Gelsenkirchen-Buer. Ralf Nickel praktiziert und unterrichtet Waldbaden. Im Stadtwald in Gelsenkirchen-Buer zeigt er einige Übungen und erklärt, wie es wirkt.
Ralf Nickel steht im Stadtwald Buer und umarmt eine große Buche. „Einfach mal erleben, wie sich das anfühlt, die Augen schließen und sich vorstellen, durch die eigenen Füße hindurch gehen Wurzeln, die mich mit Mutter Erde verbinden.“ Das sei eine Übung, mit Hilfe derer man zur Ruhe komme, völlig entspannen könne, sich „erden“, so hatte er es zuvor erklärt. Dann öffnet er die Augen und strahlt ob des gefühlten Erfolgs seiner Übung. „Ich könnte mich jetzt hinlegen und schlafen.“
Heilwirkung der Natur nutzen
Was der Umweltpädagoge hier praktiziert und propagiert, das heißt im japanischen Original „Shinrin Yoku“ und in der deutschen Übersetzung nicht minder klangvoll „Waldbaden“. Es geht darum, im Wald und mit dessen Hilfe Körper, Seele und Geist etwas Gutes zu tun. Einfach so, ohne große Anstrengung. Denn wer sich einmal einlässt auf den kleinen Wellness-Urlaub vor der Haustüre, der profitiert von der Heilwirkung der Natur. Sie habe Gutes für alle Sinne parat, erklärt Ralf Nickel und erwähnt besonders die Terpene, Botenstoffe der Bäume und Pflanzen, quasi eine Aromatherapie mit nachgewiesener Wirkung. „Sie regen unseren Körper an, Killerzellen herzustellen. Die stärken das Immunsystem und greifen sogar Krebszellen an.“ Zudem werden im Wald Stresshormone abgebaut.
Die erste Übung: Laub abwerfen
Zum Kururlaub gehören auch einige Übungen. Beginnen, sagt Wald-Badelehrer, sollte man damit, beim Gang in den Wald das „alte Laub abzuwerfen“. Und schon stellt er sich an den Wegesrand und schüttelt sich für ein, zwei Minuten wie ein Baum im Sturm. „So schüttelt man den Stress ab und man fühlt sich richtig gut.“ Jetzt gehe es daran, Erfahrungen für alle Sinne zu machen. Übungen, die bei einem kleinen Rundgang am Wegesrand möglich sind.
Vor 40 Jahren in Japan entstanden
Beim Laufen erzählt Ralf Nickel: „Das Waldbaden ist 1982 in Japan entstanden.“ Damals habe die staatliche japanische Forstbehörde angeregt, Ausflüge in den Wald als Bestandteil eines guten Lebensstils zu integrieren. Schnell hätten Forscher herausgefunden, wie gesund regelmäßige, am besten tägliche kurze Aufenthalte im Wald sind. Seit 2012 gebe es hierzu an japanischen Universitäten Lehrstühle in „Waldmedizin“ – und den Waldspaziergang vom Arzt auf Rezept.
Dieser Halt zwängt sich auf: Auf einer Lichtung wachsen junge, hellgrüne Farne. Ihre Spitzen sind noch eingerollt, die Szenerie sieht aus wie ein von Menschen gemachtes Kunstwerk. „Genau um solche sinnlichen Erfahrungen geht es“, erklärt Ralf Nickel. Jetzt folgt etwas für die Nase. „Wonach duftet das?“ Der Schnuppertest ergibt ganz eindeutig: Knoblauch. Das stimmt. Lob vom Experten. „Das ist die Knoblauchrauke.“ Auch Schmecken ist im Wald möglich. Der Experte lädt ein, mal ein junges Buchenblatt zu probieren. Das kostet ein bisschen Überwindung. Dann aber schmeckt es zunächst säuerlich, hinterlässt später einen bitteren Nachgeschmack.
Den Kopf frei machen
Fürs Hören und Tasten geht es etwas querfeldein. Ralf Nickel nimmt auf einem Baumstamm Platz. „Wenn es warm genug ist, lege ich mich sogar einfach auf den Waldboden. Dann schließe ich die Augen und höre dem Konzert der Vogelstimmen zu – oder meinen Gedanken.“ Wie man die vom Kreisen abhält? Da hat der Entspannungslehrer einen guten und effektiven Tipp. Der Verstand, erklärt er, könne sich nur einer Sache widmen. „Man sucht sich einfach etwas Besonderes, einen Baum, eine Pflanze, egal was, und betrachtet es bewusst und intensiv von allen Seiten.“ Das lenke die Aufmerksamkeit nur auf dieses eine Objekt und blende alles andere aus. Natürlich könne man das Betrachtete auch begreifen, erleben, wie fühlt sich die Rinde eines Baumes an oder frisches Moos. Dann ist auch der letzte Sinn abgedeckt.
Im Schneckengang die Geschwindigkeit des Alltags hinter sich lassen
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Wieder auf dem Waldweg schreitet Ralf Nickel ganz bewusst und langsam voran. Eine letzte Übung: der Schneckengang. So könne man die Geschwindigkeit des Alltags hinter sich lassen. „Man sagt ja, innen wie außen. So kann man die äußere Langsamkeit in innere Ruhe verwandeln.“
Damit ist die Schnupperstunde im Waldbaden vorbei. Ganz entspannt soll es nun zurückgehen in den Alltag. Um Das Erlebnis nachhaltiger zu machen, schlägt Ralf Nickel vor, einen „Anker zu setzen“. Das Prinzip ist einfach und wohl jeder hat es schon praktiziert, wenn er aus dem Urlaub einen schönen Stein und eine Muschel mitbrachte. „Man sucht sich etwas Schönes, ein Fundstück, das man mitnehmen und sich auf den Schreibtisch legen kann. Und immer, wenn man es betrachtet, erinnert man sich ganz bewusst an die entspannte Zeit hier im Wald.“
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