Gelsenkirchen. Oberbürgermeisterin Karin Welge hat eine neue Strategie zur Integration von Zuwanderern aus Südosteuropa vorgestellt. Vier Projekte sind geplant.
Zwei Wochen nachdem sich abermals Gelsenkirchener Bürger an die WAZ gewandt und über ihre Sorgen und Nöte berichtet hatten, die sie angesichts seit Jahren andauernder Müllprobleme und ständiger Lärmbelästigung erleiden, hat sich die Stadtspitze um Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) nun auch zu Wort gemeldet und ein „Bündel an Maßnahmen“ zur Integration der rund 10.000 Zuwanderer aus Südosteuropa vorgestellt.
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Kern der neuen Strategie sollen vier Pilot-Projekte sein, zu denen sich Welge nach eigener Aussage bereits mit NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach im Austausch befindet. So soll Gelsenkirchen bereits im März zum einer Pilot-Kommune für ein Projekt namens „Fälschungssichere Schulbescheinigung“ werden. Damit soll der Betrug beim Bezug von Kindergeld verhindert werden.
Stadt will Betrug der Sozialsysteme verhindern und Integration vereinfachen
In den nächsten Wochen wird Gelsenkirchen zudem die Arbeit einer sogenannten One Stop Agency testen. In einer solchen Agentur sollen die Bürger aus EU-Ost bei der Anmeldung von einem zentralen Ansprechpartner bei der Jobsuche oder Anträgen für Sozialleistungen betreut werden. Bislang seien dazu viele verschiedene Anlaufstellen notwendig.
Welge sieht in den beiden Projekten „gute Instrumente, um nicht nur einem möglichen Betrug der Sozialsysteme vorzubeugen, sondern auch um die ersten Schritte bei der Integration zielgerichtet zu begleitet.“
Wer Schrottimmobilie aufkauft, soll unterstützt werden
Als dritte Initiative soll in Gelsenkirchen geprüft werden, ob Privatleute, die Problem-Immobilien in Gelsenkirchen aufkaufen und renovieren, finanziell unterstützt werden können. „In den vergangenen Monaten haben Privatleute bereits ihre Bereitschaft signalisiert, Schrottimmobilien in ihrer Nachbarschaft zu kaufen, um das Wohnumfeld zu stabilisieren“, so Welge. „Dieses bürgerschaftliche Engagement wollen wir künftig systematisch unterstützen.“ Falls Gespräche mit dem Land für eine mögliche Förderung nicht erfolgreich verlaufen sollten, sei auch eine stadteigene Förderung in Höhe von 250.000 Euro denkbar. Entsprechende Rücklagen sollen noch im anstehenden Haushalt bereitgestellt werden.
Das vierte Projekt ist eine gemeinsame Anlaufstelle von Polizei, Kommunalem Ordnungsdienst (KOD) und Sozialarbeitern an der Ückendorfer Straße 138, die im Laufe des Frühjahrs starten sollen. Davon verspricht sich die Stadt ebenfalls positive Auswirkungen auf die vielen Beschwerden mit Blick auf die EU-Ost-Migration im Quartier. Bei Fragen und Problemen sollen sich alle Bürger direkt an die Anlaufstelle wenden können. Dort sollen dann entsprechend geschulte Mitarbeiter eine Schlichtung möglichst eine langfristige Verbesserung der Probleme erreichen. Ist das Projekt erfolgreich, soll es eine Ausweitung auf andere Quartiere geben.
Zehn weitere Sozialarbeiter sollen eingestellt werden
Neben den vier Projekten sollen Stadt, Jobcenter, Polizei und ELE gemeinsam Problemimmobilien und deren Mieter verstärkt überprüfen. Gleichzeitig soll auch der KOD um fünf Kräfte aufgestockt werden und mehr Präsenz in den Abendstunden zeigen. Aufgestockt werden soll auch bei den Sozialarbeitern: Die Stadt plant zehn weitere Mitarbeiter einzustellen, die den Zuwanderern Regeln vermitteln und sie bei der Integration unterstützen. Aktuell sind 16 muttersprachliche Sozialarbeiter in diesem Bereich tätig.
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Neben den Maßnahmen will die Stadt aber auch die Verantwortlichen auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene mehr in die Pflicht nehmen. Eine projektbezogene Förderung reiche nicht aus, es müsse eine Regelförderung für Kommunen her, die besonders von Armutsmigration betroffen sind. „Sonst sind die Bemühungen um Teilhabe und Integration zum Scheitern verurteilt“, mahnten Oberbürgermeisterin Welge und Integrationsdezernentin Anne Heselhaus.
Stadt will aktiv in den Wohnungsmarkt eingreifen
Die Stadt fordert vom Land und Bund deshalb, ein großes Rückbauprogramm, mit dem nach Vorstellung von Stadtbaurat Christoph Heidenreich „zielgerichtet in den Wohnungsmarkt eingegriffen werden soll“. In Gelsenkirchen seien rund 6000 Wohnungen nicht mehr für den Wohnungsmarkt geeignet. „Wenn wir davon die Hälfte in den kommenden zehn Jahren stillegen und abreisen würden, hätten wir das Überangebot beseitigt“, so Heidenreich. Dafür würde die Stadt etwa 150 Millionen Euro benötigen.
Welge sieht dabei nicht nur Deutschland in der Pflicht, sondern hält eine EU-weite Lösung für unabdinglich. „Die ungesteuerte Freizügigkeit bringt die betroffenen Menschen aus EU-Ost oftmals in prekäre, manchmal sogar in menschenunwürdige Lebens- und Arbeitsverhältnisse. Gleichzeitig sorgt die Zuwanderung in den betroffenen Kommunen für soziale Spannungen“ So falle die Akzeptanz für die europäische Idee in einer Stadt wie Gelsenkirchen zusehends zusammen.
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Denn zur Wahrheit gehört auch, dass 54 Prozent der 9446 Rumänen und Bulgaren Sozialleistungen beziehen. Inzwischen macht diese Bevölkerungsgruppe etwa 3,6 Prozent der Gelsenkirchener Bevölkerung aus. Jedes elfte Kind kommt ist bulgarischer oder rumänischer Herkunft. Besonders hoch ist der Anteil der Südosteuropäer in Schalke-Nord, wo sie 15 Prozent der Stadtteilbevölkerung ausmachen.
„Es muss dringend eine Lösung her“, hatten die fünf Gelsenkirchener Bezirksbürgermeister (alle SPD) deshalb schon nach den ersten Berichten der WAZ geschrieben, nachdem ein Rettungseinsatz bei einer bulgarischen Familie in Horst eskaliert war. „Wir haben allesamt schlechte Erfahrungen mit Problemhäusern und mit dem Verhalten der darin lebenden Menschen gemacht“, heißt es in einer gemeinsam formulierten Erklärung, die unserer Redaktion vorliegt.
Oberbürgermeisterin Karin Welge erklärte, dass sie zwar vollstes Verständnis für den Unmut unmittelbar betroffener Nachbarn habe, gleichzeitig aber nicht ständig öffentlich über die Problematik sprechen wolle, um nicht immer nur ein schlechtes Bild von Gelsenkirchen zu zeichnen
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