregungen auch im familiären Umfeld scheinen das zu verhindern. Zugleich gab es jedoch Kinder aus finanzschwachen Familien, denen es gut ging, die sich altersgerecht entwickelten. An welchen Faktoren dies neben der materiellen Armut genau hängt, wird im Zusi-Projekt ebenfalls detailliert untersucht, um künftig gezielt ansetzen zu können.
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Armutssensibles Handeln ist grundsätzlich auch die Grundlage der Förderung in den Zusi-Grundschulen. Dass das Programm mit seinen vielseitigen Ansätzen wirkt, haben erste Auswertungen des begleitenden, externen Instituts für Sozialwissenschaft und Sozialpädagogik bereits gezeigt. Wie es funktioniert, erklärt in Ansätzen eine erste Handreichung für alle Gelsenkirchener Kitas. Schließlich soll Zusi am Ende auf alle Kitas der Stadt ausgerollt werden und auch landesweit als Vorbild dienen.
In den drei Zusi-Grundschulen werden nun neben den Eltern auch die Lehrkräfte mit einbezogen und im Austausch mit den Bildungsbegleitern und -begleiterinnen des Projekts sensibilisiert. Die eigentliche Förderung aber läuft nach dem Unterricht an der Schule. Dann gibt es für Zusi-Kinder – die alle nicht in die Ganztagsbetreuung gehen – Angebote wie Yoga, Tanz, Musikschule, Sport in Kooperation mit verschiedensten Vereinen, Kunst und Basteln, Leseförderung, Sprachförderung, Leseclubs und mehr.
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Auch bei Zusi in der Grundschule ist die RAG Stiftung als Finanzier mit im Boot. Nachbarstädte und selbst München haben längst ebenfalls Interesse angemeldet. „Den Unterstützungsbedarf gibt es hier, und die Nominierung für den Deutschen Kita-Preis zeigt uns ebenso wie erste Auswertungen des begleitenden Instituts, dass das Konzept auch von Außenstehenden als wirksam geschätzt wird“, freut sich Bildungsdezernentin Anne Heselhaus.
Multiprofessionelle Begleitung inklusive Unterstützung vom Schulamt
Neben den multiprofessionellen Teams an Schulen mit Lehrkräften, Sozialarbeitern und Sozialpädagogen, die vor Ort die Kinder begleiten und gezielt nach ihren Talenten fördern und unterstützen, ist auch die Schulaufsicht mit im Boot. Schulamtsdirektorin Petra Bommert begleitet das Zusi-Team, unterstützt organisatorisch. Auch der Sozialdienst Schule ist Teil der Fördersystems.
RAG-Stiftung fördert Projektphase
Die RAG Stiftung hat das Zusi-Projekt mit 3,5 Millionen Euro Anschubfinanzierung 2019 gemeinsam mit der Stadt auf den Weg gebracht. Im Fokus stehen vor allem zum Projektstart vierjährige Kinder aus benachteiligten Familien, die bis zum Ende ihrer Grundschulzeit begleitet werden.
Nach der Auswertung der Projektphase sollen alle Kitas und Grundschulen in der Stadt von den Erkenntnissen zur armutssensiblen Förderung von benachteiligten Kindern profitieren. Wieviel multiprofessionelle Unterstützung langfristig nach Auslaufen des Projektes zur Verfügung gestellt werden kann, ist noch offen.
Es war das Jahr 2021 mit seinen Lockdowns in Kitas und Schulen, als das 2019 in allen Ückendorfer Kitas gestartete Zusi-Projekt mit dem Hauptfokus auf Vierjährige die ersten Kinder an Grundschulen übergab. Bis 2025 werden diese Kinder nun an den Grundschulen gefördert, um ihnen für den Wechsel an weiterführende Schulen vergleichbare Startchancen wie Kindern aus bildungsnahen Familien mit solidem Einkommen zu ermöglichen.
Schnupperpaket mit Bewegungs- und Kreativangeboten aller Art zum Ausprobieren
„Im ersten Grundschuljahr ging es vor allem bei den Kindern, die vorher nicht oder wegen der Corona-Lockdowns nur sehr kurze Zeit in der Kita waren, auch um die Vermittlung basaler Fähigkeiten“, erklärt Petra Bommert. Basale Fähigkeiten: Das meint eine Begleitung zur Toilette ebenso wie Hilfe beim Anziehen. Immer im Programm ist naturgemäß auch Sprachförderung. So tourt etwa ein Ballsport-Projekt je drei Wochen durch die drei Grundschulen, um Kindern die Möglichkeit zu geben, hineinzuschnuppern und sich vielleicht für eine Sportart zu entscheiden. Auch das Consol-Theater konnte als Partner für den kreativen Bereich gewonnen werden. Zudem soll mittelfristig jedes Kind in Yoga, Tanzen, Malen und Musik hineinschnuppern und so die eigene Begabung und Neigung am besten erkennen können, erklärt Bommert.