Gelsenkirchen. Gelsenkirchens Kinderkliniken sind seit Wochen dramatisch voll. Wie geht es Kindern und Eltern die Weihnachten hier bleiben müssen? Ein Besuch.
Weihnachten im Krankenhaus? Das ist schon für Erwachsene bitter. Aber für Kinder und deren Eltern, für die Geschwister? Wie geht es den Kindern damit, wie ist die Situation in den beiden Kinderkliniken der Stadt, die bereits seit Wochen am Limit arbeiten? Ein Besuch in der Kinderklinik am Marienhospital Gelsenkirchen.
45 Kinder, alle mit RS-Virus oder Grippeinfektion mit schwerem Verlauf
45 Kinder liegen einen Tag vor Heiligabend hier auf den Stationen: alle entweder mit dem RS-Virus, einer vor allem für kleine Kinder und Säuglinge gefährlichen Atemwegserkrankung, oder einer Grippeinfektion. Auch den kleinen Henri hat das RS-Virus erwischt. Henri ist erst 15 Monate alt und trotz wiederholter Klinikaufenthalte aufgrund diverser Atemwegsinfekte ist er guter Dinge. „Zum Glück“, sagt die Mama, Janine Plischka (33), die mit im Zimmer wohnt. Eigentlich ist es ein Vierbett-Zimmer, aber da Henri noch ansteckend sein kann, haben sie es für sich. Einen Weihnachtsbaum gibt es hier nicht, aus Sicherheitsgründen; aber im Flur steht einer.
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Seit Montag ist Henri – nach nur drei Tagen Zwischenstation zuhause – wieder in der Klinik. Immer wieder braucht er Sauerstoff durch die kleine „Nasenbrille“, durch die er den Sauerstoff einatmen kann. Ob er am 24. nach Hause kann oder in der Klinik bleiben muss, ist noch offen. Janine Plischer hat schon für beide Varianten Pläne: „Wenn er weiter Sauerstoff braucht, bleiben wir hier. Mein Mann und meine Eltern feiern dann mit unserer Tochter zuhause, mit Bescherung. Das ist uns wichtig, dass es für sie ein normales Weihnachten wird“, erklärt Janine Plischka. „Für Henri wäre es das erste Fest, das er richtig miterlebt. Aber er wird es ja noch nicht bewusst vermissen“, tröstet sie sich.
Henri war ein Frühchen, in der 30. Schwangerschaftswoche geboren, mit 1280 Gramm Geburtsgewicht. Er hatte bereits Corona – genauso wie seine Schwester (4 Jahre) und seine Eltern, im Herbst litt er zudem unter mehreren ungeklärten Infekten. Auf diese Infekte hat sich wohl das RS-Virus draufgesetzt.
Bei seiner Mutter ist Henri gut aufgehoben. Die Kinderkrankenpflegerin hat nach einer früheren Lungenentzündung Henris sogar einen Monitor für ihn daheim, mit dem sie Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz kontrollieren kann. „Aber für den Sauerstoff müssen wir in die Klinik. Außerdem: Wenn wir zuhause feiern mit ihm, könnte er die Großeltern ansteckt“, fürchtet sie. Weihnachten in der Kinderklinik in Ückendorf: Das kennt Janine Plischka auch aus Sicht der Kinderpflegekraft hier: „Sonst ist es Weihnachten ganz ruhig, die meisten gingen nach Hause. Silvester war es immer schlimm“, erinnert sie sich.
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Dass Eltern ihre kranken Kinder gegen ärztlichen Rat mit nach Hause nehmen an Heiligabend, um mit der Familie feiern zu können, damit rechnet der Chefarzt der Klinik für Neonatologie und Kinder- und Jugendmedizin, Dr. Marcus Lutz, auch diesmal. „Wo es verantwortbar ist, machen wir das mit, selbst als stundenweise Beurlaubung, obwohl das eigentlich gar nicht geht. Ab dem 25. wird es wieder voll, wenn die Eltern sehen, dass es doch nicht geht zuhause“, hat er über die Jahre festgestellt.
Eine Weihnachtspause einzulegen ist diesmal aber nicht drin. RS-Virus und Grippe bringen Ärzte und Pflegekräfte an die Grenzen, zudem gehen täglich neue Krankmeldungen ein. Dr. Lutz hat am 25./26. Hintergrunddienst. „Das Schlimmste an diesen Tagen aber ist der Dienst in der Ambulanz. Viele kommen, weil sie glauben, dass es schneller gehe. Sehr oft werden Eltern unangenehm laut, drohen, weil ihr Kind nicht schnell genug drankomme. Das geht bis zu körperlichen Übergriffen, sodass wir Pfleger zu Hilfe rufen müssen. Vielen Eltern fehlt das Verständnis, dass ein bedrohlich krankes Kind vorgezogen wird, obwohl es später kam“, klagt er.
„Viren kennen sich mit Weihnachten nicht aus“
Im Norden der Stadt, an der Kinder- und Jugendklinik in Buer, ist über die Weihnachtstage ebenfalls die ganz normale Wochenendbesetzung im Haus, mehr als 50 Pflegekräfte und 15 Ärztinnen und Ärzte. „Viren kennen sich mit Weihnachten nicht aus“, fügt sich Chefarzt Dr. Gerrit Lautner lakonisch in sein Schicksal. „RSV-Virus und Influenza halten sich aktuell ungefähr die Waage. Die größeren Patienten kommen vorwiegend mit schweren Grippeinfektionen, die kleineren Kinder mit dem RS-Virus“ erklärt er die Situation. Der Höhepunkt der RSV-Welle ist seiner Einschätzung nach erreicht. „Aber die Grippewelle baut sich eher noch auf“, fürchtet er.
Höhepunkt der Grippewelle ist noch nicht erreicht
„Vor allem die Patienten mit RS-Virus sind sehr arbeitsintensiv, weil sie Sauerstoff benötigen, ein engmaschiges Monitoring notwendig ist. Bei der Influenza ist das nicht so.“ Was auch zur besonderen Belastung durch RSV beiträgt: normalerweise bleiben Kinder im Schnitt drei Tage in der Klinik. Doch bei RSV müssen sie wegen der Sauerstoffversorgung fünf bis zehn Tage stationär bleiben. Covid spielt, so Lautner, in seiner Klinik keine Rolle mehr.