Gelsenkirchen. Krankheitswellen und Feiertage wieder ohne Beschränkungen: Was Einsatzkräfte und Ärzte in Gelsenkirchen an Weihnachten und Silvester befürchten.

Während sich viele Menschen auf ruhige und entspannte Feiertage freuen, wächst bei Chefärzten und Feuerwehr in Gelsenkirchen die Sorge vor den ersten Weihnachtstagen und dem ersten Jahreswechsel ohne jegliche Auflagen. Nach Corona-Lockdown und Böllerverboten rechnet der Leitende Branddirektor Michael Axinger damit, dass das lange Versäumte nun bei ausgelassenen Feiern nachgeholt wird. Befürchtete Folge: Parallel zur anhaltenden Krankheitswelle könnten Unfälle oder Bagatelle-Anrufe die ohnehin schon dauergestressten Rettungskräfte, Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger „ans Limit bringen“.

Gelsenkirchener Feuerwehrchef: Retter und Klinikpersonal nicht ans Limit bringen

„In Notfällen ist die Feuerwehr immer zur Stelle, der Notruf 112 sollte aber immer nur die Ultima Ratio bleiben, also die letzte Lösung sein“, sagt Michael Axinger. Der Chef der rund 400 Rettungskräfte in Gelsenkirchen bittet und mahnt mit Nachdruck die Menschen, die Feuerwehr nicht mit Bagatelle-Anrufen für vergleichsweise harmlosere Beschwerden anzurufen. Vielfach arbeiteten sie „schon an der Leistungsgrenze“.

„Wer wegen Krankheitssymptomen tagelang den Gang zum Hausarzt oder das Warten auf den hausärztlichen Notdienst (116117) gescheut hat, kann nicht damit rechnen, in der Notfallaufnahme eines Krankenhauses sofort behandelt zu werden, wenn der Rettungswagen ihn dorthin bringt“, begründet der Feuerwehr-Chef seinen Appell. Denn auch dort würde nach Schwere und Dringlichkeit aussortiert, Menschen mit harmloseren Beschwerden wie Schnupfen und Halsschmerzen müssen damit rechnen, mindestens ebenso lange ausharren zu müssen wie in einer Praxis. Oder auf den mobilen Arzt.

In Deutschland laboriert nach Angaben des Robert-Koch-Institutes derzeit jeder Achte an einer Atemwegsinfektion, Krankenstände sind daher in allen Bereichen hoch, das gilt auch und gerade für medizinisches Personal. Denn sie stehen in erster Reihe. Insbesondere die Kinderkliniken sind nahezu vollbelegt.

Winter-Virenwelle und Corona haben Krankenstand bereits verdoppelt

Blickt mit Sorge auf die Weihnachtsfeiertage und Silvester: Der Leiter der Feuerwehr Gelsenkirchen, Michael Axinger.
Blickt mit Sorge auf die Weihnachtsfeiertage und Silvester: Der Leiter der Feuerwehr Gelsenkirchen, Michael Axinger. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Zum Ende des Jahres kommt einiges zusammen. Neben einer Winter-Virenwelle türmt sich wieder eine Corona-Woge auf, die den Krankenstand verdoppelt habe, so Axinger. Sieben bis acht Prozent krankheitsbedingter Ausfälle sind zwar aktuell noch nicht viel, immerhin musste der eine oder andere Gelsenkirchener Löschzug bereits mit „sechs oder sieben Einsatzkräften statt mit acht auskommen“. Auch die starke Unterstützung der Freiwilligen Feuerwehr ist angesichts hoher Infektionszahlen im Familien- und im Berufsleben endlich.

Lockdown an Weihnachten und Böllerverbot hatten die Einsatzzahlen vor allem am Jahresende von 226 in 2018/2019 in den Folgejahren deutlich schrumpfen lassen. Von 217 auf zunächst 141 und zuletzt 156. Dabei entfielen rund 90 Prozent auf Rettungsdiensteinsätze, der Rest setzt sich aus Brandschutz- und technische Hilfeleistungen zusammen.

Nach gut drei Jahren des Verzichts, so die Befürchtung, dürften an den Feiertagen viel mehr Menschen zusammenkommen. Und ausgelassener sein. Damit steigt auch das Notfall-Risiko und für die Retter als drohende Folge die Zahl der Einsätze.

Potenziell stark gefährdet sehen Michael Axinger, Dr. Christoph Eicker und Dr. Peter Kaivers, Chefärzte der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Marienhospital, vor allem Jugendliche. „Vormals 16-Jährige, die jetzt mit 18 Jahren zum ersten Mal Raketen und Böller legal erwerben können, aber noch keine Erfahrung im Umgang damit haben und ein hohes Risiko mit Feuerwerk eingehen“, wie Axinger präzisiert.

Stadt wirbt für Böller-Verzicht, Chefärzte warnen vor schwersten Verletzungen

Dr. Christoph Eicker (l.) und Dr. Peter Kaivers, Chefärzte der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Marienhospital Gelsenkirchen.
Dr. Christoph Eicker (l.) und Dr. Peter Kaivers, Chefärzte der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Marienhospital Gelsenkirchen. © St. Augustinus GmbH | Foto: Pascal Skwara

Die Stadt wirbt indes zum dritten Mal hintereinander in den sozialen Medien dafür, auf private Feuerwerke möglichst zu verzichten. Und sie nennt auch gute Gründe dafür wie: „viel Müll, hohe Feinstaubbelastungen und schädlichen Lärm, der Menschen – vor allem solche mit Kriegserfahrungen – und Tiere in großen Stress und Angst versetzen kann“. Ebenso Rettungsdienste und Notaufnahmen, die an Silvester wegen schwerer Verletzungen „regelmäßig überlastet“ sind. Die Feuerwehr beordert deshalb an Silvester 2022/2023 sicherheitshalber „mehr Rettungswagen in den Einsatz“.

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„Keine Silvesterböller in Kinderhände“, mahnen Dr. Christoph Eicker und Dr. Peter Kaivers daher. Und: „Hände weg von Feuerwerkskörpern, wenn Alkohol im Spiel ist! Denn das macht unvorsichtig.“ Feuerwerkskörper, die nicht explodiert sind, sollten zudem nicht noch einmal angezündet, sondern aufgesammelt und entsorgt werden. So könnten Eltern und Erwachsene Kinder und Jugendliche dafür schützen, die Blindgänger an Neujahr nochmals anzustecken.

Selbst gebastelte Feuerwerkskörper seien ebenso tabu wie die durchschlagskräftigeren „Polen-Böller“. Sie sind nach Ansicht der Ärzte und des Feuerwehr-Chefs besonders gefährlich, weil „sie zu früh oder viel stärker explodieren können als erwartet“. Mit verheerenden Folgen, Finger und Hände würden zerfetzt, 2020 schwebte nach einem solchen Silvester-Unfall ein Jugendlicher sogar in Lebensgefahr.

Axinger, Eicker und Kaivers warnen außerdem davor, dass man nicht in die „Schusslinie“ anderer laufen dürfe. „Häufig werfen Jugendliche Feuerwerk in Menschengruppen und finden das lustig, andere zu erschrecken“, so das Credo der drei. Bedacht werden aber nicht die drohende Verletzungsgefahr, wenn solch ein Böller in Höhe des Kopfes detoniert. Offene Fenster und Türen sind ebenso verbotene Ziele für Knallkörper und Raketen. Sonst brennt womöglich das ganze Haus ab und „es sind Tote zu beklagen“, sagt Axinger abschließend.