Gelsenkirchen-Horst. Kampf gegen Schrotthäuser: Gelsenkirchener Ehepaar errichtet zweiten Wohnkomplex. Wie Gegas der Inflation ein Schnippchen schlagen.

Sie haben es wieder getan – Silke und Josef Gega. Das Gelsenkirchener Unternehmerpaar hat im Stadtteil Horst drei Schrotthäuser aufgekauft, abgerissen und jetzt den zweiten Neubau hochgezogen. Aus Überzeugung, dass „ihr Viertel und ihre Stadt Besseres verdient hat“.

Elf Monate nach dem ersten Richtfest weht auch über dem zweiten Neubau an der Grabbestraße ein Kranz. Die 53-jährige Bürokauffrau und der 70-jährige Ingenieur strahlen um die Wette. Denn von den ehemaligen braun-schwarzen Bruchbuden ist nichts mehr zu sehen und zu hören. Vormals hatten sich „dubiose Geschäftemacher mit der Armutsmigration eine goldene Nase verdient“, wie sie sich erinnern – mit den üblichen Folgen wie „Lärm, Müll und einer völlig genervten Nachbarschaft“.

Neubauten statt Schrotthäuser: Gelsenkirchener Ehepaar investiert rund 7 Millionen Euro

Nun sei Ruhe eingekehrt im Viertel, vom Klangteppich der noch eifrig werkelnden Handwerker wie etwa der Zimmerermänner mal abgesehen. Statt der Schrotthäuser begrüßen nun zwei moderne Wohnkomplexe die Anlieger. Sofern die Planungen aufgehen, dominieren im Frühjahr nächsten Jahres Pastelltöne linksseitig den Weg die Straße hinauf.

Fast sieben Millionen Euro hat das Paar investiert, drei Millionen für das erste und 3,6 Millionen Euro für das zweite, größere Gebäude – trotz Krise und Inflation. Und sie haben dabei so gut wie nichts dem Zufall überlassen. „Wir sind stolz und froh, dass wir diese Herausforderung gemeistert haben“, sagt das Ehepaar. Und sie sind dabei besonders erleichtert über den Umstand, nicht Opfer einer extremen Kostenexplosion geworden zu sein. Bereits im Voraus haben Gegas Baumaterial bestellt und eingelagert – und das für beide Häuser, ein Riesenvorteil angesichts dramatisch steigender Preise.

Wie sehr Akribie und Weitsicht bei den beiden Bauprojekten ausgeprägt sind, zeigt sich anhand einiger Details. Sowohl die 20 Wohnungen (46-90 Quadratmeter) im ersten Neubau als auch die 24 Wohnungen (48-98 Quadratmeter) im Nachbargebäude mit ausgebautem Spitzboden sind barrierefrei und seniorengerecht. Zwölf Garagen und 32 Stellplätze muss man außerdem hinzurechnen.

Fußbodenheizung und automatische Hauseingangstüren sind ebenso selbstverständlich wie Bewegungsmelder für das Licht im Treppenhaus mit Aufzug und in den breiten Fluren. Letztere sind farblich unterschiedlich gestaltet, ein Leitsystem, das in (Pflege-)Heimen und Krankenhäusern aber auch an Einrichtungen wie Schule und Universitäten zu einer schnelleren Orientierung verhilft. Selbst die Blumenkästen haben Gegas für die Balkone der Wohnungen einheitlich ausgesucht.

Photovoltaik: Mieter bekommen Haus-Strom zu billigeren Preisen als am Markt üblich

Hier an der Grabbestraße in Gelsenkirchen-Horst standen früher einmal zwei Schrotthäuser: Das Gelsenkirchener Ehepaar Josef und Silke Gega hat die maroden Häuser gekauft und abreißen lassen. Sie haben zwei Neubauten errichtet mit modernen, barrierefreien und seniorengerechten Wohnräumen.
Hier an der Grabbestraße in Gelsenkirchen-Horst standen früher einmal zwei Schrotthäuser: Das Gelsenkirchener Ehepaar Josef und Silke Gega hat die maroden Häuser gekauft und abreißen lassen. Sie haben zwei Neubauten errichtet mit modernen, barrierefreien und seniorengerechten Wohnräumen. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Zum Standard gehört auch an Wärmepumpen gekoppelte Photovoltaik, die den Strompreis für die Mieterinnen und Mieter „den üblichen Marktpreis vor Ort um etwa fünf Cent pro Kilowattstunde unterbietet“, wie Silke und Josef Gega erzählen. Gas steht ergänzend zur Verfügung. Die Energie aus der Sonne wird an die Bewohner verkauft. 9,80 Euro Miete ruft das Unternehmerpaar pro Quadratmeter auf, dafür bekommen die zumeist älteren Menschen auch einen Hausmeister- und Putzservice. Motto: „Unsere Mieter sollen sich so wenig wie möglich um andere Dinge kümmern müssen.“

Bürgermeisterin Martina Rudowitz (SPD) oder auch die SPD-Landtagsabgeordnete Christin Siebel, die unter anderem zu den Gästen bei Richtfest gehörten, sparten nicht mit Lob: Rudowitz betonte wie wichtig es sei, „modernen Wohnraum zu schaffen“ und erhofft sich durch das bürgerliche Engagement der Horster Eheleute „ein Signal in die Stadtgesellschaft“, ihrem Beispiel zu folgen. Siebel hob „die Verlässlichkeit und die Liebe zu ihrem Quartier“ der Familie hervor, deren Ankündigungen auch Taten folgten. „Ein echtes Pfund“.

Das Wohnangebot der Gegas trifft auf eine hohe Nachfrage. Schon im ersten Haus waren die Wohnungen bereits vor Fertigstellung weitestgehend vermietet, nicht anders sieht es jetzt beim zweiten Gebäude aus. „Mehr als 50 Prozent der Wohnungen sind vergeben“, sagt Silke Gega, die mit ihrem Mann jeden Mietinteressenten persönlich auswählt. Und die dafür sorgen, dass das Wohnen „sich nicht in der Anonymität“ verliert: Im großen Raum wird im Untergeschoss ein Gemeinschaftsraum für die Bewohner beider Häuser realisiert: vorgesehen für Nachmittage mit Waffelbacken und Bingo-Spiele oder auch (Geburtstags)Feiern.

Stadt Gelsenkirchen unterstützt Ankauf von Schrottimmobilien

So hat es mal vorher in der Horster Grabbestraße in Gelsenkirchen ausgesehen. Drei Schrottimmobilien prägten das Bild.
So hat es mal vorher in der Horster Grabbestraße in Gelsenkirchen ausgesehen. Drei Schrottimmobilien prägten das Bild. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Ob sie das Ganze wohl noch einmal machen würden – für Gelsenkirchen, für ihre Stadt? Fragt man Silke Gega, dann wohl eher nicht. „Die beiden Projekte haben viel Kraft gekostet, wir sind erschöpft“, sagt die 53-Jährige. Immerhin gibt es in Gladbeck auch noch eine Immobilie mit 77 Mietparteien, die dem Unternehmerpaar gehört und deren Verwaltung das Tagesgeschäft der Bürokauffrau ist. Außerdem hat ihr Mann Josef seine Ingenieurfirma verkauft, um mehr Zeit und Ruhe für die Familie zu haben.

Hört man dem 70-Jährigen zu, so kann man den Eindruck gewinnen, dass die letzte Entscheidung bei ihm noch nicht gefallen ist. Schon damals, als er im Februar 20212 in der heimischen Küche das Projekt „Schrotthäuser Grabbestraße“ bekanntgab, brach sich sein Unmut über schleppende politische Prozesse Bahn. Sein Blick richtete sich schon damals auf die schlagzeilenträchtige Immobilie an der Markenstraße. Auch der Ingenieur hält die „Bemühungen bei der Zuwanderung aus Südosteuropa für gescheitert“, daher auch sein persönliches Engagement. „Damit mehr passiert.“ Für ihn eine „Herzensangelegenheit“.

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Bislang allerdings haben sich zumindest offiziell noch keine Nachahmer gefunden. Und das, obwohl auch die Stadt den Ankauf von Schrottimmobilien unterstützt. Das ist Teil einer neuen Strategie gegen Armutsmigration. Privatleute sollen von bis zu 250.000 Euro profitieren können, wenn sie in Eigenregie Schrottimmobilien beseitigen und neuen Wohnraum schaffen. Haushaltsmittel werden dafür bereitgestellt.

Spendensammlung für die Ukraine und Zeitkapseln

Wie viel Geld bei dem Richtfest an der Grabbestraße zusammengekommen ist, ist noch nicht bekannt. Das Unternehmerpaar Gega will noch ein paar Tage abwarten, weil es neben der Sammelbox noch die Möglichkeit gibt, Spenden direkt über die Kontoverbindung der Gelsenkirchener Task-Force Flüchtlingshilfe um den 65-jährigen Jürgen Hansen abzugeben: IBAN DE 69 4205 0001 0101 1753 45 (Sparkasse Gelsenkirchen).

Nette Geste: In beiden Häusern wurden Zeitkapseln eingemauert. Unter anderem erzählt darin Udo Gerlach von seinem Leben rund um die Grabbestraße. Der Horster ist in einem (Hausnummer 37) der späteren Schrotthäuser aufgewachsen. Auch Gegas haben Schriftstücke und Fotos hinterlassen, die der Nachwelt erklären, welche Beweggründe sie zum Kampf gegen Schrottimmobilien bewogen haben.

Weiterführen wollen die Gegas auf jeden Fall aber ihr soziales Engagement. Zwei Töchter hat das Paar, eine leibliche und eine adoptierte, die Eheleute engagieren sich stark sozial, etwa für die Horster Wohngruppe. So ist es auch kein Wunder, dass beim Richtfest auch eine Spendenbox bereitstand – gesammelt wurde für die Menschen in der Ukraine (siehe Info-Box).