Gelsenkirchen-Buer. Naturbühne, Steinrutsche, Fischzucht: Vor 100 Jahren begann Buer mit dem Bau der Grünanlage im heutigen Gelsenkirchen. Das beeindruckte Fachleute.
Stadt oder Wald? In Buer gibt’s kein Entweder-Oder. Die Grünanlage zwischen Resse- und Ortbeckstraße, sie liegt nur einen Spaziergang entfernt von der City: ein Natur-Wohnzimmer für alle Generationen. Vor 100 Jahren begann Buer mit dem Ausbau zur „Volkserholungsstätte“. Naturtheater und Fischzucht sind heute längst verschwunden, aber an Beliebtheit hat die grüne Oase nichts eingebüßt. Auch wenn womöglich kaum einer weiß, dass dort seltene Pflanzen wachsen, deren Familie älter ist als die ausgestorbenen Dinosaurier.
Hier die rasant wachsende (noch selbstständige) Großstadt mit insgesamt fast 100.000 Einwohnern und dem Steinkohle-Bergbau, der Buer nachhaltig veränderte, dort eine Infrastruktur, die eher an eine Landgemeinde erinnerte mit ihrem verwinkelten Stadtkern, der unvollständigen Kanalisation und den fehlenden Unterkunftsmöglichkeiten für Schulen: Buer war im Umbruch, als es sich 1922/23 aufmachte, als „Industriestadt im Grünen“ an Profil zu gewinnen.
Stadtwald Buer sollte zur Erholung nach schwerer Arbeit in den Zechen beitragen
Der Stadtwald war da ein erstes Projekt beim Auf- und Ausbau des Buerschen Grüngürtels, eine Brücke zwischen den privaten Waldflächen Löchterheide, Westerholter Wald und dem 1899 in Betrieb genommenen Hauptfriedhof; die Anlagen um Schloss Berge (1924) samt Aufstauung des Berger Sees (1930) sollten noch folgen. Hatte sich in der Weimarer Republik doch die Auffassung durchgesetzt, „daß der Bergarbeiter nach seiner schweren Tätigkeit an dumpfer Arbeitsstelle auch seine Erholung in Gottes schöner Natur haben muß“, wie es kurz nach der Eröffnung 1924 Willi Neukirchen im Vestischen Kalender schrieb. [Lesen Sie auch:Waldbaden: Entspannung pur im buerschen Stadtwald]
Allerdings hält Historiker Prof. Dr. Stefan Goch, Ex-Leiter des Gelsenkirchener Instituts für Stadtgeschichte, es für durchaus möglich, dass es der Stadtverwaltung auch um eine räumliche Trennung des bürgerlich dominierten Ortskerns von der Industrie und vor allem der Arbeiterschaft ging, die in den Vororten nahe bei den Zechen lebte.
Grünanlage im heutigen Gelsenkirchen wurde 1923/24 mit Notstandsarbeitern angelegt
Fakt ist: 1918 hatte die Stadt Buer etwa 30 Hektar Waldgebiet am südlichen Teil des Westerholter Waldes vom Grafen von Westerholt gekauft. Nach ersten Durchforstungen des Baumbestandes und Neupflanzungen begannen 1923 die Arbeiten nach den Plänen des Altonaer Gartenbaudirektors Ferdinand Tutenberg und des buerschen Gartenbaudirektors Ernst-Max Gey, einem ambitionierten Kunstgärtner und Gartentechniker, der schon Erfahrung bei der Gestaltung des Altonaer Volksparks, verschiedener Sportstätten und des Zentralfriedhofs gesammelt hatte.
Mit Hilfe von so genannten Notstandsarbeitern – einer frühen Form der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – wurden Wege und Sitzgelegenheiten angelegt, eine große Spielwiese mit Laufbahn, zwei Pavillons, drei Planschbecken, eine Kinderspielwiese mit Spielgeräten und das Stadtwaldhäuschen mit Kaffee-Restauration.
Naturtheater mit über 1000 Sitzplätzen war im Stadtwald Buer das besondere Highlight
Besonderes Highlight war das „prachtvoll gelegene“ (so Zeitzeuge Neukirchen) Naturtheater mit 1000 bis 1500 Plätzen, das mit breiten Steintreppen hinunter bis zum unten gelegenen Bühnenraum ausgestattet wurde. Rechts und links wurden Umkleideräume angelegt, Bühnen -und Zuschauerraum waren durch den Ortbeck-Bach getrennt. Elektrische Scheinwerfer sorgten dafür, dass auch bei abendlicher Dämmerung Stücke aufgeführt werden konnten, schwärmte Zeitgenosse Neukirchen: „vorbildlich“. [Lesen Sie auch:Gelsenkirchen – nördlich des Rhein-Herne-Kanals – von oben]
Ein dritter Orbeckteich, ein Ruderteich mit 2,5 Hektar Wasserfläche für Paddelboote und die beliebten Gondeln mit Bootsanlegestelle und Bootshausrestaurant rundeten den Stadtwald ab. Dabei erwies sich der starke Zufluss zahlreicher Quellen, die den Ruderteich füllten, als echte Herausforderung, so Neukirchen. Die sumpfigen Ufer drohten immer wieder abzurutschen, so dass sie mit Pfählen verankert werden mussten.
Stadtwald Buer im heutigen Gelsenkirchen lockte täglich bis zu 10.000 Menschen an
Die städtische Fischzucht hinter dem Bootshaus, wo Karpfen und Forellen für die Teiche gehalten wurden, ist längst Geschichte. Das eingeschossige Gebäude aber mit seinem pfannengedeckten Satteldach, den Fachwerkgiebeln und seitlichen Anbauten, in dem Boots- und Fischermeister wohnten, steht unter Denkmalschutz, ebenso – wegen seiner vorbildhaften Volksparkgestaltung – der gesamte Stadtpark.
Der zog schon kurz nach seiner feierlichen Eröffnung im Sommer 1924 an manchen arbeitsfreien Tagen bis zu 10.000 Besucherinnen und Besucher aus dem gesamten Ruhrgebiet an. Auch die Fachwelt war voll des Lobes: Buers Grünflächenpolitik galt als gelungenes Beispiel einer „neuen Stadt“ und wurde in Vorträgen und Modellschauen bei der Essener Gruga 1929 und der Internationalen Hygieneausstellung 1930 in Dresden vorgestellt. Gelsenkirchen-Buer (so vorübergehend der Name der 1928 mit Gelsenkirchen und Horst vereinigten Stadt) als Trendsetter und nicht als Schlusslicht: Lang ist’s her.
Im Stadtwald Buer befindet sich Gelsenkirchens ältestes Naturschutzgebiet
Mittlerweile ist das Freilufttheater durch ein Biotop ersetzt, die bei Kindern so beliebte bewässerte Steinrutsche verschwunden. Die Erinnerung an ausgelassene Nachmittage im Grünen sind es nicht: „Ich weiß noch, wie viel Spaß das Rutschen dort gemacht hat. Und wie schnell der Hosenboden durch die Reibung auf dem Stein durchgescheuert war“, berichtet etwa der Erler Autor Hubert Kurowski.
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Geblieben ist die grüne Lunge des Stadtnordens mit einem 3,5 Kilometer langen, befestigten Rundweg, der nach wie vor gerne von Spaziergängern, Radlern und Joggern genutzt wird. Der großflächige Laubwald mit Quellmulden, Bächen und Teichanlagen gehört zum Landschaftsschutzgebiet, der nördliche Bereich mit Bachtälern, Gewässern und Feuchtwiesen ist seit 1956 Naturschutzgebiet – das älteste in Gelsenkirchen.
Mittlerweile sind Pavillons und Allee erneuert, dazu gibt’s einen Fitness-Parcours
Dessen plattdeutscher Name „Im deipen Gatt“ weist auf die Geländeform hin: „tiefer, enger Einschnitt“ lautet die hochdeutsche Übersetzung. Noch heute findet sich dort, wenn auch weniger häufig als noch vor ein paar Jahren, der gefährdete Riesenschachtelhalm. Zwei Meter hoch, stammt er aus einer uralten Pflanzenfamilie, die schon vor mehr als 350 Millionen Jahren existierte, aus deren Zerfallsprodukten die Steinkohle entstand.
Die historische Rotdorn-Allee rund um die große Spielwiese wurde gerade erneuert, in Abstimmung mit den Denkmalschützern, versteht sich: 128 klimaresistente Feuerahorne ersetzen nun die Rotdorne, von denen ein Teil abgestorben war. Auch der Eingangsbereich wurde saniert.
Die alte, 400 Meter lange Laufbahn wird heute eher als Spazierweg genutzt. Aber deren Mitte hat’s in sich: 2020 investierte die Stadt 80.000 Euro in einen Fitness-Parcours. An acht Stationen mit sechs Geräten können Sportler und Spaziergänger sich ausprobieren oder anspruchsvoller trainieren. Und wenn es regnen sollte, bieten die gerade nach historischem Vorbild erneuerten Pavillons Schutz. Kurz: Langweilig dürfte es den Frischluft-Fans auch 100 Jahre nach dem Startschuss zum Stadtwald nicht werden.
Heimatbund lädt zum historischen Spaziergang
„Hoch hinaus! Vom buerschen Stadtwald zum Goldberg“ lautet der Titel eines eineinhalbstündigen historischen Spaziergangs, den der Heimatbund am Samstag, 15. April, 14 Uhr, unter der Leitung von Isabel und Hubert Kurowski anbietet.
Es geht um Geschichte(n), Natur, Geografie und ganz subjektive Impressionen rund um den Stadtwald Buer mit literarischen und dokumentarischen Texten, Fotos und Informationen, mit denen sich die Teilnehmenden „ein starkes Stück Gelsenkirchen“ erschließen, so Kurowski. Start und Ziel ist die Waldschenke Avino, Ressestraße 50. Bei Regen entfällt die Veranstaltung.